Die übermäßige Zufuhr von Nährstoffen fördern den Algenwuchs in der Ostsee. Verschiedene Maßnahmen sollen dem Binnenmeer helfen.

Rostock/Hamburg. Warmer, weißer Sand unter nackten Fußsohlen; heiße Sonnenstrahlen, die Haut und Meer gleichsam aufheitzen. Das erwarten Hundetausende von ihrem nahenden Urlaub an der Ostseeküste. Meeresschützer sehen das Szenario mit gemischten Gefühlen. Denn eine solche Wetterlage lässt auf dem überdüngten Binnenmeer riesige Algenfilme wachsen - im Juli 2010 sorgte eine Blaualgenblüte von der Größe Deutschlands für Schlagzeilen; sie war das größte Algenaufkommen, das seit 2005 in der Ostsee beobachtet wurde. In diesem Sommer war davon noch nichts zu sehen. Doch das kann sich schnell ändern.

"Derzeit liegen die Wassertemperaturen an der Oberfläche noch zwischen 16 und 19 Grad und verhindern Algenfilme", sagt Dr. Günther Nausch, Meereschemiker am Leibniz-Institut für Ostseeforschung (IOW) in Rostock. "Eine windstille Hochsommerwoche reicht aber aus, um sie entstehen zu lassen."

Woran krankt die Ostsee? Die übermäßige Zufuhr der Nährstoffe Phosphat und Stickstoff (im Fachjargon Eutrophierung genannt) sei weiterhin das größte Problem, sagt Nausch. Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts haben sich die Stickstoffeinträge vervierfacht, die Phosphatzufuhr verachtfacht. Zwischen 1990 und 2008 sank der Phosphateintrag über die Flüsse der Anrainerstaaten zwar um 61 Prozent, die Belastung durch Stickstoff um 13 Prozent. Aber noch immer herrsche in allen Ostseeregionen ein Nährstoff-Überschuss. Besonders schlecht sei der Zustand von küstennahen und eher abgeschlossenen Regionen wie Flensburger Förde, südlicher Kieler Bucht, Lübecker Bucht, Wismar- und Pommernbucht.

Das sorgt nicht nur für unattraktive, grüne Schmierfilme - die massenhafte Vermehrung von (zum Teil giftigen) Algen ist weit mehr als ein ästhetisches Problem. Sind sie abgestorben, verschärfen sie die Sauerstoffarmut am Meeresboden, unter der die Ostsee von Natur aus leidet. Der bakterielle Abbau der Biomasse verzehrt Sauerstoff. Ist dieser aufgebraucht, entsteht giftiger Schwefelwasserstoff.

Wie kann mehr Sauerstoff in die Ostsee gelangen? Durch den Einstrom frischen Nordseewassers. Bei einem großen "Salzwassereinbruch" wird das gesamte Bodenwasser der westlichen Ostsee ausgetauscht und durch sauerstoffreiches Nordseewasser ersetzt. Allmählich sinkt anschließend der Sauerstoffgehalt der unteren Wasserschichten wieder ab, bis neues Nordseewasser die Situation entspannt. Nausch: "Heute ist der eingeströmte Sauerstoff bereits nach zwei bis drei Jahren aufgebraucht. Früher, als weniger Algenmasse zu Boden sank, dauerte es einige Jahre länger. Und gleichzeitig sind die Einstromereignisse seltener geworden."

Den letzten großen Einstrom von Nordseewasser gab es im Januar 2003. Inzwischen ist der Sauerstoffvorrat so weit reduziert, dass das Wasser in Tiefen unter 130 Metern sauerstofffrei und schwefelwasserstoffhaltig ist. Nach schwedischen Berechnungen sind 40 000 Quadratkilometer betroffen, etwa zehn Prozent der Ostseefläche.

Der Patient Ostsee wird mit seinen Problemen nicht alleingelassen. Um dem Meer zu helfen, vereinbarten die Anrainer 1974 die Helsinki-Konvention. Sie trat 1980 in Kraft und wird von der Helsinki-Kommission (Helcom) umgesetzt. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs verstärkten sie ihre Umweltschutzanstrengungen. So entstand ein Aktions-Programm, das 162 Hot Spots aufführte, die das Meer besonders stark belasten und vorrangig saniert werden sollten. Inzwischen ist die Zahl auf 68 gesunken. Die jüngsten vier wurden am 14. Juni von der Liste gestrichen: die Kläranlagen der litauischen Städte Kaunas, Kedainiai und Palanga sowie eine Ölraffinerie in Litauen. Auch die restlichen Hot Spots liegen größtenteils im östlichen Ostseeraum.

Ein weiterer Schritt zugunsten der Meeresumwelt wurde ganz aktuell getan. Seit dem 1. Juli gilt die Ostsee für die Schifffahrt als Sondergebiet, in dem nur noch schwefelarmer Treibstoff verbrannt werden darf. Im Kampf gegen Nährstoffe hilft dies allerdings wenig. Einen größeren Beitrag der Schifffahrt würde die konsequente Abwasserreinigung von Kreuzfahrt- und Fährschiffen erbringen. "Schätzungsweise 340 Tonnen Stickstoff und 112 Tonnen Phosphor gelangen jedes Jahr aus Abwässern der Passagierschifffahrt direkt ins Wasser der Ostsee", rechnet der Umweltverband WWF vor.

Forscher der Universität Göteborg wählten einen futuristischen Ansatz, um der Ostsee zu helfen. Sie wollen eine riesige windbetriebene Pumpe bauen, um sauerstoffreiches Wasser von der Meeresoberfläche zum Boden zu transportieren. Ein Prototyp soll demnächst getestet werden. Er ragt 60 Meter aus dem Wasser und 100 Meter in die Tiefe. Nausch hält nicht viel von dieser Idee: "Es ist nur eine Behandlungsmaßnahme, die die Ursache nicht bekämpft."