Die Festigkeit des Materials kann auf Knopfdruck zwischen hart und weich wechseln. Nützlich wäre diese Anwendung etwa in der Autoherstellung.

Hamburg. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Unfall mit einem Auto, dessen Blech nach einem Signal eines elektronischen Sensors weich werden kann - und damit mehr Energie absorbiert und die Insassen besser schützt. Den Sensor gibt es schon, er löst heute die Airbags aus. Und einem Forscherteam der TU Hamburg-Harburg ist es nun gelungen, per Knopfdruck Metall dazu zu bringen, seine Festigkeit zu ändern. "Im Labor können wir durch das Anlegen einer bestimmten elektrischen Spannung die Festigkeit von Gold verdoppeln beziehungsweise halbieren", sagt Prof. Jörg Weißmüller, Leiter des TU-Instituts für Werkstoffphysik und Werkstofftechnologie und Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum Geesthacht.

Die Materialtechniker entwickelten eine sehr spezielle Form von Gold. Dessen Struktur besteht aus einem Netzwerk winziger Partikel, deren Form unter dem Elektronenmikroskop an Erdnussflips erinnern, die jedoch nur Millionstel Millimeter messen. Sie bilden große Poren, die mit einem Elektrolyten, einer Strom leitenden Flüssigkeit, gefüllt sind. An der Oberfläche der Goldstrukturen sammeln sich Elektronen, die mit der Flüssigkeit interagieren - die Oberflächen bekommen eine Ladung. Deren Stärke entscheidet darüber, wie fest das Material ist. "Über die anliegende Spannung kann man die Ladungsmenge steuern", sagt Weißmüller. "Das ist das Prinzip der Halbleitertechnik, allerdings arbeiten wir hier mit viel größeren Ladungsdichten."

Durch das Anlegen von zwei unterschiedlichen Spannungswerten können die TU-Forscher ihr poröses Gold dazu bringen, wahlweise zwei Festigkeiten anzunehmen. Dabei ist das Material in einem Zustand doppelt so fest wie in dem anderen. Derzeit arbeiten sie mit winzigen Proben in Brikettform, mit Kantenlängen von einigen wenigen Millimetern. "In Zukunft ließen sich aus unserem Material aber auch Bleche herstellen", versichert Weißmüller.

Vorerst bleibt es allerdings beim Labormaßstab. Schließlich ist das teure Gold kein Werkstoff für Massenanwendungen. Doch bislang ist es unersetzlich. Das liegt am Herstellungsverfahren, das zu dem porösen Grundstoff führt. Weißmüller: "Wir nehmen eine Gold-Silber-Legierung, die wir uns selbst herstellen. Diese tauchen wir in ein Säurebad. Die Säure löst das Silber heraus. Übrig bleibt ein poröses schwarzes Gold. Es hat nur etwa ein Drittel des Gewichts von massivem Gold."

Bislang ist es den Forschern noch nicht gelungen, dieses nanotechnologische Verfahren mit unedleren Metallen durchzuführen. Sie sind im Vergleich zu Silber schwerer herauszulösen, weil sie leichter oxidieren, sagt der Werkstoffphysiker. Und selbst wenn dies gelänge, heißt das noch lange nicht, dass sich das Metall als Werkstoff eignet: "Viele Elektrolyten zersetzen unedlere Metalle."

Dennoch wollen die TU-Spezialisten im nächsten Schritt versuchen, unter Einsatz von speziellen Säuren und Elektrolyten ein Material aus Kupfer oder Nickel zu entwickeln, das durch einen Spannungswechsel seine Festigkeit verändert, möglichst um den Faktor zwei, den derzeitigen Maximalwert. Denn zu verlockend sind die denkbaren Anwendungen, etwa in der Autoherstellung. "Wenn Sie die Bleche im weichen Zustand biegen, brauchen Sie nur die halbe Kraft", sagt Weißmüller. "Bei der Autokarosse würde der feste Zustand dazu führen, dass die Teile dünner sein können als im weichen Zustand, um eine Mindestfestigkeit zu erreichen."

Noch sei die technische Anwendung eine Vision, betont Weißmüller. Aber das galt vor zehn Jahren auch für die Idee, überhaupt Materialeigenschaften mit elektrischer Ladung zu verändern.

Sie kam Weißmüller und Kollegen am Karlsruher Institut für Technologie mit Blick auf das Periodensystem der chemischen Elemente. Dort stehen Nickel, Kupfer und Zink an den Stellen 28 bis 30. Sie unterscheiden sich durch die Zahl der negativ geladenen Elektronen, die den positiv geladenen Atomkern umkreisen. Die Elemente haben sehr unterschiedliche Eigenschaften. "Unser Ansatz lautete: Wir bringen ein Elektron pro Atom in das Material ein und ändern damit seine Eigenschaften" - Strom ist nichts anderes als fließende Elektronen.

Zunächst wollten die Forscher die magnetische Eigenschaft steuern, doch damit kamen sie nicht weiter. Vor wenigen Jahren gelang es ihnen dann, die Lichtreflexionen zu variieren: Ihr Testmaterial war ebenfalls aus nanoskaligen Goldstrukturen aufgebaut. Der Werkstoff wurde durch Spannungswechsel mal durchsichtig, mal undurchsichtig - sie schufen quasi ein Fenster mit eingebauten Gardinen. Die wissenschaftliche Publikation dazu veröffentlichten sie im Dezember 2010.

Der nächste Erfolg folgte bald: die Variation der Festigkeit. Aber Jörg Weißmüller gibt sich auch damit nicht zufrieden, sondern denkt bereits weiter. Die Vorstellung, ein Material zu entwickeln, das sich selbst repariert, reize ihn sehr, gesteht er.

"Dahinter steckt das Prinzip, elektrische Potenziale an die Verformung von Metallen oder anderen Werkstoffen zu koppeln. Wenn sich das Material, etwa durch Ermüdung, irgendwo stärker verformt, müssten sich dort mehr Elektronen anlagern und dadurch seine Festigkeit wieder erhöhen. Das wäre dann die Selbstheilung von Werkstoffen", sagt Weißmüller.

Einsatzpotenzial sieht der Wissenschaftler in besonders zahlungskräftigen Branchen, die bereit sind, sehr teures Material zu verwenden: etwa in der Medizintechnik, beim Hochleistungssport oder auch im Flugzeugbau, so Weißmüller.