Immer mehr Pflanzen wachsen nicht mehr in natürlichen Ökosystemen, sondern werden angebaut. Das hat Folgen

San Francisco/Hamburg. Wer ökologisch etwas auf sich hält, nutzt nachwachsende Rohstoffe. Holzspielzeug aus Plantagenanbau, Baumwolltüten, Biosprit und Pellets-Heizung - da werden keine endlichen Ressourcen verbraucht, weil alles nachwachsen kann. Denkt man. Doch eine Untersuchung der Nasa zeigt jetzt, dass es sich dabei möglicherweise um ökologische Augenwischerei handelt.

Die scheinbar unerschöpfliche Rohstoffquelle "Pflanzen" könnte zu einer knappen Ressource werden, warnt der Biologe Dr. Marc Imhoff, der für die US-Raumfahrtbehörde arbeitet und in San Francisco eine Zehnjahresstudie zum weltweiten Konsum von Pflanzen durch den Menschen vorstellte. Die Produktion von Nahrungsmitteln, Textilfasern, Bauholz und Tierfutter macht einen immer größeren Teil der gesamten auf der Erde jedes Jahr entstehenden Biomasse aus. "1995 hat die Menschheit 20 Prozent der verfügbaren Biomasse genutzt, die Landpflanzen durch Fotosynthese erzeugen, 2005 waren es schon 25 Prozent", so Imhoff. Ein starker Anstieg in einem sehr kurzen Zeitraum.

Die Nasa-Forscher werteten Daten von Erdbeobachtungssatelliten aus, um die Veränderung der Pflanzenproduktion zu berechnen. Die Satelliten messen das Licht, das die Landpflanzen reflektieren. Daraus lässt sich errechnen, wie viel Strahlung sie absorbieren und für die Fotosynthese nutzen. In Kombination mit Daten aus Temperatur und Verfügbarkeit von Wasser können die Forscher so für ganze Landstriche berechnen, ob die Biomasse zu- oder abnimmt. Das unterschiedliche Strahlungsverhalten von Natur- und Kulturflächen macht es möglich, den Anteil an landwirtschaftlich genutzten Flächen zu berechnen.

Es gibt dabei eine gute und eine schlechte Nachricht: Die Netto-Primärproduktion, also das, was Pflanzen durch Wachsen jedes Jahr an Biomasse hinzugewinnen, bleibt bis jetzt weltweit annähernd konstant - trotz Dürren, Überschwemmungen oder Städtebau. Doch ein immer größerer Anteil an der gesamten Vegetation wächst nicht mehr in natürlichen Ökosystemen, sondern wird von Menschen angebaut. Und die Geschwindigkeit, mit der diese Veränderung geschieht, ist beunruhigend. Nach Berechnungen der Nasa-Forscher könnten bereits in der Mitte dieses Jahrhunderts 56 Prozent der pflanzlichen Biomasse aus menschlicher Produktion stammen - wenn die Weltbevölkerung wie vorhergesagt wächst und Schwellenländer wie China und Indien sich dem hohen Pro-Kopf-Verbrauch der USA von sechs Tonnen Kohlenstoff aus Pflanzen pro Jahr annähern. Zurzeit verbrauchen die Länder Südostasiens noch etwa knapp zwei Tonnen.

Nun könnte man zunächst denken, dass es egal ist, ob sich die weltweite Biomasse aus natürlichen Ökosystemen oder aus landwirtschaftlich kultivierten Pflanzen zusammensetzt. Dem tritt Prof. Norbert Jürgens vom Biozentrum Klein Flottbek entschieden entgegen. "Es macht für das Klima einen Riesenunterschied, ob da eine große Waldfläche ist mit starker Wasserverdunstung und Regenwolkenbildung - oder eine landwirtschaftliche Fläche, bei der Wasserverdunstung und Strahlung extrem gestört sind." Zwar gibt es Nutzpflanzen, die einen hohen Verdunstungsgrad aufweisen, doch wachsen sie meistens nicht das ganze Jahr über. "Ackerflächen sind in der Praxis zu einem großen Teil des Jahres Wüsten," so Jürgens. "Neben der schlechteren Verdunstung fehlt dem Ökosystem auch das Wasser, das mit der Ernte abtransportiert wird, in Form von Gurken oder Melonen zum Beispiel." Die intensive Landwirtschaft geht oft einher mit Nährstoffverarmung und Austrocknung der Böden oder aber Verschmutzung des Oberflächenwassers durch Dünger. Vor dem Hintergrund, dass allein in Afrika in den nächsten 50 Jahren eine Verdoppelung der Bevölkerung erwartet wird, ist das erschreckend. "Keiner weiß, wo die doppelte Agrarfläche zur Nahrungsproduktion und die doppelte Wassermenge herkommen sollen", sagt Jürgens.

Mit der wachsenden Landwirtschaft auf der Erde schrumpfen die Wälder - mit katastrophalen Folgen für das globale Klima. Prof. Michael Köhl vom KlimaCampus der Universität Hamburg macht das mit Zahlen deutlich. "Zwischen 2005 und 2010 wurden durch Waldzerstörung rund 500 Millionen Tonnen Biomasse jährlich freigesetzt. Das entspricht dem zweifachen jährlichen CO2-Ausstoß von Deutschland." Und allein durch Waldbrände auf Torfböden werden bis zu 80 Tonnen CO2 pro Hektar (10 000 Quadratmeter) freigesetzt. Köhl hat das umgerechnet: "Das entspricht dem CO2-Ausstoß eines VW-Polo bei einer Laufleistung von 800 000 Kilometer - oder 300 000 Kilometer eines Porsche Cayenne."

Dabei könnten die Wälder die durch die Landwirtschaft verursachten Schäden durchaus etwas entgegensetzen. Während in der Landwirtschaft Treibhausgase durch Düngung oder in der Tierproduktion entstehen, bindet Wald CO2. Der Amazonasregenwald, eine der artenreichsten Regionen der Erde, speichert so viel Kohlenstoff wie weltweit in 15 Jahren durch das Verbrennen von Kohle und Öl freigesetzt werden.

Besonders aktiv bei der Beseitigung von CO2 sind bewirtschaftete Wälder: In ihnen wachsen viele junge Bäume, die ihre Biomasse noch aufbauen und dabei viel CO2 aufnehmen und speichern. Doch wird dieser positive Effekt teilweise zunichte gemacht durch den extremen Druck, den vor allem die Landwirtschaft, aber auch Städte- und Straßenbau auf die Waldbestände ausüben. Jedes Jahr gehen weltweit 13 Millionen Hektar Wald verloren, mehr als Deutschlands gesamte Waldfläche von elf Millionen Hektar.

Noch wissen wir nicht, wie viel der gesamten Biomasse die Menschen für sich entnehmen können, bis das globale Ökosystem irreversibel "kippt". Die Nasa-Forscher wollen kein Weltuntergangsszenario an die Wand malen. Zu viele Faktoren seien noch unbekannt, etwa, wie sich der Klimawandel auswirke oder wie sich Anbaumethoden änderten. Doch niemand kann heute sagen, ob uns die Erde noch ernähren kann, wenn wir sie in einen Nutzgarten verwandelt haben.