Unterwasserarchäologen der Universität erkunden in Mexiko ein unterirdisches Höhlensystem, um Spuren aus der Frühzeit zu finden.

Kiel. Wenn Florian Huber mit seinem Team in die Unterwelt abtaucht, verlegt er eine Rettungsleine entlang des Weges; zusätzlich platziert er Pfeile an jeder Abzweigung. Selbst wenn jetzt sämtliche Lampen ausfielen, könnten sie sich in der Dunkelheit zurück zum Einstieg hangeln. Es ist nur eine von vielen Sicherheitsmaßnahmen; Huber kennt die Gefahr. Doch zugleich ist der 35 Jahre alte Forscher gefesselt; die Neugierde treibt ihn immer wieder in die Tiefe - auf der Suche nach uralten Schätzen.

Huber lehrt als Unterwasserarchäologe am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Kiel; einen Teil seiner Forschung betreibt er jedoch in Mexiko, im Norden der Habinsel Yucatán. An der Oberfläche wuchert der Dschungel, unter der Erde erstreckt sich ein gewaltiges Labyrinth aus Tunneln und Kalksteinhöhlen. Einen kleinen Teil davon, etwa 1000 Kilometer, haben Taucher bisher kartiert; womöglich mehr als 10 000 Kilometer liegen noch vor ihnen. Huber und seine Mitarbeiter sind die ersten deutschen Wissenschaftler, die diese Höhlensysteme erkunden, gefördert von der Lighthouse Foundation. Derzeit bereiten die Kieler ihre nächste Expedition vor, die im September stattfinden soll.

Vor 10 000 Jahren lag der Meeresspiegel noch 65 Meter tiefer; die Höhlen müssen damals trocken gewesen sein, denn sonst hätten dort nicht die meterlangen Tropfsteine wachsen können, über die Forscher wie Huber heute staunen. Doch mit dem Abschmelzen der Gletscher am Ende der letzten Eiszeit wurden die unterirdischen Gänge überflutet. Durch Einstürze der Erdoberfläche in die Höhlen entstanden schachtartige Löcher, sogenannte Cenoten. Die Maya, die sich ab 2000 vor Christus im Süden und Osten des heutigen Mexikos ausbreiteten und in ihrer Blütezeit in den ersten Jahrhunderten nach Christus auch Teile von Belize, Guatemala und Honduras beherrschten, schöpften aus den Cenoten ihr Trinkwasser und nannten sie deshalb "heilige Quellen".

Einige Cenoten waren aber auch Schauplatz grausamer Rituale: Um ihre Götter gnädig zu stimmen, opferten die Maya dort Männer, Frauen und sogar Kinder. Darauf deuten Skelette hin, die zusammen mit Opferbeigaben wie Gold und Jade in der Cenote Sagrado entdeckt wurden, nahe der Ruinenstätte Chichén Itzá. Wiederum andere Höhlen dienten den Maya wahrscheinlich als Friedhöfe: Allein in der Cenote Las Calaveras fanden Forscher 126 Skelette ohne Opferbeigaben. Die Überreste stammen überwiegend von älteren Erwachsenen, die im zweiten und dritten Jahrhundert nach Christus lebten. Lange dachten Archäologen, dass Yucatán erst ab 3000 vor Christus besiedelt wurde. Tatsächlich lebten dort schon viel früher Menschen, wie Florian Huber und sein Team zeigen konnten.

Ihre erste Expedition 2009 führte sie unter anderem in die Gänge des mehr als 30 Kilometer langen Höhlensystems Toh Ha. Dort nahmen die Forscher Proben von einer Feuerstelle unter Wasser. Mithilfe der sogenannten Radiokohlenstoffdatierung (C14-Methode) datierten sie die Probe auf 6400 vor Christus.

Nicht nur das Alter, auch der Zustand der Feuerstelle ist erstaunlich: "Die Holzkohle sieht so aus, als sei sie gerade erst verlassen worden", erzählt Huber. "Daraus schließen wir, dass die Überflutung der Höhlen extrem langsam vor sich gegangen ist, Millimeter für Millimeter. Andernfalls wäre die Holzkohle verteilt gewesen." Für Huber ist die Feuerstelle ein Beleg, dass die Höhlen lange vor den Maya auch als Wohnstätten genutzt wurden. Bei ihrer zweiten Expedition 2010 untersuchten sie vier Skelette in einer anderen Höhle. Eine Probenanalyse ergab: Diese Überbleibsel stammen sogar aus der Zeit um 10 000 vor Christus. Die embryonale Haltung der Skelette deute auf eine Bestattung hin, sagt Huber. Das heißt, auch lange vor den Maya wurden die Höhlen vermutlich schon als Friedhöfe genutzt. Davon abgesehen ist allerdings weitestgehend unklar, was in Yucatán von 10 000 vor Christus bis zur Besiedelung durch die Maya 8000 Jahre später geschah. Mit jedem neuen Fund in den Cenoten, den sie in einer Datenbank festhalten, wollen die Kieler Forscher die Vergangenheit besser verstehen. Neben menschlichen Knochen und Kohle finden sie unter Wasser immer wieder auch Keramiken, Schmuck und Überreste von Tieren; sogar Elefantenskelette waren schon darunter. Wie und warum die Tiere dorthin kamen, ist den Forschern noch ein Rätsel, wie so vieles in den Cenoten.

Und sie kommen nur langsam voran, denn die Tauchgänge sind aufwendig. An Seilen lassen die Forscher 300 Kilo Ausrüstung ins Wasser: Tauchermasken, Luftflaschen, Luftregler, Lampen - jeweils zweimal für jeden Taucher, "denn wir müssen unter Wasser im Notfall alles austauschen können", sagt Huber. Dazu kommen noch propellergetriebene Unterwasser-Scooter für jeden Taucher.

Die Fundstellen sind bis zu einen Kilometer vom Einstieg entfernt. 20 Minuten brauchen die Kieler Forscher dafür mit den Scootern, mit Flossen eine Stunde. Durch manche Gänge können sich die Forscher gerade so hindurchzwängen, andere bieten so viel Platz wie ein U-Bahntunnel. Bis zu 60 Meter tief taucht Huber mit seinem Team; dabei staunt er jedes Mal über die "fantastische" Sicht. "Man sieht das Wasser teilweise gar nicht mehr, so rein ist es. Wenn dann noch die Tropfsteine das Licht unserer Lampen reflektieren, hat man das Gefühl, durch eine Kathedrale zu schweben."

Bei ihrer nächsten Expedition im September werden die Kieler Forscher durch die Cenote Las Calaveras tauchen und die 126 Skelette dort eingehender untersuchen. Außerdem wollen sie die Kartierung noch wenig erforschter Höhlensysteme fortsetzen. "Es gibt dort noch so viel zu entdecken", sagt Huber. Aber das brauche noch sehr viel Zeit, denn: "Das längste Höhlensystem erstreckt sich über 200 Kilometer. Unsere Luftflaschen reichen aber höchstens zur Erkundung eines Kilometers."