Das menschliche Abwehrsystem braucht den ständigen Kontakt mit Krankheitserregern, um fit zu bleiben. Grippewelle ebbt langsam ab.

Lübeck/Bern. Noch grassiert die Grippewelle, auch wenn das Robert-Koch-Institut erste Zeichen dafür sieht, dass sie allmählich abebbt. Auch wenn die damit verbundenen Symptome sehr unangenehm sind: Das Immunsystem ist Meister in der Keimbekämpfung und trainiert sich durch den Kontakt mit Krankheitserregern.

Die Welt da draußen ist feindlich - zumindest aus medizinischer Sicht. Dort lauern Heerscharen von Bakterien, Pilzsporen und Viren auf jede sich bietende Chance, den Menschen zu besiedeln. Dank unserer Abwehrkräfte führten "nur die wenigsten Infektionen zu spürbarer Krankheit", sagt Werner Solbach, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Geschieht dies, setzt sich unser Körper mit dem Erreger auseinander, auf Kosten der übrigen Leistungskraft. Folge: Wir fühlen uns schlapp. "Wenn der Körper es schafft, den Erreger abzuwehren, ob mit oder ohne Hilfe von Antibiotika, ist er anschließend für eine längere Zeit vor einem Zweitangriff gefeit, manchmal sogar lebenslang", sagt der Lübecker Mikrobiologe. Insofern habe jede Infektionskrankheit "auch etwas Gutes".

Dass wir ständig mit Keimen, darunter auch gefährlichen, in Kontakt kommen, lässt sich nicht vermeiden. "Unsere Lunge allein hat die Oberfläche eines Tennisplatzes", sagt der Molekularbiologe Beda Stadler, Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern. Mit jedem Atemzug bestehe deshalb die "große Chance, dass die Lungenschleimhaut mit ihr bis dahin unbekannten Keimen oder Allergenen in Kontakt kommt - und natürlich mit all dem, was der Körper bereits kennt".

Unter dem mikrobiellen Sperrfeuer laufe das Immunsystem ständig auf Hochtouren, so der Impfstoff-Experte. "Es kann gar nicht anders, als fortwährend zu 100 Prozent aktiv zu sein." Die Schleimhaut von Darm und Lunge gehören im Grunde zu unserer Außenhaut. "Der Darm ist letztlich nur ein Rohr, das durch uns hindurch geht", urteilt Stadler. Deshalb enthalte die Darmschleimhaut auch den allergrößten Teil unserer Antikörper vom Typ Immunglobulin A (IgA). Unsere Gesundheit wird also ganz wesentlich in der Darmwand verteidigt.

Dabei ist es völlig normal, dass ein Keim oder ein allergisch wirkender Stoff die massive Immunbarriere zu durchdringen versucht. Stadler: "Schon wenn jemand ein Jahr lang keine Banane mehr gegessen hat und dies plötzlich wieder tut, muss seine Körperabwehr sich immunologisch mit der Banane auseinandersetzen." Die Körperabwehr müsse dann quasi ihr "Gedächtnis für die richtige Immunantwort auf eine Banane auffrischen". Damit das Immunsystem auf Zack ist, muss es sich ständig fortbilden, sonst vergisst es, was es an Abwehrmaßnahmen gelernt hat. Pro Sekunde vollführt unsere Körperabwehr "etwa eine Million Genmanipulationen, um neue Antikörper herzustellen und die geeigneten zu vermehren, damit wir auf dem letzten Stand der Erkennung von eigener und fremder Körpersubstanz bleiben und möglichst immer die passende Immunantwort zur Verfügung haben", so Stadler.

Das gilt auch für Erkältungen. Mehr als 200 verschiedene Viren können das meist ungefährliche, aber lästige Leiden auslösen. Doch auch Erkältungsviren muss unser Immunsystem möglichst ständig begegnen, um wirksam gegen sie vorgehen zu können. Je seltener unsere Abwehrkräfte in Kontakt mit den Viren kommen, desto geringer ist unser Restschutz gegen das angreifende Virus. Ohne Dauerkontakt mit einem Keim oder einem Allergen vergisst unser Immunsystem die richtige Antwort auf den Reiz.

Während der Lübecker Mikrobiologe Werner Solbach schon das Training durch Erkältungen "Immunjogging" nennt, hält Stadler den Dauerkontakt mit den jeweiligen Reizen für maßgeblich. Der Ansicht, dass schon ein gelegentlicher Schnupfen nützlich sei, entgegnet er: "Wir müssen schon ständig mit den betreffenden Erregern oder mit allergenen Eiweißstoffen im Kontakt sein, nicht nur einmal im Jahr."

Mit einigen gefährlichen Erregern sollte man sich allerdings "möglichst nie auseinandersetzen, weil man gar keine oder nur eine geringe Chance hat, lebend davonzukommen, so etwa beim Aids-Erreger HIV." Oder es drohen zeitversetzt ernsthafte gesundheitliche Probleme wie bei manchen Kinderkrankheiten. "Wer bestimmte Infektionskrankheiten durchmacht, ist zwar nachher geschützt, trägt aber das Risiko von Spätfolgen", sagt Stadler. Er rät klar zur Impfung gegen Kinderkrankheiten: "Sich impfen zulassen, ist in jedem Fall weniger gefährlich, als die betreffende Krankheit durchzumachen."