Im Projekt “Mückenlandkarte“ untersuchen Hamburger Forscher, ob heimische Insekten Tropenkrankheiten übertragen

Hamburg. Bald geht es wieder los mit dem Surren, mit schlaflosen Nächten und juckenden Armen und Beinen. Stechmücken sind eine wahre Plage, doch wirklich gefährlich sind sie in Deutschland nicht. Noch nicht. Eine Klimaerwärmung in Mittel- und Nordeuropa könnte möglicherweise dazu führen, dass tropische Mücken bei uns einwandern - oder dass einheimische Mücken lernen, gefährliche Krankheitserreger, wie zum Beispiel das West-Nil-Virus, zu übertragen. Das Bernhard-Nocht-Institut (BNI) in Hamburg und das Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut (SDEI) in Müncheberg wollen dieser Frage auf den Grund gehen und gemeinsam eine "Mückenlandkarte" erstellen. Diese soll genau zeigen, welche Mücken es in Deutschland gibt. Parallel dazu wird erforscht, ob deutsche Mücken überhaupt in der Lage sind, tropische Viren übertragen zu können.

"Wir brauchen verlässliche Daten, die es uns ermöglichen, einen Ausbruch neuer Seuchen rechtzeitig erkennen und vorbeugen zu können", sagt Prof. Egbert Tannich, Leiter der Abteilung Molekulare Parasitologie am BNI. Die beiden Kooperationspartner sind für diese Aufgaben bestens ausgerüstet: Das SDEI verfügt über eine weltweit einmalige Insektensammlung, und die virologische Abteilung des BNI bringt als Kooperationspartner der Weltgesundheitsorganisation (WHO) langjährige Erfahrung in der Diagnostik von Viren ein. In den Hochsicherheitslaboratorien des BNI können auch gefährliche, neu importierte Viren wie zum Beispiel Ebola- oder West-Nil-Virus untersucht werden.

Noch gibt es keine durch Mücken übertragenen Krankheiten in Deutschland. Das liegt an mehreren günstigen Faktoren, die sich aber durchaus ändern können. Zum einen ist allein die reine Anzahl an Mücken mit 45 Arten in Deutschland viel geringer als in den warmen Ländern, in denen es viel mehr Arten und Variationen gibt. "Zum anderen müssen es Mücken sein, die sowohl bei Vögeln als auch bei Menschen saugen. Das ist sehr selten", sagt Tannich. Damit eine Infektion zum Beispiel mit dem Denguevirus oder dem West-Nil-Virus stattfinden kann, müssen die Mücken als Überträger oder Wirt für das Virus geeignet sein - und es muss bereits infizierte Menschen oder Vögel geben. Denn bei einem Stich der Mücke nimmt sie mit dem Blut auch die Erreger auf, die sie beim nächsten Stich in die Blutbahn des Opfers weitergibt.

"Wir haben hier in Deutschland durchaus Fälle von Denguefieber, die Betroffenen haben sich aber bereits im Reiseland infiziert", erklärt Tannich. Obwohl Zugvögel das Denguevirus mitbringen und es Culex-Mücken, die Überträger des West-Nil-Virus, auch in Deutschland gibt, hat es noch nie eine Übertragung gegeben.

Man könnte hoffen, dass das in Zukunft angesichts sich ändernder Umweltbedingungen so bleibt. Doch es ist auch möglich, dass die Mücken neue Fähigkeiten entwickeln - oder dass sie bereits Übertragungsfähigkeiten besitzen, die nur mangels Viren in ausreichender Menge noch nicht bemerkt worden ist.

In den USA hat sich zum Beispiel innerhalb von nur drei Jahren das West-Nil-Virus flächendeckend verbreitet und in Deutschland bis jetzt nicht, obwohl vergleichbare klimatische Bedingungen herrschen. "Wir wissen noch nicht, warum es diesen Unterschied gibt. Entweder sind die Mücken hier anders - oder wir haben bis jetzt einfach Glück gehabt", sagt Tannich.

Startschuss für die deutschlandweite Mückenjagd ist in wenigen Wochen, wenn die ersten Larven schlüpfen. Das Forschungsvorhaben ist nur möglich, wenn alle Kapazitäten gebündelt werden, deshalb machen auch sehr viele mit: Universitäten lassen ihre Biologiestudenten auf Exkursionen Mückenfallen aufstellen und die gefangenen Tiere auszählen, und selbst die Bundeswehr ist eingeteilt zum Mückenfangen. Das Herzstück des Projektes ist eine Datenbank, die mit Daten über die erbeuteten Insekten aus den vielen Sammelstellen gefüttert wird. Jedes Insekt wird quasi zu einem Punkt auf einer Deutschlandkarte.

Parallel beginnt die Arbeit der Virologen. Es wird untersucht, welche Viren sich möglicherweise bereits in den Mücken befinden. Daneben sind aber auch Infektionsversuche geplant. "Wir werden die Mücken in einer Petrischale mit dem tropischen Virus infizieren. Entscheidend ist dann, ob sich die Viren in der Mücke vermehren. Ist das der Fall, kann sie das Virus auch übertragen", erläutert Tannich sein Vorhaben.

In Hamburg steht am BNI bereits ein Hochsicherheits-Insektarium bereit. "Bei Lebewesen wie Mücken müssen wir ganz besonders vorsichtig sein, denn sie könnten wegfliegen und Krankheitserreger verbreiten", sagt Egbert Tannich. Damit das nicht geschieht, gibt es mehrere Unterdruck-Sicherheitsschleusen zu den entsprechenden Laboren, besondere Schutzanzüge und entsprechende Maßnahmen für die Mitarbeiter.

Mit der Landkarte wird ein Frühwarnsystem aufgebaut. "Wir wollen abschätzen können, was passieren könnte. Wenn wir bei unseren Untersuchungen herausfinden, dass Mücken Überträger sein könnten, dann werden wir besonders wachsam sein und sie beobachten", sagt Tannich. "Heute gibt es für Ärzte keine Veranlassung, bei einer fieberhaften Infektion nach einer Infektion durch Mückenstiche zu suchen, wenn der Patient nichts über einen Tropenaufenthalt erzählt. Wenn man aber weiß, dass in der Gegend Mücken mit einem bestimmten Erreger vorkommen, könnte man die Erkrankung damit in Verbindung bringen und Gegenmaßnahmen ergreifen."

Mit der Mückenlandkarte wollen die Forscher auch Faktenwissen gegen Spekulationen setzen. Es soll die realistische Bewertung von Risiken ermöglichen - und aus einer Mücke keinen Elefanten machen.