Nach den Funden von Erregern in Bächen sollen jetzt Studien zeigen, wie sich der gefährliche EHEC-Erreger-Typ in der freien Natur verhält.

Hamburg. Wichtiger als das, was jemand gesagt hat, ist manchmal das, was er nicht gesagt hat. Prof. Helge Karch vom Uniklinikum Münster gehört zu den führenden EHEC-Spezialisten in Deutschland; er erforscht die Bakterien seit mehr als 30 Jahren. Karch war es auch, der bereits am 25. Mai - fünf Tage nach Bekanntgabe der ersten Infektionsfälle - den spezifischen EHEC-Erreger vom Typ O104:H4 identifizierte und daraufhin mit seinem Team einen schnellen Bestätigungstest entwickelte. Am vergangenen Wochenende, als schon von einer Entspannung der Lage gesprochen wurde, sagte Karch: "Viele Menschen scheiden derzeit den Erreger aus. Wir können also nicht ausschließen, dass er sich in unserer Umwelt bereits eingenistet hat."

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Hängen blieb vor allem der zweite Satz, und er warf auch deshalb Fragen auf, weil der gefährliche EHEC-Typ in der vergangenen Woche in einem Bach bei Frankfurt gefunden wurde. Ist der Erreger jetzt dauerhaft draußen in der Natur, im Wasser? Und: Wenn sich dieser Keim in der Umwelt "einnistet" - kann das für Menschen gefährlich werden? Im Gespräch mit dem Abendblatt sagt Karch, dass er keinesfalls missverstanden werden wollte: Einnisten bedeute, dass sich der Keim etwa in einem Flussbett an einer Stelle festhalten und dort länger aufhalten könne. "Ich habe aber nicht gesagt, dass er sich dort auch vermehrt."

Letzteres ist aber entscheidend, um zu beurteilen, ob es eine Rolle spielt, wenn der Keim über das Abwasser von Kläranlagen in Gewässer wie den Frankfurter Erlenbach oder in Flüsse gelangt - und dort womöglich in Kontakt mit Menschen kommt. Um sich zu vermehren, benötigen Escherichia-coli-Bakterien, zu denen auch EHEC zählen, normalerweise eine Umgebung, die reich an Nährstoffen ist, also etwa Kohlenstoffe, Aminosäuren und Vitamine enthält, sagt Wolfgang Streit, Professor für Mikrobiologie am Biozentrum Klein Flottbek. Besonders schnell vermehren sich die Keime, wenn ihre Umgebung um die 37 Grad warm ist. Im menschlichen Darm findet der Keim beides: Nährstoffe und Wärme. "Bäche und Flüsse bieten solche Bedingungen gewöhnlich nicht. Sie sind kälter und arm an Nährstoffen. Insofern glaube ich nicht, dass sich dieser EHEC-Erreger dort nennenswert vermehren kann", sagt Streit. Helge Karch sagt, er sei sich da nicht sicher. "Wir wissen zu wenig über den Stoffwechsel dieses Erregers."

Im menschlichen Körper hat sich O104:H4 als sehr robust erwiesen: Er übersteht die Magensäure oft unbeschadet, und im Darm haftet er tagelang hartnäckig an den Darmwandzellen.

Karch hat in seinem Labor festgestellt, dass der Keim auch außerhalb des menschlichen Körpers an allen Oberflächen klebt, weil er eine Art Schleimschicht bildet, einen sogenannten Biofilm, in dem er sich einnisten und auch längere Zeiträume gut überstehen kann. Insofern könnte sich der Keim theoretisch auch in einem Flussbett oder in Böden festsetzen. Dabei sei der Erreger relativ unempfindlich gegen Kälte, sagt Karch: "Er überlebt seit dem 24. Mai in unserem Labor-Kühlschrank bei Temperaturen von fünf Grad." Zudem brauche der Erreger womöglich keine Temperaturen um 37 Grad, um sich zu vermehren. Versuche hätten gezeigt, dass sich der Keim auch bei 20 Grad vermehre - wohlgemerkt in einem speziellen Nährmedium zur Kultivierung von Bakterien. Ob sich der Erreger auch in der Umwelt vermehren kann, müssten jetzt umfangreiche Studien zeigen, die bei verschiedenen Temperaturen und unter Bedingungen wie etwa in einem Bach durchgeführt werden sollten, sagt Helge Karch.

Ein Risiko, dass sich erneut Menschen mit dem Keim infizieren, sieht er vor allem darin, dass bereits infizierte Menschen, die nicht erkrankt sind, den Keim auf Nahrung übertragen, weil sie sich nach dem Toilettengang nicht gründlich die Hände gewaschen haben.

In Norddeutschland ist der gefährliche EHEC-Erreger nicht in Wasser nachgewiesen worden. Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen hat weiter abgenommen. Das Bundesinstitut zur Risikobewertung rät weiterhin, keine rohen Sprossen zu verzehren. Aufatmen kann der Geschäftsführer eines Frankfurter Gemüsehofs, der nach dem Fund eines anderen EHEC-Erregers gesperrt worden war: Der Mann darf seine Lebensmittel wieder verkaufen.

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