Wissenschaftler warnen: Die Folgen des Klimawandels wurden bisher völlig unterschätzt. Im Klimaschutz seien mehr Anstrengungen nötig.

London. Die Menschheit setzt den Ozeanen so stark zu, dass Wissenschaftler vor einem Massensterben im Meer warnen. Sie fordern daher größere Anstrengungen im Klimaschutz. Denn die Erwärmung der Meere, ihre Versauerung durch den mit dem CO2 zusätzlich aufgenommenen Kohlenstoff und Sauerstoffarmut durch Schad- und Nährstoffe haben zu Lebensbedingungen geführt, die den Verhältnissen während der fünf größten Massensterben von Meeresbewohnern in den vergangenen 600 Millionen Jahren ähneln.

Die prekäre Lage der Ozeane schildert der Bericht einer Fachtagung, zu der das Internationale Ozeanprogramm (IPSO), ein Zusammenschluss von Meeresforschern, an die Universität Oxford eingeladen hatte. "Die Aufnahmerate von Kohlenstoff ist bereits heute deutlich höher als zu Zeiten des letzten großen Artensterbens in den Meeren vor 55 Millionen Jahren", heißt es in dem Bericht. Damals seien unter manchen Tiergruppen der Tiefsee bis zur Hälfte der Arten ausgestorben.

Korallenbleiche zerstörte im Jahr 1998 16 Prozent aller tropischen Riffe

Die Forscher sehen erste Anzeichen, dass ein großes Artensterben in den Ozeanen bereits eingesetzt haben könnte, speziell unter den Riffe bildenden Korallen. Seit einigen Jahren berichten Forscher von der sogenannten Korallenbleiche: von Riffen mit flächenhaft weißen (weil abgestorbenen) Korallen. Die Kalk bildenden Steinkorallen leiden offenbar direkt unter der Erwärmung ihrer Umwelt und zusätzlich an der Versauerung des Wassers. "Ein einziges Ereignis von massenhafter Korallenbleiche zerstörte im Jahr 1998 16 Prozent aller tropischen Korallenriffe", so der Bericht, der die Erkenntnisse von 50 kürzlich beendeten Studien zusammenfasst.

Die CO2-Aufnahme der Meere steige schneller, als pessimistische Szenarien bislang vermuten ließen. Der Klimawandel sei unterschätzt worden, das zeige die deutlich beschleunigte Eisschmelze etwa in der Arktis und auf Grönland. Auch andere Schädigungen überforderten die Regenerationskraft der Meere. So hätten einige kommerzielle Fischbestände um mehr als 90 Prozent abgenommen, und vor allem in küstennahen Meeresregionen treten in den jüngsten Jahrzehnten vermehrt Algenblüten oder sauerstoffarme, sogenannte tote Zonen auf. Und: Die negativen Einflüsse verstärkten sich gegenseitig, warnen die Wissenschaftler.

Forscher sehen erste Anzeichen, dass ein großes Artensterben in den Ozeanen bereits eingesetzt haben könnte.

Die Überfischung von Riffbewohnern, die sich von Algen ernähren, aber auch Nährstoffeinträge und Schadstoffattacken tragen dazu bei, dass sich diese Ökosysteme weniger gut erholen könnten, wenn Riffbereiche in besonders warmen Wetterperioden absterben. Das saurere Wasser kann Schwermetalle besser verfügbar machen. Ein weiteres Problem sind die mikroskopisch kleinen Reste von Plastikabfällen. Sie werden von vielen Meeresbewohnern wie Plankton als Nahrung aufgenommen. Zusätzlich lagern sich an ihnen Schadstoffe an, sodass nicht nur die Kunststoffe die Organismen schwächen, sondern auch die mitverschluckten schädlichen Substanzen.

Dabei ist nicht nur das Überleben einzelner Arten bedroht, sondern die Zukunft von Ökosystemen und Nahrungsnetzen, die zunehmend aus dem Gleichgewicht geraten. Bereits heute beobachten Forscher, dass Korallenriffe vielerorts allmählich durch Algen überwuchert werden, die von dem nährstoffreicheren Wasser profitieren. Und in der Meeresfauna profitieren vor allem niedere Arten von der Überfischung, etwa Quallen. Sie und ihre Larven werden von höher stehenden Gliedern der Nahrungskette, den Fischen, nicht mehr so intensiv weggefressen.

"Unsere Erkenntnisse sind schockierend", urteilt Dr. Alex Rogers, Wissenschaftlicher Direktor der IPSO. "Als wir die kumulativen Effekte der negativen menschlichen Einflüsse untersuchten, stellten wir fest, dass die Auswirkungen weit größer sind als die Summe jeder einzelnen Schädigung."

Lösungen sind vorhanden, aber gesellschaftlich kaum durchsetzbar

Die Lösungen, die zu einem besseren Schutz der Meere führen würden, seien alle bekannt, betonen die Forscher. Doch die heutigen gesellschaftlichen Wertvorstellungen hinderten die Menschheit daran, die Probleme effektiv zu bekämpfen. Das gelte gerade auch für den Klimaschutz. "Je länger wir zögern, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, desto höher muss später die jährliche Reduktionsrate liegen. Und das wird die Kosten des Klimaschutzes erhöhen", heißt es in dem Bericht. Weiter fordern die Experten eine nachhaltigere Fischerei, die Ausweisung von Meeresschutzgebieten, eine strikte Beschränkung und Kontrolle von Schadstoffeinträgen und Öl- und Gasgewinnung sowie eine Meeresraumplanung mit Umweltverträglichkeitsprüfungen. (abendblatt.de)