Horizontalbohrung und Frac-Technik: Ölkonzerne stehen in den Startlöchern, um Erdgas mithilfe giftiger Chemikalien aus dichtem Gestein zu gewinnen

Hamburg. Das Erdgas geht langsam zur Neige, auch im deutschen Boden. Derzeit deckt heimisches Gas noch 15 Prozent unseres Bedarfs, Tendenz sinkend. Deshalb rücken Gasvorkommen ins Visier der Förderindustrie, bei denen der begehrte Rohstoff fest in Gesteinen eingeschlossen ist und deshalb nicht ohne Weiteres zum Bohrloch strömt. In den USA hat die Erdgasgewinnung aus diesen sogenannten unkonventionellen Lagerstätten bereits begonnen, in Deutschland und Europa wird mit Hochdruck nach ihnen gesucht. Erste Testbohrungen des Mineralölkonzerns Exxon stießen jedoch auf Kritik von Umweltschützern.

Der Großteil des europäischen Schiefergases wird in Polen vermutet

Welches Potenzial die Ausbeutung des eingeschlossenen Gases in Deutschland und Europa hat, ist bislang weitgehend unbekannt. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover hat gerade begonnen, die Vorkommen dieses sogenannten Schiefergases abzuschätzen; das Deutsche Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam versucht dies im GASH-Projekt für ganz Europa. Dabei zeigte sich bereits: Der Großteil des europäischen Vorkommens, etwa 75 Prozent, wird in Polen vermutet.

Aber auch im bundesdeutschen Untergrund gibt es solche Gasvorkommen, das lässt sich aufgrund der Geschichte des Gesteins und anhand von Versuchsbohrungen abschätzen. "Die konventionellen Erdgaslagerstätten sind ausgereizt. Die Felder werden in zehn, 20 Jahren komplett erschöpft sein, einige Lagerstätten schon früher", sagt Geologe Hilmar Rempel von der BGR. Man hoffe, unkonventionelle Vorkommen in einer Größenordnung zu finden, dass sie die konventionelle Gasförderung langfristig ersetzen können.

ExxonMobil machte bereits ein halbes Dutzend Erkundungsbohrungen, vor allem in Niedersachsen, eine in Nordrhein-Westfalen. Die Tatsache, dass dabei auch im Einzugsbereich der Talsperre Haltern gebohrt wurde, aus der der Wasserversorger Gelsenwasser Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen beliefert, rief Protest hervor. Denn zur Erschließung des Gases werden giftige Chemikalien eingesetzt. "Wir sind überhaupt nicht beteiligt worden, auch nicht andere Wasserwerke, sondern haben das ausschließlich aus der Presse erfahren", sagte Manfred Scholle, Vorstandsvorsitzender von Gelsenwasser, kürzlich in der ARD-Sendung "Monitor".

Um das eingeschlossene Gas aus den Gesteinen zu befreien, wird unter Hochdruck mit Sand versetztes Wasser in die Lagerstätte gepumpt (Hydraulic Fracturing, kurz Fracking). Dieses sprengt kleine Risse in den Schiefer, durch die das Gas dann zum Bohrloch strömt. Fracking wird bereits seit Jahren im kleineren Maßstab eingesetzt, um nahezu erschöpfte Lagerstätten besser ausbeuten zu können (siehe Grafik oben). Dem Wasser werden Chemikalien zugesetzt, um Bakterien zu töten, die in den sogenannten Schichtgewässern innerhalb der Lagerstätten leben. An der Tatsache, dass die verwendeten Zusätze zum Teil sehr giftig sind, entzündete sich die Kritik der Gewässerschützer.

"Die Substanzen sind im unverdünnten Rohzustand erheblich toxisch", bestätigt Jörg Rechenberg vom Fachgebiet Wasserwirtschaft des Umweltbundesamts. "Obwohl sie stark verdünnt werden, muss eine Gefahr für das Grundwasser ausgeschlossen werden können. Denn öffentliche Interessen, wie der im Wasserhaushaltsgesetz verankerte strenge Schutz des Grundwassers, müssen auch bei bergrechtlichen Probebohrungen beachtet werden." Es seien durchaus Wege denkbar, über die das Fracwasser mit Grundwasseradern in Kontakt kommt, etwa wenn es durch die Bodenschichten Richtung Oberfläche gedrückt wird. Geologe Hilmar Rempel sieht dagegen keine Gefahr: "Das Gas liegt in mindestens 1000, oft mehreren Tausend Meter Tiefe. Das Grundwasser ist dagegen relativ oberflächennah. Zwischen der Lagerstätte und dem Grundwasser liegen einige Kilometer isolierendes Gestein."

In den USA wurden Wasserhähne zu Flammenwerfern

Selbstverständlich dürfe die Fracflüssigkeit nicht durch schadhafte Rohrleitungen ins Grundwasser gelangen, betont auch Hans-Martin Schulz vom GASH-Projekt beim GFZ gegenüber dem Abendblatt. Dies werde vor jedem Fracking intensiv getestet. Der Chemikalienmix sei aber "dem Milieu in größeren Tiefen keinesfalls fremd. Dort gibt es natürliche aromatische Kohlenwasserstoffe und aggressive Salzwässer."

Im GASH-Projekt würden auch Fragen der Umweltverträglichkeit geprüft, so Schulz. Zudem laufe in den USA gerade eine Studie der Umweltagentur EPA, die mögliche Folgen von einigen Zehntausend dort bereits durchgeführter Fracking-Bohrungen erhebt. Dies geschieht allerdings erst nachträglich, wenn das Kind womöglich bereits in den Brunnen gefallen ist. Darauf deuten Szenen des Dokumentarfilms "Gasland" an, wo aus einem Haushaltswasserhahn entzündliches Gas herausströmt und ihn per Feuerzeug zum Flammenwerfer macht.

Das Umweltbundesamt habe das Thema vor einigen Monaten ganz unvermittelt getroffen, sagt Rechenberg: "Wir machen jetzt eine Literaturrecherche zu Umweltauswirkungen und werden im kommenden Jahr hoffentlich auf einer Tagung die Betreiber der Testbohrungen und die Wasserbehörden an einen Tisch bringen."

Der Hannoveraner Geologe Rempel sieht das größte Potenzial zur unkonventionellen Gasausbeute in Niedersachsen, also dort, wo auch mit konventionellen Verfahren am meisten deutsches Erdgas gefördert wird. Der Potsdamer Kollege Schulz betont, dass eine größere kommerzielle Förderung noch nicht absehbar sei - "mit einem Boom ist eher nicht zu rechnen".