Der Kieler Klimaforscher Mojib Latif kritisiert, dass die Vorhersagen lange bekannt waren, aber keine Vorsorgemaßnahmen getroffen wurden

Hamburg. La Niña (spanisch: das Mädchen) mag's gern kalt. Der Begriff bezeichnet ein Klimaphänomen, das alle paar Jahre in Form von kühleren Wassertemperaturen im östlichen Pazifik auftaucht. Die Vorgänge vor der Küste Perus wirken sehr weiträumig - und sorgen derzeit für die Dürre in Somalia, Kenia, Djibouti und Uganda. Dass diese zur Hungerkatastrophe wurde, sei jedoch menschliches Versagen, betont Prof. Mojib Latif, Meeresmeteorologe am Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften IFM-Geomar.

Schon 2010 sei ein La-Niña-Jahr gewesen, sagt Latif. "Das Phänomen trat außergewöhnlich stark auf. Im Winter 2009/2010 hatten Klimaforscher dies bereits prognostiziert und vor einer Dürre in Ostafrika gewarnt. Aber die Uno und andere internationale Organisationen haben die Daten ignoriert, anstatt zu handeln und Lebensmittelvorräte anzulegen."

La Niña ist die Schwester vom bekannteren El Niño (spanisch: der Junge, auch das Christkind). Er bezeichnet ein saisonales Phänomen, bei dem die Temperatur des kalten Humboldtstroms vor der Küste Perus um einige Zehntel Grad ansteigt. Das wärmere Wasser bringt Niederschläge an die ansonsten wüstenhafte Küste. Da die Anomalie meist Ende Dezember auftritt, bekam sie den Namen El Niño. Die Ozeantemperatur schwingt in dieser Meeresregion hin und her wie ein Pendel. Es heißt wissenschaftlich El-Niño-Southern-Oscillation, kurz ENSO. Die jeweiligen Ausschläge tragen die Namen des Geschwisterpaares.

Die Vorgänge im Ostpazifik haben weltumspannende Effekte. Tritt La Niña auf, so wehen auf der Südhalbkugel sehr viel stärkere Passatwinde. Sie sorgen dafür, dass die herbstliche Regenzeit in Ostafrika weitgehend ausfällt. Denn ENSO überlagert die saisonalen Wetterzyklen. So verstärkte La Niña zu Jahresbeginn die Niederschläge im Nordosten Australiens und ließ den tropischen Teil des Kontinents in Regenfluten versinken. "Schon im Herbst 2010 war in Ostafrika die Ernte wegen der Trockenheit sehr schlecht", sagt Mojib Latif. "Die Menschen kamen von einer Katastrophe in die nächste." Um Weihnachten 2010 herum zeichneten Nasa-Satelliten besonders niedrige Temperaturen des Ostpazifiks auf - "verlässliche Daten über die Ausprägungen von La Niña reichen erst 50 Jahre zurück. Dieses jüngste Ereignis gehört zu den stärksten, die in diesem Zeitraum auftraten", meldete damals die US-Weltraumagentur Nasa.

Inzwischen schwächelt La Niña. "Im Ozean haben wir derzeit neutrale Verhältnisse", sagt Dr. Daniela Matei vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. "In der Atmosphäre zeichnet sich dagegen La Niña noch ab. Insgesamt ist kein Wechsel Richtung El Niño in Sicht. Deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch die kommende herbstliche Regenzeit eher schwächer ausfallen wird."

Der fatale Einfluss von La Niña kann durch eine zweite Entwicklung verschärft werden, so Matei: "Die Erderwärmung heizt den Indischen Ozean stärker auf als jede andere tropische Meeresregion. Das verändert die Bewegungen der Luftmassen. Über dem tropischen Indischen Ozean steigt warme Luft nach oben, kühlt ab und führt dort zu erhöhten Niederschlägen. Gleichzeitig wird aufsteigende Luft nach Westen transportiert und sinkt über Ostafrika ab. Das Absinken unterdrückt dort die Wolkenbildung und schwächt die im Frühjahr auftretende Regenzeit.

Während die Einflüsse der Erderwärmung erst seit 20 bis 30 Jahren erkennbar sind, beeinflusst der ENSO-Zyklus die Wetter in Ostafrika wahrscheinlich seit Jahrhunderten. Das zeigt eine wissenschaftliche Arbeit, die vergangene Woche im Fachmagazin "Science" veröffentlicht wurde. Ein internationales Team unter Beteiligung des Geoforschungszentrums Potsdam (GFZ) fand in den Sedimentschichten des Challa-Sees am Fuß des Kilimandscharos im Südosten Kenias Hinweise auf die pazifischen Pendelausschläge: in Form eines Streifenmusters aus breiten und schmalen Bändern, das 20 000 Jahre zurückreicht.

Die breiteren Streifen sind Spuren von La Niña: In diesen Zeiten wirbelten starke Winde Nährstoffe vom Seegrund auf, und es gab kaum Niederschläge, die das Wasser verdünnten. Als Folge des üppigen Nahrungsangebotes traten heftige saisonale Algenblüten auf. Die Algen starben ab, sanken auf den Grund und hinterließen im Laufe der Zeit die dickeren hellen Sedimentschichten.

Dagegen hungerten El-Niño-Perioden die Algen aus, denn viel Regen verdünnte das Seewasser. Folge: Die Algenmasse blieb gering und hinterließ einen viel dünneren hellen Streifen im Sediment. "Ein Vergleich mit Messungen der Temperaturen im tropischen Pazifik über die letzten 150 Jahre zeigt einen engen Zusammenhang zwischen den ENSO-Zyklen und den Rhythmen der Dürren und Überschwemmungen in Ostafrika", so das GFZ.

Der Schweizer Klimageologe Prof. Gerald Haug erwartet im Zuge des Klimawandels, dass sich das ENSO-Phänomen und die Wetterextreme in Ostafrika eher noch verstärken werden. Klimaforscher Latif ist da etwas vorsichtiger: "Bislang gibt es keine eindeutige Aussage, ob und wie sich die Erderwärmung auf die ENSO-Zyklen auswirken wird. Die Klimamodelle zeigen je nach Modell und Szenario alle drei möglichen Entwicklungen: El Niño wird stärker, La Niña wird stärker oder alles bleibt gleich." Die Katastrophenvorsorge sollte sich jedoch auf jeden Fall verbessern, fordert Latif.