Der Schutz von Wölfen und anderen seltenen Tieren wird durch den Straßenverkehr maßgeblich ausgebremst

Senftenberg. Rolf hatte keine Chance. Als er versuchte, die Bundesstraße 169 zu überqueren, erfasste ihn ein Auto und verletzte ihn tödlich. Rolf war ein Wolf. Eines von sechs Leittieren, die in Deutschland ein wild lebendes Rudel anführen und die Basis bilden für die Rückkehr der Wölfe in ihre ursprüngliche Heimat. Rolfs Unfalltod ist deshalb auch ein Rückschlag für den Artenschutz.

"In den vergangenen sechs Jahren wurden zwölf Tiere durch Verkehrsunfälle getötet", sagt Markus Bathen, Wolfsexperte beim Naturschutzbund (Nabu). "Die meisten waren Jungwölfe, ihr Verlust wirkt sich kaum auf den Bestand aus, da der Nachwuchs von Natur aus eine hohe Sterblichkeit hat. Wenn aber ein Vatertier getötet wird, fällt ein Reproduktionsfaktor weg. Das bremst die Wiederansiedlung des Wolfes. Bereits im Oktober 2010 starb ein Vatertier, sodass die Zahl der intakten frei lebenden Wolfsrudel in der Lausitz von sechs auf vier sank."

Ein weiteres Rudel lebt in Sachsen-Anhalt bei Altengrabow, in der Nähe von Magdeburg. Doch die Lausitzer Wölfe bleiben die Hoffnungsträger der Artenschützer. Bathen: "Im vergangenen Jahrzehnt sind fünf, sechs weitere Wölfe aus Polen zugewandert und haben die genetische Vielfalt erhöht. Das heißt, dass wir trotz der geringen Anzahl der Tiere nicht mit Inzuchtproblemen rechnen müssen."

Das bestehende dichte deutsche Straßennetz sei die Krux, wenn es um das Überleben von wandernden Tierarten gehe, sagt Kollege Magnus Wessel, beim Nabu für Artenschutz zuständig. Wie der Wolf, dessen Bestand in Deutschland auf etwa 60 Tiere geschätzt wird, leiden unter anderen auch Luchs, Wildkatze und Fischotter darunter, dass sie nur unter Todesgefahr ihre großen Reviere durchstreifen oder aber wandern können. Wessel: "Im gesamten Alpenraum und in Deutschland leben nur rund 100 Luchse. Der größte Bestand in Deutschland von geschätzten 20 Tieren lebt im Harz und stammt aus einem Wiederansiedlungsprojekt. Vereinzelte Exemplare leben im Bayerischen Wald, in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Doch die verstreut lebenden Tiere kommen nicht zueinander."

Bei den Wildkatzen (geschätzte Anzahl in Deutschland: um die 2000) sei die Zerschneidung der Populationen durch Straßen das größte Problem, sagt Wessel. Die Bestände haben keinen Kontakt miteinander, können sich genetisch nicht austauschen. Um die stämmigen hellbraunen Katzen zu schützen, werden an einigen Straßen sehr hohe Zäune mit überkragendem Abschluss (Katzen sind Kletterkünstler) entlang von Straßen errichtet. Schleicht eine Katze am Zaun entlang, erreicht sie irgendwann eine Grünbrücke, über die sie - und andere Wildtiere - ohne Lebensgefahr die Seite wechseln kann. Gebüschpflanzungen geben ihr dabei Deckung. Doch die aufwendigen Katzenzäune sind teuer und säumen nur wenige Straßenkilometer.

Zu den bedrohten Arten zählt der Fischotter. Er litt besonders unter der Verbauung von Gewässern, ist aber auch ein typisches Straßenverkehrsopfer. "Der Otter mag nicht unter Brücken hindurchschwimmen. Er steigt dann aus dem Wasser und versucht stattdessen die Straße zu überqueren. Das endet allzu oft tödlich", sagt Magnus Wessel. Für dieses Problem gebe es aber eine bauliche Abhilfe: "Wenn unterhalb der Brücke am Gewässerlauf ein Steg entlangführt, nutzt der Fischotter den Steg und läuft nicht zur Straße."

Die Zahl der Fischotter sei stabil, sagt Wessel, die Art breite sich von Osten nach Westen allmählich wieder aus. Eine "Autobahn des Artenschutzes" sei dabei die Oberelbe, ebenso für die Ausbreitung der Biber. Wenn es auf dem Hauptstrom zu lebhaft wird, besiedeln die Tiere ruhigere Nebengewässer. Gerade unterhalb des Wehrs Geesthacht spielen die Nebenflüsse für die Verbreitung eine große Rolle. Um hier weiter westwärts voranzukommen, sind allerdings Landgänge nötig - und damit Verkehrsrisiken verbunden.

Da Fischotter mit der Fließrichtung des jeweiligen Gewässers wandern, hat die Eroberung der Nordseeküste in Schleswig-Holstein ein natürliches Hindernis. Wessel: "Es gibt eine Wasserscheide, ein Landrücken, von dem alle östlich gelegenen Gewässer Richtung Ostsee fließen, die anderen Richtung Nordsee." Auch hier müssen die Tiere auf dem Trockenen weiterwandern.

"Deutschland hat mehr Straßen auf einem Quadratkilometer als jedes andere Land Europas", sagt Stephan Bröhl, Pressesprecher des Deutschen Jagdschutzverbands (DJV). Im Jahr 2009 kamen mehr als 235 000 Rehe, Wildschweine, Dam- und Rotwild auf Straßen ums Leben, dazu unzählige kleinere Tiere. Und es gab auch unter den Autoinsassen Opfer zu beklagen: 13 Menschen starben, weitere 2800 wurden bei Wildunfällen verletzt. "In manchen Revieren werden genauso viele Rehe überfahren wie gejagt", sagt Bröhl, "aber Rehe sind nicht im Bestand bedroht. Besonders problematisch sind Wildunfälle bei den Arten mit sehr kleinen Beständen."

Der DJV hat mit dem Nabu und dem BUND eine Allianz gebildet, um den Bau von Grünbrücken in Deutschland durchzusetzen, die wandernden Tieren eine Zukunft geben. Stephan Bröhl: "Bislang gibt es höchstens 100 solcher Querungshilfen. 30 weitere sind im Konjunkturpaket II vorgesehen, sie sind in Planung oder werden gerade gebaut." Aber auch 130 Brücken seien angesichts der Gesamtlänge des deutschen Straßennetzes von 230 000 Kilometern nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Den wenigen Wölfen mit ihren großen Revieren helfen solche Grünbrücken ohnehin kaum. In der Lausitz hatte sich die Bundesstraße 156 zwischen den Orten Boxberg und Weißwasser in den Jahren 2007 bis 2009 zum Unfallschwerpunkt entwickelt - sechs Jungwölfe starben. "Auf der Strecke sind auch viele andere Tiere umgekommen", sagt Forstwirtin Jana Endel, Leiterin des Kontaktbüros Wolfsregion Lausitz. "Es gab Gespräche mit der Straßenverkehrsbehörde. Inzwischen sind auf verschiedenen Streckenabschnitten große Schilder aufgestellt. Sie geben an, wie viele Wildtiere auf dem kommenden Abschnitt überfahren wurden. Seitdem hatten wir zumindest dort keine Wolfsunfälle mehr."

Für Rolfs Familie sieht Endel einen Hoffnungsschimmer: "Die Nachkommen sind acht Monate alt und bereits recht selbstständig. Wir müssen jetzt sehen, was mit der Fähe ist. Wenn es ihr gut geht, ist die Chance groß, dass sie wieder einen Partner findet, etwa einen heranwachsenden Wolfsrüden aus dem Jahrgang 2009. In der Lausitz haben wir mehrere potenzielle Paarungspartner. Es ist relativ wahrscheinlich, dass Rolfs Wolfsrevier nicht verwaisen wird."