Hamburger Forscher sind an einer einzigartigen Zwillingsstudie beteiligt

Hamburg. In Deutschland leiden rund 300 000 Menschen an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. In einem weltweit einmaligen Projekt wollen Hamburger und Kieler Wissenschaftler jetzt herausfinden, welche genetischen Ursachen, aber auch welche Umweltfaktoren zu diesen Erkrankungen führen.

Bekannt ist, dass bei erkrankten eineiigen Zwillingen in 56 Prozent der Fälle beide erkranken, wogegen dies nur bei vier Prozent der zweieiigen Zwillinge geschieht. Das ist ein deutlicher Hinweis auf genetische Auslöser. "Wir wissen mittlerweile, dass etwa 20 bis 30 Gene bei diesen Entzündungen im Darm beteiligt sind", sagt Prof. Andreas Raedler, Chefarzt der Inneren Medizin und klinischer Projektleiter der Studie am Asklepios-Westklinikum Hamburg. "Aber erst wenn wir alle beteiligten Gene und ihre Unterklassifikationen kennen, werden wir die Krankheit verstehen können."

Um dieses Ziel zu erreichen, trafen zwei Kooperationspartner zusammen: Prof. Stefan Schreiber, Sprecher des Exzellenzclusters "Entzündungen an Grenzflächen" an der Universität Kiel, einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt, möchte alle Gene sequenzieren, die bis jetzt als Auslöser für Darmentzündungen bekannt sind - und Andreas Raedler konnte dazu eine weltweit einmalige Probandengruppe mit 194 Zwillingspaaren beisteuern. Jeweils ein Zwilling ist erkrankt und einer gesund. Dadurch ist ein direkter Vergleich möglich - "optimale Bedingungen für das Projekt", sagt Raedler.

Mit 40 Paaren wurde das Mammutvorhaben, das es Raedler zufolge weltweit in dieser Form bis jetzt nicht gegeben hat, gestartet. Zwei Jahre lang werden die Computer Tag und Nacht arbeiten, um die gesamten Genome der 80 Personen zu analysieren und in ihrem Aufbau zu bestimmen. Die beiden Forscher rechnen mit einem enormen Wissenszuwachs. Raedler schätzt die Bedeutung für die Therapie der Erkrankungen sehr hoch ein: "Erst wenn wir besser verstehen, welche Proteine durch die Information der Gene produziert werden - und auch, welche möglicherweise durch Genfehler nicht -, können wir optimale Therapien entwickeln." Eine individuelle Therapie aufgrund der Genanalysen, das ist das erklärte Ziel der Wissenschaftler.

Das Projekt soll aber auch Hinweise auf auslösende Umweltfaktoren liefern, denn bei etwa 44 Prozent der eineiigen Zwillinge sind nicht beide erkrankt - was darauf hindeutet, dass nicht nur genetische Einflüsse eine Rolle spielen. Raedler hat bereits zwei Arbeiten veröffentlicht, in denen er äußere Einflüsse beschrieben hat. So ist bei Zwillingen in 80 Prozent der Fälle das ältere Kind von der Erkrankung betroffen und auch die Anzahl an Infektionen und Antibiotika-Behandlungen, die man vor der Erkrankung durchgemacht hat, scheinen auslösende Faktoren zu sein.