Tübinger Ärzte implantieren erstmals Hirnschrittmacher, der Anfälle reduziert

Tübingen. Epileptiker, bei denen die gängigen Therapien nicht zufriedenstellend anschlagen, können auf eine neue Behandlung hoffen. Erstmals in Europa haben Ärzte der Universitätsklinik Tübingen einem Patienten nach der offiziellen Zulassung einen Hirnschrittmacher zur Tiefen Hirnstimulation eingesetzt, der die Krampfanfälle bei Epilepsie verhindern oder zumindest lindern soll.

Nachdem eine US-Studie die Wirksamkeit der Tiefen Hirnstimulation (THS) bei Epilepsie nachgewiesen hatte, ist diese Methode seit August dieses Jahres auch in Europa für die Behandlung der Epilepsie zugelassen. In der umfassenden, multizentrischen SANTE-Studie wurden 110 Patienten zwei Jahre lang behandelt. Bei 40 Prozent der Teilnehmer zeigten sich nach 13 Monaten 50 Prozent weniger epileptische Anfälle. Durchschnittlich reduzierte sich die Zahl der Anfälle um 38 Prozent, jeder zehnte Patient war mindestens sechs Monate anfallsfrei.

Etwa 400 000 bis 800 000 Menschen in Deutschland leiden an einer Epilepsie, rund 200 000 Patienten bekommen trotz der Behandlung mit Medikamenten häufig Anfälle. Sie kommen für die neue Behandlung in Betracht. "Wir haben jetzt eine neue Behandlungsmöglichkeit für diese Patienten," berichtet der Neurochirurg Prof. Dr. Alireza Gharabaghi, der mit seinem Team die Operation in Tübingen durchführte. "Die THS kommt für alle Epilepsieformen infrage, auch bei Patienten, bei denen andere chirurgische Eingriffe erfolglos waren," so Dr. Sabine Rona, Leiterin der Prächirurgischen Epilepsiediagnostik in Tübingen.

Bei der Operation implantieren die Ärzte zwei hauchdünne Drähte in den Thalamus, eine zentrale Schaltstelle in der Mitte des Gehirns. Diese Elektroden werden dann an den Stimulator unterhalb des Schlüsselbeins des Patienten angeschlossen. Die Stimulation selbst erfolgt in einem festen Rhythmus: eine Minute Stimulation, fünf Minuten Ruhe, eine Minute Stimulation usw. Bemerken die Implantatträger am Auftreten einer Aura, dass ein Anfall bevorsteht, können sie einen "Notfall-Knopf" betätigen und den Anfall abwenden. Das Implantat kann jederzeit wieder entfernt werden, die Elektroden schädigen das Hirngewebe nicht.

Die Tiefe Hirnstimulation wird bei Bewegungsstörungen wie Parkinson, Tremor oder Dystonie schon seit Längerem mit Erfolg angewandt. Für die Behandlung der Epilepsie ist das neu, wie Dr. Wolfgang Hamel, Neurochirurg am Universitätsklinikum Eppendorf, erklärt. "Für Patienten, die konventionell nicht zufriedenstellend zu therapieren sind, gab es bis jetzt als operatives Verfahren nur die Vagusstimulation. Dabei wird am Hals eine Spiralelektrode implantiert, die den Vagusnerv reizt und Anfälle reduziert. Die neue Methode ist ein konkurrierendes Verfahren."

Hamel weist darauf hin, dass beide Verfahren Epilepsie nicht heilen können. "Aber für einen Epileptiker ist es eine große Verbesserung seiner Situation, wenn die Anfälle so effektiv wie in der Studie reduziert werden können." Da die neue Methode jetzt zugelassen ist, kann sie bei der Krankenkasse abgerechnet werden.