Die Açai-Frucht ist in aller Munde, zum Beispiel als Fitmacher. Experten sind skeptisch

Hamburg. "Açai-Saft?" Der Kollege ist begeistert. "Total lecker. Und irgendwie fühle ich mich danach auch fitter beim Karate." Er ist nicht der Einzige, der der dunkelvioletten Açai-Beere aus Amazonien gerade zur weltweiten Karriere verhilft, ob als Saft, Fruchtpulver oder in Kapseln und Tabletten verarbeitet. Für den Hamburger Händler Maximilian Baumann kommt dieser Boom etwas überraschend: "Ehrlich gesagt hatte ich damit nicht gerechnet!" Doch jetzt organisiert er Fruchtsaftbars in Einkaufszentren und freut sich über die Rückmeldungen von Kunden.

"Assa-ii", so wird der portugiesische Name ausgesprochen, scheint es in der Tat in sich zu haben. Es soll das Abnehmen erleichtern, Sportler fit machen, aber auch vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs schützen können. Ein Wundermittel? Experten sehen das etwas nüchterner. Den Blick auf ein einziges Lebensmittel und seine gesundheitsförderlichen Inhaltsstoffe halten viele für zu eng.

Die Beeren enthalten einen hohen Prozentsatz an Antioxidantien

Es geht um die Antioxidantien. Das sind Substanzen, die chemisch so gebaut sind, dass sie freie Sauerstoffradikale neutralisieren können, Moleküle, die ständig im Körper entstehen und unter anderem Plaquebildung an den Gefäßwänden und bösartige Entartung von Zellen auslösen können. Der Körper wehrt sich dagegen: Ein wirkungsvolles körpereigenes Enzymsystem sorgt ständig dafür, dass diese schädlichen freien Radikale "entschärft" werden. Weitere Antioxidantien werden mit der Nahrung aufgenommen: die Vitamine C, E und Betacarotin - und neben vielen anderen Pflanzeninhaltsstoffen auch die dunkelvioletten Anthocyane in der Açai-Beere, die tatsächlich besonders viel davon enthält. In hoch konzentrierter Form kann man sie auch als Nahrungsergänzung bekommen, als Pulver oder Tabletten. Die Absicht dahinter ist, mit möglichst vielen Antioxidantien viele der schädlichen freien Radikale zu vernichten. Vor allem beim Sport, denn intensive Körperarbeit ist oxidativer Stress und da entstehen viele freie Radikale.

Prof. Sascha Rohn, Lebensmittelchemiker an der Universität Hamburg, ist jedoch skeptisch, ob eine zusätzliche Zufuhr der Radikalefänger nötig ist. Er hat 2010 in einer Studie mit Jugendlichen nachgewiesen, dass selbst bei intensiver körperlicher Aktivität die Antioxidantien in einer normalen, abwechslungsreichen Ernährung ausreichen, um den nötigen Blutspiegel aufrecht zu halten. Rohn warnt davor, die Zusammenhänge zu vereinfachen. "Zu denken, man braucht nur nach dem einen Lebensmittel zu suchen, das reich an Antioxidantien ist, und damit schützt man sich dann gegen Zivilisationskrankheiten, ist eine extrem einfache Schlussfolgerung." Auch den Kampf im Körper - Antioxidantien gegen böse freie Radikale - gibt es Rohn zufolge so nicht. Im Gegenteil: "Der Körper braucht die freien Radikale dringend als Waffen in der Immunabwehr." Es gehe um die richtige Balance zwischen zu viel und zu wenig freien Radikalen.

Die vielen Fitnessgetränke und -kapseln, die alle Antioxidantien zum Abfangen der freien Radikale enthalten - meistens die Vitamine C und E - könnten möglicherweise sogar kontraproduktiv für Sportler sein. Bereits vor zwei Jahren wies der Ernährungswissenschaftler Prof. Michael Ristow aus Jena nach, dass die zusätzliche Gabe von antioxidativen Leistungssteigern die natürliche Anpassung des Körpers an den Trainingsreiz zunichtemacht. Gewisse Mengen an freien Radikalen scheinen nämlich notwendig zu sein, um die Empfindlichkeit der Körperzellen für Insulin und die Produktion von Gefäßschutz-Faktoren zu steigern. Erst die Anpassung an den oxidativen Stress bewirkt danach die gesundheitlichen Effekte von Sport. "Wer Sport treibt und hoch dosiert Antioxidantien einnimmt, der könnte auch auf dem Sofa sitzen bleiben", so Ristow in einem Interview mit dem Südwestrundfunk.

Die Wirkung mancher Präparate beruht auch auf weiteren Zusätzen

Wer trotzdem meint, über seine Ernährung nicht ausreichend antioxidative Substanzen zu bekommen, und Nahrungsergänzungsmittel einnehmen möchte, sollte auf der Packung genau auf die deklarierten Inhaltsstoffe gucken. Die angepriesenen leistungssteigernden Wirkungen verdanken nämlich die aus Açai-Beeren hergestellten Säfte oder Tabletten manchmal auch einem Koffeinzusatz. Besondere Vorsicht ist bei Bestellungen bei unbekannten Produzenten aus dem Internet angebracht. Mit dem guten Namen der Açai-Beere werden dort auch Stärkungs- oder Schlankheitsmittel verkauft, die - wenn sie aus dubiosen Quellen kommen - mit undeklarierten rezeptpflichtigen Substanzen wie zum Beispiel Sildenafil (Viagra) versetzt sein können. Der unabhängige Arzneiinformationsdienst "Gute Pillen - schlechte Pillen" warnt regelmäßig davor, Nahrungsergänzungsmittel über das Internet zu beziehen. Und noch etwas: "Der Saft muss schockgefroren und aseptisch abgefüllt werden, sonst können sich in der Hitze leicht Bakterien ansiedeln", betont Maximilian Baumann.

Was bleibt? Leider recht unspektakulär: Eine vielseitige Ernährung mit vielen natürlichen Antioxidantien in Obst und Gemüse ist der Königsweg zu Gesundheit, Abbremsen der Alterszipperlein und für gute sportliche Leistungen. Dazu kann auch der aromatische und frisch schmeckende Açai-Saft gehören, als ein gesundes, genussvolles Lebensmittel.