Nanopartikel könnten an Autobahnen, aber auch in OP-Sälen zum Einsatz kommen

Kassel. Es ist die Vision einer bunten Zukunft, die viele verschiedene Probleme auf einmal lösen könnte: Stickoxide, aber auch Keime in der Luft können möglicherweise ohne großen technischen Aufwand oder Filter unschädlich gemacht werden, hoffen Forscher - durch das einfache Aufbringen von Farben, zum Beispiel auf Wände. Nanowissenschaftler des Instituts für Chemie und des Center for Interdisciplinary Nanostructure Science and Technology (CINSaT) der Universität Kassel entwickeln dazu derzeit Mixturen aus winzigen Farbstoffmolekülen und Titandioxid-Nanopartikeln. Die daraus entstehenden Spezialfarben könnten als Anstrich auf Schallschutzwänden, Leitplanken und Brücken entlang der Straßen die Luft reinigen. Und nicht nur dort.

Prof. Rüdiger Faust und seine Mitarbeiter arbeiten seit einem Jahr daran, dass diese Vision Wirklichkeit wird. Grundlage ist ein chemischer Prozess, die Photokatalyse, den sich die Industrie bereits in einer Reihe von marktgängigen Produkten zunutze gemacht hat: Selbstreinigende Fenster, Dachpfannen und Autorückspiegel beispielsweise werden mit Nanopartikeln aus Titandioxid beschichtet. Die Teilchen sind dabei mehr als tausendmal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haars. Trifft Licht auf die Beschichtung, so entsteht reaktiver Sauerstoff, der Schmutz auf der Oberfläche durch Oxidation zersetzt.

Ob die Photokatalyse auch effizient zur Luftreinigung eingesetzt werden kann, wollen die Kasseler Wissenschaftler gemeinsam mit Forschern der Universitäten Hannover und Dresden sowie Partnern aus der Industrie klären. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das auf drei Jahre angelegte Projekt HelioClean mit 2,3 Millionen Euro.

Eine erste Etappe haben Faust und sein Team bereits bewältigen können. Zusammen mit Dr. Dietmar Stephan aus dem Fachgebiet Werkstoffe des Bauwesens und Bauchemie der Uni Kassel haben die Wissenschaftler im Labor erfolgreich ein Hybridmaterial aus miteinander verzahnten Farbstoffmolekülen und Titandioxidteilchen in Nanogröße entwickelt. Damit versuchen sie, eine große Hürde zu nehmen, denn die Zersetzung von Schmutz oder Schadstoffen durch Titandioxid funktioniert eigentlich nur, wenn energiereiches, ultraviolettes Licht auf die Partikel trifft und den Oxidationsprozess in Gang bringt. Im Schatten, im trüben Licht des Winters oder in geschlossenen Räumen ist jedoch zu wenig ultraviolettes Licht vorhanden.

Die von den Kasseler Chemikern modifizierten Farbstoffe sollen nun bewirken, dass der Oxidationsprozess auch dann in Gang kommt, wenn weniger energiereiches, langwelliges Licht auf die Titandioxidpartikel trifft. Die Forscher experimentieren dabei mit sogenannten Phthalocyaninen, Farbstoffen in den Tönen Grün und Blau, wie sie auch aus Tinten und Autolacken bekannt sind. "Farbstoffe dieses Typs sind in der Lage, die vom Licht aufgenommene Energie für den reinigenden Oxidationsprozess einzusetzen", sagt Prof. Faust. Die Herausforderung hätte darin bestanden, maßgeschneiderte Farbstoffmoleküle herzustellen. Denn die meisten Farbstoffe seien in Kombination mit Titandioxidpartikeln nicht in der Lage, die aufgenommene Lichtenergie für den Reinigungsprozess an den Luftsauerstoff abzugeben.

Mitte des Jahres soll die Reinigungskraft von Titandioxid im Rahmen des HelioClean-Projekts einem Praxistest unterzogen werden. In Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Straßenwesen erhalten Schallschutzwände entlang eines 200 Meter langen Autobahnabschnitts eine Beschichtung aus modifizierten Photokatalysatoren. Dort sollen die Forschungsmaterialien die in den Abgasen reichlich vorhandenen und gesundheitsschädlichen Stickoxide vernichten. Durch Photokatalyse wird hierbei das Stickoxid in Nitrat umgewandelt. Und dieses - so die Erwartung der Forscher - würde anschließend mit dem Regenwasser einfach abgewaschen. Prof. Rüdiger Faust sieht neben der Luftreinhaltung entlang von Verkehrsstraßen weitere Einsatzmöglichkeiten für das Hybridmaterial: "So könnte ein Anstrich mit der Spezialfarbe in Operationsräumen dafür sorgen, dass die Belastung durch gefährliche Keime vermindert wird." Und in Wohnungen könnte die Farbe die Raumluft von Formaldehyd befreien, das aus manchen Möbeln ausdünstet und die Gesundheit gefährdet.