Wilder Tabak wandelt Duftstoffe von Schädlingen in einen Geruch um, auf den Insektenfresser anspringen

Jena/Hamburg. Kaum auf der Welt, machen sich die Raupen des Tabakschwärmers gierig über ihre Leibspeise her: Tabakblätter. Das Nikotin in den Blättern kann ihnen nichts anhaben, sie sind immun gegen das für andere Tiere tödliche Nervengift. Das große Fressen ist trotzdem für einige Raupen schnell vorbei - zumindest, wenn sie von den feinen Härchen auf den Blättern gekostet haben. Dann nämlich verströmen die Raupen einen Geruch, der ihre Feinde anlockt: Raubwanzen, die nun ihrerseits zulangen - und die Pflanze befreien.

"Es sind teuflische Leckerbissen, die die Pflanze den Raupen serviert", sagt Prof. Ian Baldwin, der den Mechanismus entdeckt und auf der Wissenschaftskonferenz AAS in Washington vorgestellt hat. Der Forscher vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena erforscht seit bald 20 Jahren die Interaktion von Pflanzen und Insekten. Seine neuen Erkenntnisse zeigen, dass Pflanzen Schädlingen nicht wehrlos ausgeliefert sind, sondern ein raffiniertes Verteidigungssystem besitzen.

Bereits 2010 hatte Baldwin Erkenntnisse aus Freilandstudien im renommierten Fachmagazin "Science" veröffentlicht, wo er darlegte, wie wilde Tabakpflanzen (Nicotiana attenuata) überhaupt merken, dass Fressfeinde sie angreifen - und wie sie dann direkt auf die Bedrohung reagieren. Die Raupen des Tabakschwärmers verraten sich den Pflanzen durch ein verdauungsförderndes Sekret in ihrem Speichel, das sie beim Fressen in die Blätter abgeben. Dort geschieht Erstaunliches: Innerhalb von 24 Stunden nach der Raupenattacke wandelt die Pflanze mithilfe des Raupensekrets einen Duftstoff in ihren Blättern in einen anderen Duftstoff um, den sie dann an die Luft abgibt. Dieser als (E)-2-Hexenal bezeichnete Molekülkomplex zieht insektenfressende Schlupfwespen und Raubwanzen an, die nicht nur die frisch geschlüpften Raupenbabys vertilgen, sondern auch die vom Muttertier abgelegten Eier.

Doch damit nicht genug: Offenbar setzen sich Pflanzen auch indirekt zur Wehr, wie Prof. Baldwin in einer noch unveröffentlichten Studie berichtet, die zurzeit noch von der US-Fachzeitschrift "PNAS" begutachtet wird. In Freilandstudien im US-Bundesstaat Utah beobachtete er mit seinen Mitarbeitern, dass sich die Tabakschwärmerraupen nach dem Schlüpfen zuallererst über die feinen Härchen der Tabakblätter hermachten. Diese sogenannten Trichome kommen in unterschiedlicher Form bei allen Pflanzen vor und enthalten Sekundärmetabolite.

Lange glaubten Forscher, diese chemischen Stoffe seien Abfallprodukte des Stoffwechsels in Pflanzen. Tatsächlich setze zumindest der wilde Tabak Sekundärmetabolite auch zur Verteidigung ein, indem er den Raupen mit den Stoffen eine Art Parfüm unterjubele, sagt Baldwin. Das verräterische Odeur, das die Raupen nach ihrem Mahl verströmten, konnten die Forscher sogar selbst riechen. "Das ist ein ähnlicher Effekt, wie wenn wir Spargel essen - nur dass wir durch den speziellen Geruch des Urins anschließend keine Raubtiere anziehen", sagt Baldwin.

Ganz anders die Tabakschwärmerraupen, die nun ungewollt ins Blickfeld ihrer Feinde geraten. Über solche Verteidigungsmechanismen verfügen kultivierte Tabakpflanzen nicht; sie müssen mit Chemikalien vor Schädlingen geschützt werden. Deshalb konzentriert sich Ian Baldwin bei seiner Forschung auf wilde Pflanzen. Die Erkenntnisse, sagt er, könnten eines Tages helfen, kultivierte Tabakpflanzen gentechnisch widerstandsfähiger zu machen und ihnen beizubringen, ähnlich gegen Schädlinge vorzugehen wie ihre wilden Verwandten.

Während wilde Tabakpflanzen auf die Jungtiere des Tabakschwärmers, die Raupen, abwehrend reagieren, machen sie sich die erwachsenen Tiere zunutze. Weil die nachtaktiven Motten als Bestäuber fungieren, die Pollen von anderen Pflanzen herantragen, werben die Tabakpflanzen sogar regelrecht um die Besucher, indem sie ihre Blüten nachts öffnen und dann vermehrt blumig-süß riechendes Benzylacetat produzieren. Quasi als Belohnung für die Bestäubung lassen sie die Motten auch von ihrem Nektar kosten. Dummerweise kommen zumindest die Mottenweibchen nicht nur zum Bestäuben, sondern legen bald Eier auf der Pflanze ab, aus denen hungrige Babys schlüpfen. Dann ändert die Pflanze ihre Strategie: Sie öffnet ihre Blüten tagsüber und fährt die Produktion von Benzylacetat stark zurück.

Wissenschaftler nehmen an, dass Pflanzen mit chemischen Signalstoffen nicht nur auf Insekten reagieren, sondern auch untereinander kommunizieren. Allerdings stehen die Forscher hier noch am Anfang. Zunächst einmal gilt es genauer zu klären, wie chemische Signalstoffe überhaupt innerhalb einer Pflanze wirken. Es sei aber wahrscheinlich, dass Pflanzen vor allem über ihre Wurzeln miteinander sprächen, sagt Prof. Ian Baldwin. "Im Erdreich sind winzige Luftkapseln eingeschlossen. Dort treffen Wurzeln von verschiedenen Pflanzen aufeinander - und dort könnten sie über gasförmige Signalstoffe zielgerichtet Informationen austauschen, während an der Luft immer die Gefahr besteht, dass der Wind die Stoffe verweht."