Physiker simulieren am Cern-Forschungszentrum im Südwesten der Schweiz die Bildung von Wolken und ihren Einfluss auf die Erderwärmung.

Genf. Die Schweiz allgemein gilt als ein sauberes Land. Aber nirgendwo sonst in der adretten Alpenrepublik dürfte es so klinisch rein, so steril zugehen wie im Innern eines silbern glänzenden, runden Tanks, vier Meter hoch und drei im Durchmesser, der im Südwesten des Landes auf seinem Podest ruht. "Wir meinen, wir haben die sauberste Kammer der Welt", freut sich Jasper Kirkby, Nuklearphysiker am Cern-Forschungszentrum in Genf. Und in dieser Kammer will er nachvollziehen, wie Wolken entstehen.

Der Tank steht in einer Halle auf dem weitläufigen Gelände des Cern, jenes Instituts der Europäischen Organisation für Kernforschung, das vor zwei Jahren von sich reden machte, als man dort in einem 26 Kilometer langen, kreisförmigen Tunnel den "Large Hadron Collider" in Betrieb nahm: einen Beschleuniger, in dem Elementarteilchen, kleiner als Atome, entfesselt und anschließend fast mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander geschossen werden. In dem großen Ring gibt es eine Weiche. Ein paar Teilchen werden dort abgezweigt und nach oben geschossen, durch Röhren, die hinter meterdickem Beton geschützt die Halle erreichen - es ist schließlich ein nuklearer Vorgang - und endlich in jenen so sauberen Tank hineingelangen.

20 Meter weiter in der Halle hat Jasper Kirkby, Teilchenphysiker des Cern, sein Labor und verfolgt dort mit einem Dutzend Doktoranden aus aller Welt auf Monitoren, was die kleinen inonisierenden (geladenen) Teilchen in dem Tank anrichten. Dort wiederum handelt es sich, genau genommen, um etwas Alltägliches, etwas, was sich in unserer Atmosphäre abspielt, seit es sie gibt: Wo zuvor noch durchsichtige Luft war, sind in kurzer Zeit schon Wolken. Doch wie funktioniert das?

Jasper Kirkby und der Atmosphärenforscher Joachim Curtius von der Universität Frankfurt am Main sind dabei, dies mit ihren Doktoranden hier im Cern mit ihrem Projekt "Cloud" genauer zu untersuchen - inzwischen mit ersten Ergebnissen. Letztlich geht es um die Frage, welche Rolle die Sonne in unserem Klimageschehen spielt - und zwar weit über ihre wärmenden Strahlen hinaus, die ja selbst nur zu gering schwanken, um die globalen Erwärmungen und Abkühlungen der letzten Jahrhunderte und Jahrtausende bewirkt haben zu können. Und: Welche Rolle spielen dabei die Wolken? Cloud hat nun erste, vorläufige Antworten gefunden, die heute in der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht werden. Die Sonne könnte einen größeren Einfluss ausüben als bisher vermutet.

Luft, auch wenn sie noch so feucht ist, verwandelt sich nicht einfach in Nebel oder Wolken. Nötig sind dafür Schwebstoffe, winzige Partikel, aus wenigen Molekülen bestehend, auch "Aerosole" genannt, aus denen sich dann etwas größere Kondensationskeime bilden, an die die Feuchtigkeit andocken kann. So weit ist die Sache erforscht.

Nicht erforscht war dagegen bisher, ob in diesem Prozess nicht auch ganz andere Faktoren eine bedeutende Rolle spielen, Dinge, die aus den Tiefen des Weltraums in die irdische Atmosphäre eindringen: geladene Teilchen nämlich, ionisierende Strahlung aus der Galaxis, "Galactic Cosmic Ray" (GCR). Unter dem Verdacht, bei der Wolkenbildung gehörig mitzumischen, steht die GCR seit Jahren. Um dies zu erforschen, ist ein so klinisch reiner Tank wie der im Cern gerade recht, um nämlich in einer Vielzahl von Versuchen alle infrage kommenden Einflussfaktoren sauber voneinander getrennt untersuchen zu können.

"Es gilt inzwischen als gesichert, dass diese GCR stark beeinflusst werden von den Schwankungen der Sonnenaktivität", sagt Joachim Curtius. Erreicht ein Sonnenzyklus seinen Höhepunkt, kenntlich am Aufkommen vieler Sonnenflecken, so sendet unser Zentralgestirn einen besonders starken Sonnenwind aus: ebenfalls ionisierte Teilchen, die ihrerseits die GCR vertreiben, sie von der Erdatmosphäre regelrecht fernhalten. Aus diesem Zusammenspiel ergibt sich eine - theoretische - Abfolge in der Wirkung: starke Sonne, geringe GCR, kaum Kondensationskeime, wenig Wolkenbedeckung, kräftige Sonneneinstrahlung auf der Erde, globale Erwärmung. Diese Kette indes funktioniert nur unter der Voraussetzung, dass die GCR einen Einfluss auf die Wolkenbildung ausüben.

Dass es funktionieren könnte, dafür liefern bereits fünf Jahre alte Grafiken deutliche Anhaltspunkte, die Kirkby draußen in der Halle, an der Wand seiner Laborhütte, angepinnt hat; sie waren der Anlass für sein Cloud-Projekt. Zwei Kurven darauf überlappen sich nahezu: "Sehen Sie, sagt er, wie frappant im vergangenen Jahrtausend die Zusammenhänge waren zwischen den Sonnenaktivitäten und den globalen Temperaturen!" Die Grafiken entstammen einer wissenschaftlich überprüften Studie, die er 2007 mit Kollegen in einer Fachzeitschrift veröffentlichte und in der er resümierte, dass die Sonne als hauptsächlicher Einflussfaktor auf die vorindustriellen Klimaschwankungen anzusehen sei.

Zum Vergleich hängt daneben eine andere Grafik, die berühmte "Hockeyschlägerkurve", laut der es in den letzten 1000 Jahren kaum Klimaschwankungen gab und die Temperaturkurve erst seit etwa 150 Jahren ansteigt, dafür umso steiler. Würde bedeuten: Nur der Mensch gestaltet das Klima, die Sonne dagegen gar nicht. "Die hat sich als falsch herausgestellt", meint Kirkby.

Kirkby und Curtius sind keine Klimaskeptiker, die mit dem Hintergedanken forschen, den Einfluss von CO2 und Mensch beim Klimawandel infrage stellen zu wollen. Doch sie wollen nicht ausschließen, dass hierbei die Sonne doch eine größere Rolle spielt. Stets betonen sie ihre Ergebnisoffenheit - und sie wollen auch die Resultate ihrer jüngsten Versuche nicht überbewerten. Obwohl sie deutlich genug ausfielen.

In den unzähligen Versuchsreihen in ihrer Kammer mit ihrer nachgestellten irdischen Atmosphäre bildeten sich immer dann, wenn die kosmische Strahlung hineingeführt wurde, zwei- bis zehnmal so viele Partikel wie in einer "neutralen" Atmosphäre ohne ionisierende Strahlung - ein Hinweis also darauf, dass sich ein weiteres Glied einpasst in die Wirkungskette von der Sonnenaktivität zum Klima? "Ja, aber auch nicht mehr. Inwieweit sich die unterschiedliche Anzahl der Aerosolpartikel wirklich auf das Klima auswirkt, müssen wir erst noch genauer untersuchen", schränkt Curtius ein. "Die Frage ist zunächst noch, ob sich aus zehnmal so vielen winzigen Partikeln, von der GCR angeregt, auch zusätzliche Wolken produzierende, deutlich größere Kondensationskeime entwickeln." Der Punkt sei in der Forschung noch umstritten und solle auch im Cloud-Experiment in Zukunft untersucht werden.

Allerdings könne eine geringfügige Änderung in der Wolkenbildung, und sei es ein um ein halbes Prozent mehr oder weniger bedeckter Himmel, schon spürbaren Einfluss auf das Klima ausüben. "Mein Kollege Kenneth S. Carslaw, Atmosphärenforscher an der Universität Leeds, wird unsere Ergebnisse aufnehmen und in seinen Klimamodellen durchspielen", sagt Curtius. "Ich hoffe, schon in diesem Jahr."

Die Forschungen über den Einfluss der Sonne sind nicht ohne Brisanz im emotional aufgeheizten Streit darüber, inwieweit der Mensch oder die Natur die Hauptrolle im globalen Klimageschehen spielen. Für Spekulationen sorgte im Juli ein Interview von Cern-Chef Rolf-Dieter Heuer in der "Welt am Sonntag", in dem dieser darauf hinwies, er habe die Cloud-Forscher gebeten, ihre Ergebnisse lediglich vorzutragen, aber nicht zu interpretieren, "um nicht die hochpolitische Arena der Klimawandeldiskussion" zu betreten. Curtius bestritt, eine derartige Bitte oder Anweisung erhalten zu haben: "Natürlich müssen wir unsere Ergebnisse interpretieren, sonst würden es andere tun."