Aber Stickstoffemissionen aus Landwirtschaft und Verkehr setzen Bäumen und Böden zu, und der Klimawandel sorgt für eine ungewisse Zukunft.

Eberswalde/Hamburg. Vor 30 Jahren meldeten erstmals alle Bundesländer durch sauren Regen geschädigte Bäume, ganze Bergkuppen wurden damals kahl - das Gespenst des Waldsterbens ging um. Heute ist der saure Regen Geschichte. Die Wälder sind nicht gestorben, doch es geht ihnen nach wie vor nicht wirklich gut. Und es steht ihnen eine ungewisse Zukunft bevor. Die Feinde des Waldes heißen heute: Stickstoff und Klimawandel.

Das Internationale Jahr der Wälder rückt die grünen Lungen der Erde jetzt ins Rampenlicht, auch die deutschen Forste. Während in den Tropen Wälder oft in rasantem Tempo schrumpfen, ist die Waldfläche in Deutschland in den vergangenen 40 Jahren um rund zehn Prozent oder eine Million Hektar gewachsen. Doch ist nur ein gutes Drittel (38 Prozent) der hiesigen Bäume gesund, zeigt keine Nadel- oder Blattverluste - bei Beginn der Waldschadenserhebung im Jahr 1984 waren es noch 44 Prozent, den Negativrekord hält das Jahr 2004 (28 Prozent).

Unter den vier Hauptbaumarten Buche, Eiche, Kiefer und Fichte haben vor allem die Laubbäume ausgedünntes Blattwerk: "Deutliche Kronenverlichtungen" traten im Jahr 2010 bei 33 Prozent der Buchen auf, so der in dieser Woche veröffentlichte Waldzustandsbericht. Bei der Eiche lag der Anteil sogar bei 51 Prozent. Zudem sind 26 Prozent der Fichten und 13 Prozent der Kiefern deutlich geschädigt.

Der Naturschutzbund Deutschland hat bereits den Verursacher ausgemacht: "Die Hauptschuld tragen die industrielle Landwirtschaft und der Verkehr." So sieht es auch Dr. Nicole Wellbrock vom Institut für Waldökologie und Waldinventuren des Von-Thünen-Instituts in Eberswalde: "Oft richten kurzfristige Einflüsse wie Witterung und Schädlingsbefall große Schäden an. Dies wird überlagert durch langfristige Faktoren. Der überhöhte Stickstoffeintrag in die Wälder spielt derzeit die Hauptrolle. Mit Blick auf die Zukunft ist der Klimawandel ein großes Thema."

Stickstoff setzt den Wäldern regional unterschiedlich stark und in verschiedenen Formen zu. Zum einen kommt er aus der Landwirtschaft: Wenn Gülle auf den Feldern verteilt wird, entweicht Ammoniak (NH{-3}). In der Luft wandelt es sich in Ammonium (NH{-4}) um und gelangt in die Wälder. "Das Ammonium wird von Bodenlebewesen zu Nitrat verarbeitet. Dabei werden die Wasserstoff-Ionen (Protonen) frei und versauern den Boden", erklärt Nicole Wellbrock - der Stickstoff der Landwirtschaft prasselt also nicht als saurer Regen nieder, sorgt aber dennoch dafür, dass die Waldböden versauern und sich damit die Lebensbedingungen der Bäume verschlechtern. Besonders betroffen sei etwa Nordwestdeutschland, so Wellbrock. Auch die Stickoxide aus dem weiter zunehmenden Verkehr und der Industrie werden im Boden zu Nitrat umgewandelt.

Ammonium- und Nitrateinträge führen auch zur Überdüngung von Böden und Bäumen. Stämme und Kronen wachsen dadurch schneller. Dabei kann es zum Mangel an lebenswichtigen Nährstoffen, etwa Mineralstoffen, kommen. Eine Folge der forstlichen Fehlernährung: Die Bäume sind weniger gesund und dadurch anfälliger etwa für Schadinsekten und Pilze.

Witterungseinflüsse setzen den Bäumen oft regional begrenzt und von Jahr zu Jahr unterschiedlich stark zu. Ein Frühjahrsorkan rafft Fichtenbestände dahin, Spätfröste und sommerliche Trockenheit schädigen die Bäume. Deshalb wird der globale Klimawandel auch den deutschen Wald verändern. Als wichtigste Einflüsse gelten der zunehmende Trockenheitsstress auf sandigen Böden, etwa in Brandenburger Wäldern, und der sich abzeichnende Wärmestress für Fichten.

Forstexperten wollen die Wälder so entwickeln, dass diese optimal mit den erwartbaren Änderungen zurechtkommen. Das ist nicht einfach - Wellbrock: "Generell wird die Mischung verschiedener Arten immer wichtiger; sie minimiert das Risiko für die Wälder. Welche Baumarten das in den verschiedenen Regionen Deutschlands sein werden, ist noch in der Diskussion."

Den Trend zu naturnahen Mischwäldern verfolgen die Förster schon länger. Hier ist Deutschland auf einem guten Weg, das zeigt ein Vergleich der jüngsten Bestandsaufnahme aus dem Jahr 2008 mit der Bundeswaldinventur von 2002: Der Anteil der Laubbäume wuchs von 41 auf 43 Prozent. Die größte Flächenabnahme gab es mit 211 000 Hektar (minus sieben Prozent) bei den Fichten, die meist in Monokulturen wachsen. Die größte Zunahme (83 000 ha, plus fünf Prozent) verzeichnen Buchen, die ursprünglich die deutsche Waldwildnis prägten.

Allerdings erschwert die hohe Wilddichte den Umbau der Forste in artenreiche Mischwälder. "Zu hohe Bestände an Reh-, Rot-, Dam-, oder Gamswild lassen die Vegetation verarmen, weil Baumarten wie Tanne, Bergahorn, Buche, Esche, Eiche und Hainbuche stark verbissen werden und damit vielfach verloren gehen. Oft bleiben nur Reinbestände der unempfindlichen Baumarten Fichte und Kiefer übrig", betont die Stiftung Unternehmen Wald, gegründet vom Hamburger Waldschützer und CDU-Politiker Rüdiger Kruse. Nur etwa acht Rehe pro Hektar seien waldverträglich, zum Teil liege die Dichte bei 20 Tieren pro Hektar.

Trotz des Appetits der Wildtiere und der vermehrten Nachfrage von Holz als Brennstoff wachse weiterhin deutlich mehr Holz nach, als genutzt werde, betont Dr. Heino Polley, der in Eberswalde die Bundeswaldinventur koordiniert. "Die Staatswälder sind ziemlich an der Grenze der nachhaltigen Nutzung angekommen, ebenso die Forste der großen Waldbesitzer. Dagegen lohnt sich die Waldpflege bei kleinen Flächen oft nicht."

Der Zuwachs der Holzmasse und der Fläche zeigen: Im globalen Vergleich liegt der deutsche Wald im grünen Bereich. Auch wenn es im Detail noch viel zu verbessern gibt.