In jungen Jahren hadern Eltern oft mit ihrem Nachwuchs, doch ab 40 sehen sie Kinder zunehmend als Bereicherung

Berlin. Eltern stecken unendlich viel Zeit in ihren Nachwuchs. Sie verbringen halbe Nächte im Kinderzimmer, wenn die Kleinen fiebrig gegen die Windpocken kämpfen. Eltern verschenken ihre Geduld. Sie erklären 100-mal mit ruhiger Stimme und Rotz an der Hand, dass Mama die benutzten Taschentücher nicht zurückhaben möchte. Und Eltern geben für ihre Kinder viel Geld aus. Das fängt beim Kinderwagen an und findet oft beim Auslandsstudium kein Ende.

Ob sich die "Investition Kind" in der Lebenszeit der Eltern auszahlt, ist nicht garantiert, und doch behaupten viele Eltern, dass Kinder sie glücklich machten. Empirische Studien scheinen allerdings das Gegenteil zu belegen: Ihnen zufolge sind Eltern im Vergleich zu ihren kinderlosen Mitmenschen unzufriedener.

Die Psychologen Richard Eibach und Steven Mock von der University of Waterloo in Kanada versuchten, den scheinbaren Selbstbetrug des Elternglücks nachzuvollziehen. Dazu sprachen sie mit 80 Eltern aus den USA, die minderjährige Kinder haben. Die Forscher konzentrierten sich bei ihren Fragen auf die finanziellen Bürden, welche die Eltern mit ihrem Nachwuchs auf sich nahmen.

Wie Eltern zu ihren Kindern stehen, ist offenbar auch eine Frage des Geldes

Der einen Hälfte der Eltern zeigten die Wissenschaftler ein Dokument, das die Kosten der Erziehung in den Vereinigten Staaten schwarz auf weiß zeigte: 190 000 US-Dollar pro Kinderkopf. Die andere Probandengruppe bekam dieselben Informationen, allerdings erzählten die Wissenschaftler diesen Eltern auch von den finanziellen und sozialen Vorteilen, die Kinder mit sich bringen, etwa, dass sie den Eltern helfen können, wenn diese alt und gebrechlich werden. Je schlechter sich die Eltern beim Anblick der Zahlen fühlten, desto mehr idealisierten sie im Anschluss ihr Elternglück. Gleichzeitig schätzten sie die Investitionen in ihren Nachwuchs aber auch und wollten sie so gut wie möglich nutzen. Diejenigen, die sich viele Gedanken ums Geld machten, genossen die gemeinsame Zeit am meisten und wünschten sich mehr davon.

Am Anfang müssen Eltern einige Mühen meistern, bevor es leichter wird

"Ich verstehe die gemeinsame Zeit als Luxus für mich und meine Kinder", sagt Johanna Kaiser, 29, aus Heilbronn. Seitdem sie ihr Studium beendet hat, kümmert sie sich um ihren Sohn Ruben, 5, und ihre Tochter Irina, 2. Mutter zu sein, daran habe sie sich erst gewöhnen müssen. Die Schwangerschaft mit Ruben sei nicht geplant, aber dennoch willkommen gewesen. Kaiser stand kurz vor ihrer Zwischenprüfung ihres Studiums in Kulturanthropologie. Sie und ihr Freund hatten zudem gerade beschlossen, zu heiraten.

Nach der Geburt änderte sich ihr Leben deutlich: Sie setzte ein Semester an der Universität aus und passte danach ihren Stundenplan dem neuen Tagesrhythmus an. Sie lernte nachts, tagsüber kümmerte sie sich um Ruben.

Im ersten Jahr finanzierte sich die junge Familie durch Studentenjobs ihres Mannes. Dann gab er sein Studium auf und fing an zu arbeiten. Ihre Partnerschaft änderte sich, denn es ging nicht mehr nur um sie als Paar. "80 Prozent der Streitigkeiten haben mit Kindererziehung zu tun", sagt Johanna. Ob sie genauso glücklich ist wie ihre kinderlosen Freunde? "Es sind zwei verschiedene Welten", sagt Johanna.

"Kinder machen glücklich, wenn man von vornherein Spaß an Kindern hat", sagt Brigitte Rollett von der Universität Wien, emeritierte Professorin für Familienpsychologie. Oft unterschätzten junge Eltern jedoch Probleme, die durch den Nachwuchs entstünden. "Kinder zu haben bedeutet, nie mehr allein zu sein", sagt Rollett. Als Mutter von drei Kindern hat sie eine einfache Formel für den Zeitpunkt, ab wann der Nachwuchs das Leben bereichern kann: "wenn es keine Katastrophe ist, dem Kind ein paar Schuhe kaufen zu müssen". Damit Kinder nicht zur Belastung würden, müssten die finanziellen Voraussetzungen stimmen.

Zu diesem Ergebnis kam auch Mikko Myrskylä vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock. Er untersuchte Daten aus diversen Studien mit insgesamt 200 000 Frauen und Männern aus 86 Ländern. Sein Eindruck: "Wenn man die Ergebnisse älterer Zufriedenheitsstudien betrachtet, scheint es ein wissenschaftliches Paradox zu sein, warum sich Menschen überhaupt noch fortpflanzen." Myrskylä glaubt aber, der Lösung des Rätsels nähergekommen zu sein. Der Nachwuchs, so sieht es der Demografieforscher, sei eine Langzeitinvestition ins Glück."Junge Eltern fühlen sich oft eher erbärmlich", sagt Myrskylä. Wer vor dem 30. Geburtstag für seinen Nachwuchs sorgen müsse, sei im Durchschnitt unglücklicher als kinderlose Altersgenossen. Und je mehr Kinder Eltern in jungen Jahren bekämen, desto unzufriedener seien sie mit ihrem eigenen Leben. Doch dieses Verhältnis kehre sich um, je älter die Eltern würden: Ab 40 Jahren bedeuteten mehr Kinder auch mehr Glück. Wenn der Nachwuchs über die Pubertät hinweg sei und der Ablösungsprozess von den Eltern beginne, verändere sich die familiäre Beziehung allmählich, sagt Myrskylä. Kinder gäben dann mehr an die Eltern zurück, als diese in den Nachwuchs steckten. Eltern hätten dann die Gewinnschwelle ihrer Investition erreicht, sagt Myrskylä: "Sie können zurückblicken und sagen, dass es wohl eine gute Idee war, vor 20 Jahren Kinder bekommen zu haben", sagt Myrskylä.

Wer viele Kinder hat, profitiert davon vor allem im hohen Alter

Als Großeltern seien Kinderreiche besonders glücklich. Erstens könnten sie sich im Alter auf ihre Kinder verlassen. Außerdem könnten sie nun das Großelternglück auskosten: mit den Enkeln spazieren gehen, spielen, die Zeit genießen. Durchwachte Nächte gehörten nun ihren Kindern. Das perfekte Kinderglück im Alter gelinge allerdings nur, wenn die Großeltern fit genug seien, um mit ihren Enkeln mitzuhalten. Deswegen rät Familienpsychologin Rollett, nicht zu lange mit dem Kinderkriegen zu warten

Die junge Mutter Johanna Kaiser sieht trotz einiger Härten viele schöne Seiten: "Man bekommt sehr viel Liebe von den Kindern, vielleicht mehr, als man eigentlich verdient." Ihre Kinder schenkten ihr unendliches Vertrauen. "Dieses Vertrauen nicht zu missbrauchen lässt mich wachsen." Gleichzeitig könne sie bei ihren Kindern wieder selbst Kind sein, Verstecken spielen, sich lachend auf dem Teppich kugeln.

Ihre Ehe habe sich entwickelt, erzählt Kaiser. Nun gestalten sie und ihr Mann gemeinsam die Zukunft für ihre Familie. Die ersten drei Jahre mit ihrem Sohn Ruben seien glücklich gewesen - so glücklich, dass Kaiser kurz vor Ende ihres Studiums noch ein Kind haben wollte. Bald darauf kam ihre Tochter Irina zur Welt.