Eigentlich greifen Haie keine Menschen an. Es sei denn, sie werden, wie jetzt im Roten Meer, in Küstennähe angefüttert

Hamburg. Wie gefährlich sind Haie für den Menschen wirklich? Das fragen sich derzeit verunsicherte Touristen, nachdem ein Hai im ägyptischen Badeort Scharm El-Scheich einer deutschen Urlauberin aus Baden-Württemberg den Arm abgebissen und die 71-Jährige außerdem so schwer am Rücken verletzt hatte, dass sie verblutete. Zuvor hatte ein anderer Hai im gleichen Gebiet drei Urlauber aus Russland und der Ukraine verletzt. Einer 48 Jahre alten Russin biss das Tier einen Unterarm ab; die Frau überlebte die Attacke aber.

Weißspitzen-Hochseehaie bleiben den Stränden normalerweise fern

So erschreckend die Vorfälle sein mögen: Experten warnen vor Panikmache. Die Befürchtung, die Haie in der Region griffen gezielt Menschen an, sehe er nicht bestätigt, sagt etwa Gerhard Wegner, Präsident der Haischutzorganisation " Sharkproject ". Die Häufung der Attacken sei wahrscheinlich eher die Folge einer "Verkettung unglücklicher Umstände".

Bei den Angreifern handelte es sich um Weißspitzen-Hochseehaie (Carcharhinus longimanus), die durch die weißen Spitzen ihrer Rücken- und Brustflossen zu erkennen sind. Wie ihr Name vermuten lässt, leben diese bis zu vier Meter langen Raubfische normalerweise weit entfernt von den Küstengewässern, in denen sie die Touristen angegriffen hatten. Derzeit trieben allerdings Wind und Strömung Plankton der Hochsee auf die Küste vor Scharm El-Scheich zu, sagt Wegner. Von Plankton ernährten sich viele Hochseefische, die den winzigen Lebewesen folgten. Die Fische wiederum seien die Leibspeise der Weißspitzen-Hochseehaie, die sich nun ebenfalls den Stränden näherten - und dabei auf Menschen treffen könnten, denen sie sonst nie begegnen würden.

Trotzdem würden diese Haie ohne weiteres Zutun in der Regel keine Schwimmer angreifen, weil sie nicht in ihr Beuteschema passten, sagt Wegner. Allerdings könnten die Tiere neugierig gemacht worden und auf einen anderen Geschmack gekommen sein, weil ein Frachter mit einer Ladung Schafe an Bord etliche Kadaver verendeter Tiere ins Wasser an der Küste vor Scharm El-Scheich gekippt hatte. Verstärkt werden könne diese Neugier durch leichtsinnige Schwimmer, die Speisen mit ins Wasser nähmen, um so Fische anzulocken - und dabei das Interesse eines Hais wecken könnten.

Obwohl der Mensch in der Regel nicht in seine Beuteschema passe, komme es vor, dass der Hai trotzdem zupacke, um zu testen, ob es sich nicht doch um Beute handele, sagt Wegner. Weil die Geschmacksorgane des Hais im Gaumen sitzen, schließt er dazu einfach sein Maul um Arme oder Beine, ohne zuzubeißen. Normalerweise lasse er die unbekannte Beute dann jedoch wieder los, weil er seinen Irrtum erkenne oder weil ihm - angesichts der Größe eines Menschen - das Risiko zu groß sei.

Vorher aber versucht wohl jeder Mensch, um dessen Arm oder Bein sich ein Haigebiss schließt, die Gliedmaßen aus dem Rachen des Fisches zu reißen. Genau dabei verletzen sich die meisten Opfer an den messerscharfen Zähnen. Gleichzeitig signalisierten die hektischen Bewegungen dem Hai, dass es sich doch um eine lohnende Beute handeln könnte, sagt Wenger. Wenn der Geschmack den Hai an Tierkadaver erinnere, wie es bei den beiden Weißspitzen-Hochseehaien wahrscheinlich der Fall gewesen sei, beiße er anschließend womöglich richtig zu. "Grundsätzlich sollte man sich nach dem ersten Biss eines Hais möglichst nicht bewegen - aber wem gelingt das in Panik schon?"

Die Fischereiexpertin Heike Vesper von der Umweltstiftung WWF sagte, sie bezweifle, dass die Überfischung des Roten Meeres zu den häufigen Haiattacken geführt habe, was derzeit auch diskutiert wird. Ein Grund könne vielmehr sein, dass bei Tauchgängen im Roten Meer Haie angefüttert würden. "Das heißt, man zieht Haie schon mal näher an die Küste, als sie sonst vorkommen würden." Auch der Schweizer Haiforscher Erich Ritter sagte, im Anfüttern der Tiere sei die Hauptursache für die aggressive Attacke auf die deutsche Urlauberin zu sehen.

Nur ein kleiner Teil aller Haiangriffe auf Menschen endet tödlich

Häufig sind solche Angriffe nicht: Nach Angaben der Haischützer von Sharkproject gab es in den vergangenen fünf Jahren weltweit durchschnittlich 63 Attacken pro Jahr; vier davon endeten tödlich. Zum Vergleich: "Allein im Roten Meer ertrinken mehr als 100 Menschen", sagt Sharkproject-Präsident Wegner. Schwimmen im Roten Meer kann also durchaus gefährlich sein - aber kaum wegen der Haie.

Der zuständige Gouverneur Mohammed Schuscha will dennoch sichergehen: Die Strände um Scharm El-Scheich auf der Sinai-Halbinsel blieben gesperrt, bis sämtliche potenziell gefährlichen Haie vor der Küste gefangen seien, kündigte er an.

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