UKE-Wissenschaftler finden Schlüssel für Zufriedenheit und geistige Fitness im Gehirn älterer Menschen

Hamburg. Wo hatte ich denn bloß gestern Abend das Auto geparkt? Und wer war noch mal der Hauptdarsteller in ... oh je, wie hieß der Film gleich? Schon wer im mittleren Lebensalter steht, also so zwischen 40 und 60 Jahre alt ist, dem werden solche Gedächtnislücken sicher bekannt vorkommen. Und vielleicht auch die bange Frage, ob das normal ist. Normales oder krankhaft verändertes Gedächtnis - um das beurteilen zu können, muss man wissen, wie sich der Alterungsprozess eines gesunden Gehirns gestaltet. Was verändert sich, was nimmt zu, was ab?

Wissenschaftler an der Universitätsklinik Eppendorf (UKE) sind diesen Fragen auf der Spur und haben dabei Reaktionen des gesunden, älter werdenden Gehirns nachgewiesen, die sich vielleicht mit einer Anpassung an die begrenzte Lebenszeit erklären lassen - und die erstaunlicherweise das subjektiv erlebte Wohlbefinden steigern.

"Positivitätseffekt" - so wird in Motivationstheorien zur Lebensspanne ein Phänomen beschrieben, das Dr. Stefanie Brassen, Psychologin am Institut für Systemische Neurowissenschaften des UKE, so erklärt: "Es gibt bei emotional gesunden älteren Menschen eine verstärkte Hinwendung zu positiven Informationen. In Tests erhalten fröhliche Bilder mehr Aufmerksamkeit und werden besser erinnert." Sie hat in einer gerade veröffentlichten Studie junge und ältere Probanden einen Reaktionstest am Computer durchführen lassen, der mit jeweils einem neutralen, traurigen oder fröhlichen Hintergrundbild versehen war, wobei diese Bilder für den Reaktionstest an sich keine Rolle spielten. "Wir konnten sehen, dass sich die gesunden alten Menschen ab 60 Jahren besonders stark von positiven Bildern ablenken ließen - und dann auch schlechtere Reaktionszeiten erzielten als junge Menschen, die durchschnittlich 25 Jahre alt waren", so Brassen. "Das ist zwar für die Aufgabe nicht so gut, steht aber im Zusammenhang mit emotionalem Wohlbefinden. Es scheint ein selbst regulierter, willentlich motivierter Prozess zu sein, der geistige Kapazitäten verbraucht, die dann für die eigentliche Aufgabe nicht mehr zur Verfügung stehen", erläutert die Wissenschaftlerin.

Das konnten die Forscher sogar im Gehirn nachweisen. In einem bestimmten Bereich des für die Verarbeitung von Emotionen zuständigen limbischen Systems, dem sogenannten anterioren Cingulum, war eine erhöhte Aktivität nachweisbar, wenn die älteren Probanden positive Bilder sahen. Die Ergebnisse von zusätzlich durchgeführten Persönlichkeitstests zeigten einen deutlichen Zusammenhang dieser Aktivitätssteigerung mit erhöhter emotionaler Stabilität dieser Probanden.

In einer neuen, gerade abgeschlossenen Studie konnte Brassen zudem nachweisen, dass ältere Menschen anscheinend auch einen gelasseneren Blick auf verpasste Chancen haben. In einem im Institut entwickelten Glücksspiel wurde gesunden jungen und älteren Probanden nach Gewinndurchgängen gezeigt, wie viel sie noch hätten mehr gewinnen können, wenn sie mehr riskiert hätten.

Junge Menschen reagierten stark auf die verpasste Chance, indem sie im nächsten Durchgang umso mehr riskierten, je höher die verpasste Chance war. Ältere gesunde Probanden lassen sich vom "Was-wäre-wenn" nicht so leicht beeinflussen: Sie freuten sich auch über einen kleinen Gewinn und änderten ihr Spielverhalten in der nächsten Runde nicht.

Im Gehirn lässt sich das deutlich messen. "In Teilen der Basalganglien, die dem ,Belohnungssystem' im Gehirn zugeordnet werden, kommt es bei einer verpassten Chance bei den Jungen zu einer als unangenehm empfundenen Aktivitäts-Abnahme, bei den gesunden älteren Menschen aber nicht. Auch hier findet sich ein Zusammenhang zwischen Hirnaktivität und emotionalem Wohlbefinden", so Brassen.

"Rosarote Brille" - oder erfolgreiches Altern? Offensichtlich können die genannten Mechanismen dazu beitragen, sich besser an die sich verändernde Lebenssituation anzupassen. "Die kürzere Lebensspanne, die noch zur Verfügung steht, beeinflusst Denken und Gefühle. Während sich junge Menschen langfristige Ziele setzen und auch Misserfolge einplanen, sind die Ziele bei älteren Menschen kurzfristiger", so Brassen. "Sie sind mehr darauf eingestellt, diese ihnen verbliebene Zeit positiv zu erleben." Da macht es auch wenig Sinn, verpassten Chancen nachzutrauern, von denen es im höheren Alter naturgemäß viele gibt. Die Devise für ein erfolgreiches Altern ist dann: Nach vorn, nicht nach hinten schauen!

Zufriedener im Alter? Das klingt gut, aber was ist mit dem vergessenen Autoparkplatz? Da sollte man sich keine Illusionen machen. "Das episodische Gedächtnis, vor allem jenes, das Verknüpfungen herstellt - zum Beispiel zwischen Ihrem Auto und dessen Aufenthaltsort - nimmt mit zunehmendem Alter ab", sagt Prof. Ulman Lindenberger, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Eine Ursache dieser Abnahme sehen Wissenschaftler im Hippocampus, einem entwicklungsgeschichtlich sehr alten Teil des Gehirns, der u. a. für die räumliche Orientierung und die Überführung von Gedächtnisinhalten in das Kurz- und Langzeitgedächtnis verantwortlich ist. "Im Erwachsenenalter nimmt die Größe des Hippocampus ab, allerdings mit großen individuellen Unterschieden", so Lindenberger. "Ältere Erwachsene, die episodische Verknüpfungen besser abrufen können, haben einen größeren Hippocampus." Allerdings besitzt das Gehirn eine große Anpassungsfähigkeit und auch beim Menschen können im Hippocampus bei entsprechendem Training vermutlich neue Nervenzellen entstehen - oder zumindest kann der Abbau verhindert werden. Bei einem Laufbandtraining, bei dem Lindenberger ältere Menschen so durch einen virtuellen Zoo führte, dass die Probanden sich auf verzweigten Wegen zurechtfinden mussten, konnte zumindest die Schrumpfung des Hippocampus aufgehalten werden. Allerdings war das Programm sehr anspruchsvoll: Die Probanden mussten in 50 Sitzungen jeweils für 1,5 Stunden nach Tieren suchen, sich die Wege merken - und dabei kräftig strampeln. Den gängigen Hirnjogging-Programmen, die zur Steigerung der Gedächtnisleistung empfohlen werden, steht Lindenberger deshalb auch eher skeptisch gegenüber. "Zum einen sind diese Programme meistens wissenschaftlich nicht überprüft, und zum anderen muss man sich über einen längeren Zeitraum richtig anstrengen. Umsonst gibt es das nicht."

Drei Empfehlungen gibt der Experte aber noch: "Körperliche Bewegung, vor allem Ausdauertraining, nützt auch dem Gehirn. Sie hat positiven Einfluss auf viele Bereiche, einschließlich des Gedächtnisses." Man sollte Herausforderungen suchen, die aus Aufgaben jenseits der üblichen Routine bestehen. "Es muss etwas Neues sein, und es muss einen wirklich herausfordern. Sonst werden nur die immer gleichen Verarbeitungsbahnen weiter gestärkt." Und dann: "Der Effekt eines Crash-Sprachkurses hält nicht lebenslang an, man muss die Anstrengung aufrecht erhalten. Gehirntraining funktioniert leider nicht wie eine Impfung."