12.000 Deutsche warten auf ein Spenderorgan. Björn Schmalowski ist einer von ihnen, dem die Zeit wegläuft. Er wartet auf ein neues Herz.

Hamburg. Manchmal fühlt sich Björn Schmalowski wie ein Gefangener. Er sitzt auf seinem Bett in Zimmer 310 auf der Überwachungsstation. Er hört das Piepen der Monitore. Er sieht den Himmel zwischen den Backsteinfassaden der Universitätsklinik Eppendorf (UKE). Die Fenster sind nicht vergittert. Die Türen stehen offen. Er könnte gehen, jederzeit. Nach Hause gehen und sterben. Björn Schmalowski geht nicht. Er bleibt. Seit 81 Tagen ist er im UKE. Seine Situation ist lebensbedrohlich. Er braucht dringend ein neues Herz.

Die Hoffnung, sagt man, stirbt zuletzt. Sie stirbt alle acht Stunden in Deutschland, weil nicht rechtzeitig ein passendes Organ zur Verfügung steht. Das besagt die Statistik. Sie sagt auch, dass rund 12 000 schwer erkrankte Menschen in der Bundesrepublik auf ein Spenderorgan warten.

+++Organspende schenkt Leben+++

Björn Schmalowski steht seit zwei Jahren auf der Liste. Er ist 32 Jahre alt, schmächtig, blass. Die dunkelbraunen Haare trägt er kurz. Er war mal ein sportlicher Typ. Einer, der stundenlang durch die Wälder galoppiert, mit seiner Hündin am Strand gelaufen ist. Der im Garten gebuddelt und Buchsbäume gezüchtet hat. Heute kann er nicht einmal mehr die Gießkanne tragen. Je schlechter sein Gesundheitszustand wird, desto besser werden seine Chancen auf ein Organ. Am 16. März meldeten ihn die Ärzte im UKE "High Urgent". Das ist die höchste Dringlichkeitsstufe. Sechs herzkranke Patienten dieser Kategorie warten derzeit im UKE auf ein neues Organ. Bundesweit sind es 120.

"Der Patient wird sterben, wenn er nicht bald transplantiert werden kann", sagt sein Arzt, Prof. Hermann Reichenspurner. Reichenspurner, 52, ist Leiter des Herzzentrums im UKE, Sprecher der Deutschen Zentren für Herz- und Lungentransplantation und Mitglied der ständigen Kommission Organtransplantation in der Bundesärztekammer.

Die Zahlen seien ernüchternd: Auf eine Million Menschen in Deutschland kämen etwa 15 Spender. "Die Menschen beschäftigen sich nicht gern zu Lebzeiten mit ihrem Tod", sagt Reichenspurner. "Und folglich auch nicht mit dem Thema Organspende." Laut Umfragen seien drei Viertel der Menschen in Deutschland bereit, ein Organ zu spenden. Doch nur 25 Prozent dokumentieren ihren Willen in einem Organspendeausweis. Die Entscheidung müssen fast immer die Angehörigen treffen. Sie können lediglich über den Willen des Verstorbenen mutmaßen. "Und entscheiden sich deshalb oft dagegen", sagt Prof. Reichenspurner. 40 Prozent der Angehörigen lehnen ab.

"Ich will noch nicht sterben", sagt Björn Schmalowski. Er habe doch so viel an Leben nachzuholen. Er ist zwölf, als er das erste Mal spürt, dass sein Herz nicht in Ordnung ist. Die Ärzte stellen eine Herzmuskelschwäche fest. Die Diagnose hypertrophe Kardiomyopathie begleitet fortan sein Leben. "Die Herzwand zwischen den Herzkammern ist verdickt. Der Übergang vom Herz zur Hauptschlagader ist so eingeengt, dass das Blut nur unvollständig in den Körperkreislauf gepumpt werden kann", erklärt Schmalowski. 2004 sprechen die Ärzte erstmals über eine mögliche Transplantation. Fünf Jahre später wird der damals 29-Jährige auf die Warteliste gesetzt. Seinen Job als Bürokaufmann muss er aufgegeben.

Auf Station versucht Christine Oelschner den Patienten psychisch zu stabilisieren. Oelschner ist Transplantationsbeauftragte im UKE. Seit eineinhalb Jahren kümmert sie sich um die Menschen im Herzzentrum, die ein neues Organ brauchen. 24 Stunden, rund um die Uhr, ist sie für die Betroffenen erreichbar. Um Herrn Schmalowski mache sie sich ernsthaft Sorgen, sagt sie.

"Die Wartezeit auf ein neues Organ ist in Deutschland zu lang", sagt Prof. Reichenspurner. "Bei uns warten hochdringlich gemeldete Patienten in der Regel sechs Monate auf ein Spenderherz." In Spanien seien es zwei bis drei Tage. Dort gilt, anders als in Deutschland, die Widerspruchslösung. Demnach kommt grundsätzlich jeder am Hirntod Verstorbene als Organspender in Betracht - es sei denn, einer Organentnahme wurde ausdrücklich durch die jeweilige Person widersprochen. Diese Lösung wurde sowohl vom Deutschen Ethikrat als auch vom Deutschen Ärztetag befürwortet. Die Hamburger Gesundheitsbehörde lehnt die Widerspruchslösung hingegen ab. Sie spreche zu sehr gegen das Selbstbestimmungsrecht der Menschen.

Reichenspurner hat die Hoffnung nie aufgegeben, dass sich auch in Deutschland das Transplantationsgesetz ändern könne. Erst kürzlich plädierte der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier für die Einführung einer Entscheidungslösung. Sie sieht vor, jeden Bürger zu seiner Bereitschaft für oder gegen die Organspende zu befragen und diese Meinung auf dem Personalausweis, Führerschein oder der Krankenversicherungskarte zu dokumentieren. Die hessische und die bayerische Landesregierung gehen sogar noch weiter. Sie fordern, dass jeder Bürger als Organspender gelten soll, solange er oder Angehörige nicht einer Organentnahme ausdrücklich widersprochen haben. Ende Juni wollen sie einen entsprechenden Antrag auf der Gesundheitsministerkonferenz einbringen. In knapp einem Monat also.

Was ist schon ein Monat im Leben eines Menschen? Für Björn Schmalowski kann dieser Zeitraum über Leben und Tod entscheiden.