Bisher gibt es noch keine “normale“ Schädelform, an der sich Chirurgen bei der Korrektur von Fehlbildungen orientieren können.

Berlin. Eine hohe Stirn wird schnell mit Intelligenz verbunden, ein "Dickkopf" mit Starrsinn. Das von der VolkswagenStiftung geförderte Forschungsprojekt "SchädelBasisWissen" will jetzt untersuchen, durch welche Einflüsse unsere Idealvorstellung vom Schädel geprägt ist, und will Hilfestellungen für einen reflektierten Umgang mit Patienten in der plastischen Chirurgie geben.

"Entstanden ist die Idee daraus, dass es in der medizinischen Lehre für die chirurgische Korrektur von Schädelfehlbildungen bei Säuglingen keine Aussagen darüber gibt, wie ein 'normaler Schädel' aussehen soll. Dieses Thema ist in Deutschland, unter anderem durch die Geschichte der Rassentheorie, tabuisiert", sagt Prof. Sigrid Weigel, Direktorin des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung Berlin.

Jedes Jahr kommen in Deutschland mehr als 650 Kinder mit einer Schädelfehlbildung auf die Welt, die auf vorzeitige Verschlüsse der Schädelnähte zurückzuführen ist. "Von vorzeitigen Verschlüssen der Schädelnähte ist etwa jedes tausendste Kind betroffen. Sie führen immer zu deutlich sichtbaren Verformungen des Schädels", sagt Privatdozent Dr. Ernst-Johannes Haberl, Leiter des Arbeitsbereiches pädiatrische Neurochirurgie an der Berliner Charité, der zusammen mit Prof. Weigel das Forschungsprojekt leitet.

Solche Deformationen entstehen durch spontane Defekte im Erbgut des Kindes. Sie führen dazu, dass an manchen Schädelnähten die für ein gleichmäßiges Schädelwachstum erforderliche Knochenproduktion nicht mehr stattfindet. "Wenn das einseitig passiert, zum Beispiel an der Stirn, kann es sein, dass die eine Hälfte der Stirn nicht wächst und die andere Hälfte ausgleichend eine übertriebene Rundung zeigt. Damit wird die Asymmetrie weiter verstärkt", sagt Haberl, der zusammen mit seinen Kollegen in seiner Abteilung etwa zwei Kinder pro Woche mit solchen Fehlbildungen operiert.

Denn durch einen komplexen chirurgischen Eingriff kann die Fehlbildung, die sich gravierend auf das Erscheinungsbild, sehr selten aber auf die geistige Entwicklung des Kindes auswirkt, korrigiert werden. "Weil es aber keine ästhetische Diskussion gibt, haben wir keine Kriterien dafür, wie der Schädel nach der Operation aussehen soll. Das liegt völlig im Ermessen des Chirurgen", sagt Haberl.

In dem Forschungsprojekt soll nun herausgefunden werden, ob man überhaupt Normen aufstellen kann. "Dabei wollen wir auch untersuchen, welche Kriterien Chirurgen bei ästhetischen Entscheidungen tatsächlich anwenden, welche Vorstellungen die Eltern haben, und was es für die Biografie des Kindes bedeutet, dass seine Kopfform verändert wurde. Am Ende, so hoffen wir, können wir den Chirurgen Kriterien an die Hand geben, an denen sie sich orientieren können", erklärt Haberl zu den Zielen des Projekts.

Zusammen mit Medizinethnologen und Kunsthistorikern wollen Weigel und Haberl das historisch verankerte Wissen aufarbeiten, das die Vorstellungen über ein angenehmes Erscheinungsbild prägt, ohne jedoch in der medizinischen Praxis reflektiert zu werden. Ziel des Projekts sei es, so Weigel, Patienten und Ärzte in die Lage zu versetzen, ihre Entscheidungen aufgrund klarerer Vorstellungen vorzunehmen - "durch mehr Wissen über kulturelle Zusammenhänge und Zuschreibungen, die man unwillkürlich vornimmt, wenn man sein Gegenüber anschaut".

Die Eltern haben oft einfach nur den Wunsch, dass ihr Kind "normal" aussieht. "Wir wollen erreichen, dass sie sich auf der Basis besseren Wissens mit dieser Vorstellung auseinandersetzen können", sagt Weigel.