Nasa-Forscher entdecken Bakterium, das sich anders ernährt als alle anderen Organismen. Die Frage: Gibt es das Bakterium auch im All?

Hamburg. "Dieser neue Organismus ist die Spitze eines großen Eisbergs", ist sich Paul Davies sicher, "er hat das Potenzial, uns den Zugang zu einem vollständig neuen Bereich der Mikrobiologie zu öffnen." Es ist das Bakterium GFAJ-1 aus der Familie der Halomonadaceae, das den Physiker und Astrobiologen von der Arizona State University so in Aufregung versetzt. Denn der von seinem Forscherteam im Rahmen eines Nasa-Projekts aufgespürte Organismus unterscheidet sich deutlich von allen bekannten irdischen Lebensformen: Er ist in der Lage, statt Phosphor das eigentlich hochgiftige Element Arsen in seinem Stoffwechsel zu verwenden und in Fette, Proteine und sogar in sein Erbgut einzubauen.

Diese Entdeckung könnte nicht nur die irdische Biologie revolutionieren, sondern auch unerwartete Perspektiven für die Suche nach außerirdischem Leben eröffnen. So sieht das zumindest die Nasa. Gestern stellte die US-Raumfahrtbehörde in Washington die Erkenntnisse vor, die nun im Fachjournal "Science" veröffentlicht werden.

Die Abhängigkeit von sechs Elementen ist offenbar keine universelle Regel

Alles bisher bekannte Leben auf der Erde basiert auf sechs essenziellen Elementen: Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel und Phosphor. Phosphor spielt eine wichtige Rolle beim Energiestoffwechsel der Zellen; Phosphorverbindungen sind Bestandteil der DNA- und RNA-Moleküle, der Trägersubstanz der Erbinformationen aller Lebewesen. Für die Suche nach außerirdischem Leben ist es daher eine wichtige Frage, ob die Abhängigkeit von diesen sechs Elementen eine universelle Regel ist - oder ob auch Lebensformen denkbar sind, die auf anderen Substanzen beruhen.

Um der Antwort auf diese Frage nachzugehen, haben Davies und sein Team Bakterien untersucht, die im Sediment des kalifornischen Salzsees Mono Lake gedeihen. Der Salzsee erschien den Wissenschaftlern besonders geeignet für die Suche nach fremdartigen Lebensformen, weil er einen ungewöhnlich hohen Anteil an Arsen enthält - einem eigentlich giftigen Element. Arsen ähnelt chemisch Phosphor, Zellen nehmen es deshalb leicht auf. Doch im Inneren der Zellen kann Arsen trotz der Ähnlichkeit nicht die Funktion von Phosphor übernehmen. Das Arsen blockiert dadurch die biochemischen Abläufe und führt zu Vergiftungen.

Doch vielleicht, so spekulierte Davies mit einigen Kollegen, gibt es Organismen, die mit Arsen statt mit Phosphor funktionieren können. Die Wissenschaftler züchteten also Bakterien aus dem Sediment des Mono Lakes und unterwarfen sie einer Arsen-Diät bei gleichzeitigem Phosphor-Entzug. Schließlich blieben auf dem Nährboden tatsächlich nur Bakterien zurück, die sich von Arsen ernähren können. Mehr noch: Davies und sein Team konnten zeigen, dass GFAJ-1 Arsen überall dort einbaut, wo Mikroorganismen gewöhnlich Phosphor verwenden - bis hin zu seiner Erbsubstanz DNA.

GFAJ-1 kann, so zeigen die Analysen, sowohl Phosphor als auch Arsen in seinem Stoffwechsel verarbeiten. "Das macht den Mikroorganismus ungewöhnlich, aber es ist noch keine komplett fremdartige Lebensform, kein Lebenszweig mit einem unabhängigen Ursprung", gesteht Davies. Dennoch könne GFAJ-1 "eine Art Wegweiser zu noch seltsameren Organismen sein. Der heilige Gral wäre dabei eine Mikrobe, die völlig ohne Phosphor auskommt."

Davies ist seit Langem ein Verfechter der These, dass es auf der Erde eine Art "Schatten-Biosphäre" mit bislang übersehenen Mikroorganismen gibt, die eine andere Biochemie und eine andere Entstehungsgeschichte als die bekannten Lebensformen besitzen. Die Entdeckung von GFAJ-1 hat möglicherweise die Tür zu dieser Schatten-Biosphäre einen Spalt breit geöffnet. Dieser Aspekt ist es auch, der die Forschungen so interessant für die amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa macht.

Denn eine der zentralen Forschungsaufgaben der Nasa ist die Suche nach Leben auf anderen Himmelskörpern - in unserem Sonnensystem und auf Planeten anderer Sterne. Über 500 solcher Exoplaneten haben die Astronomen schon entdeckt. Immer häufiger stoßen sie auf Planeten, die unserer Erde ähneln, und die Untersuchung der Atmosphären dieser fernen Welten rückt in greifbare Nähe.

Wonach aber sollen die Astrobiologen bei ihrer Suche nach Leben Ausschau halten? Bislang konzentrieren sie sich auf Leben, wie wir es auf der Erde kennen. Die Entdeckung von GFAJ-1 zeigt, dass dieser Ansatz zu eng gefasst sein könnte. Vielleicht gibt es außerirdisches Leben, das völlig anders funktioniert, auf Planeten, die wir aus unserem irdischen Blickwinkel als lebensfeindlich einstufen würden.

Das Leben ist womöglich viel flexibler, als Biologen angenommen haben

"Unsere Entdeckung ist eine Erinnerung daran, dass Leben, wie wir es kennen, wesentlich flexibler ist, als wir im Allgemeinen annehmen oder uns vorstellen können", sagt Felisa Wolfe-Simon, die ebenfalls an der Forschungsarbeit beteiligt war. "Wenn etwas hier auf der Erde schon etwas so Unerwartetes tun kann", so Wolfe-Simon weiter, "was können dann erst Lebensformen, die wir noch gar nicht kennen? Die Zeit ist reif, das herauszufinden."

Deutsche Forscher äußerten sich gestern weniger euphorisch. "Die grundsätzliche Idee macht zwar Sinn, ist aber nicht neu", sagte etwa Peter Hauschildt, Professor für Astronomie an der Hamburger Sternwarte. "Es handelt sich um eine sehr interessante Beobachtung, die sicher viel diskutiert werden wird", sagte Wolfgang Streit, Professor für Mikrobiologie am Biozentrum Klein Flottbek. "Dass die Biologie dabei allerdings auf den Kopf gestellt wird, sehe ich derzeit nicht."