Hamburger Forscher wollen das Treibhausgas Kohlendioxid für neue Verpackungsmaterialien und Biokraftstoffe nutzen

Hamburg. Eine Entdeckung allein ist oft noch nichts wert; es braucht jemanden, der sie zu nutzen weiß - und groß herausbringt. Als japanische Chemiker Ende der 1960er-Jahre herausfanden, dass sich die organische Flüssigkeit Propylenoxid mit Kohlendioxid (CO 2 ) zu dem Kunststoff Polypropylencarbonat verbinden kann, wussten sie damit nicht viel anzufangen. Heute, vier Jahrzehnte später, will ein Hamburger Forscher mit diesem Verfahren einen neuen, biologisch abbaubaren Kunststoff für Verpackungen herstellen, der den weltweit meistproduzierten, umweltbelastenden Kunststoff Polyethylen in Teilen ablösen könnte. "Wir stehen kurz davor, das Produkt zur Massenfertigung zu bringen", sagt Gerrit Luinstra, Professor für Technische und Makromolekulare Chemie an der Universität Hamburg.

Der 47-Jährige gehört zu den Vorreitern für eine umweltfreundliche grüne Chemie. Und dabei konzentriert er sich ausgerechnet auf CO 2 , jenes Gas, dessen steigende Konzentration in der Atmosphäre maßgeblich für den Treibhauseffekt verantwortlich gemacht wird. Die Bundesregierung will das von deutschen Kohle- und Gaskraftwerken ausgestoßene Kohlendioxid abscheiden und tief unter der Erde speichern (CCS-Verfahren), etwa in salzwasserhaltigen Sandsteinschichten. Doch allein die Erforschung potenzieller CO 2 -Endlager stößt vielerorts auf heftige Proteste.

Luinstras Team erhält Fördermittel vom Bundesforschungsministerium

Deshalb gilt die Idee, das Klimagas als Rohstoff zu verwerten, mittlerweile als eine der wichtigsten Maßnahmen, um zu erreichen, dass weniger CO 2 in die Atmosphäre gelangt. Das hat auch das Bundesforschungsministerium erkannt, das mit etwa 46 Millionen Euro Wissenschaftler fördert, die sich mit der Nutzung von CO 2 beschäftigen, darunter auch Prof. Gerrit Luinstra und sein fünfköpfiges Team.

So gut die Idee klingen mag, CO 2 gewinnbringend einzusetzen, so schwer ist sie umzusetzen. Denn das Molekül ist sehr stabil und nur schwer zu einer Reaktion zu bewegen. Es sei denn, es stößt auf einen energiereichen Partner wie etwa Propylenoxid: Dann lässt sich das CO 2 auf eine Verbindung ein - mit Hilfe eines Katalysators. Vereinfacht dargestellt funktioniert das so: Zuerst füllen die Forscher den Katalysator - Luinstras Team nutzt weißes Zinkglutarat - in einen Reaktor und vermengen ihn mit flüssigem Propylenoxid. Dann pressen sie mit einem Druck von 20 bis 30 Bar Kohlendioxid in den Reaktor. Durch die nun folgende Reaktion entsteht Polypropylencarbonat.

Das klingt zunächst simpel, tatsächlich sei es jedoch ein "gewaltiger Unterschied, ob am Ende weiße Krümel herauskommen oder ein Kunststoff, der sich für Verpackungen eignet", sagt Luinstra. In den vergangenen zwei Jahren habe er mit seinem Team den Prozess so weit optimiert, dass der Kunststoff in großen Reaktoren hergestellt werden könne, transparent und formbar sei und binnen kurzer Zeit kompostierbar. "In Versuchen konnten wir zeigen, dass der Kunststoff in 90 Tagen natürlich abgebaut wird."

Und die CO 2 -Bilanz? Immerhin muss der Reaktor geheizt und abgekühlt werden - das kostet Energie. "Da wir gleichzeitig CO 2 in den Kunststoff einbinden, ist das Verfahren nahezu CO 2 -neutral", sagt Luinstra. "Ein positiver Klimaeffekt könnte entstehen, wenn in Zukunft vor allem dieser neue Kunststoff hergestellt würde und weniger Polyethylen. Dadurch könnten wir insgesamt CO 2 sparen."

Luinstra gibt allerdings zu: Selbst wenn in Deutschland die Herstellung von Polyethylen vollständig durch den neuen, CO2-speichernden Kunststoff ersetzt würde, könnte man damit den CO 2 -Ausstoß, der in Deutschland durch Kraftwerke verursacht wird, geschätzt um ein Prozent reduzieren. Das wären zwar immerhin fast vier Millionen Tonnen - das Weltklima wird dadurch aber nicht gerettet. Und spätestens, wenn der neue Kunststoff auf dem Müll landet, würde das gespeichert CO 2 beim Abbau wieder frei. Der kleine Nutzen für den Klimaschutz spreche aber nicht gegen die Neuentwicklung, sagt Luinstra: "Dass bald ein kompostierbarer Kunststoff ein umweltbelastendes Pendant ersetzen könnte, ist für mich Antrieb genug, die Forschung in diese Richtung fortzusetzen."

Nichtsdestotrotz bedürfe es weiterer Ansätze, CO 2 so zu nutzen, dass ein stärkerer Einspareffekt entstehe, betont der Chemieprofessor und verweist auf eine Forschergruppe am Biozentrum Klein Flottbek.

Mikroorganismen aus der Tiefsee könnten helfen, CO 2 umzuwandeln

Dort untersucht das Team der Mikrobiologin Dr. Mirjam Perner, 36, wie besondere Mikroorganismen helfen könnten, CO 2 umzuwandeln. Die Proben, mit denen die Wissenschaftlerinnen arbeiten, brachte Perner von einer Atlantik-Expedition im April 2009 mit. Sie stammen aus bis zu 400 Grad heißen Tiefseequellen, die entlang von Unterwassergebirgen auftreten und schwarze Flüssigkeit und Gase ausstoßen, wobei die Gase bis zu 99 Prozent aus CO 2 bestehen können. Zum Vergleich: Unter den Gasen in der Atmosphäre macht CO 2 weit weniger als ein Prozent aus.

In der Tiefsee zeigt sich ein erstaunliches Phänomen: Der Meeresboden ist karg und unwirtlich, doch im direkten Umfeld der Black Smoker genannten Quellen existieren Oasen des Lebens. Offenbar nutzen Bakterien das CO 2 , um mit Enzymen Biomasse zu produzieren, die Würmer und Muscheln ernährt. Doch die Erforschung dieser Bakterien ist zeitaufwendig, denn allein eine Probe enthält bis zu zehn Millionen Zellen pro Milliliter Flüssigkeit.

Das Ziel der Forscherinnen ist, die Fähigkeiten der Bakterien zu kopieren, um Enzyme herzustellen, die CO 2 umwandeln können, etwa in Ameisensäure, einen potenziellen Biotreibstoff, der in Brennstoffzellen zum Einsatz kommen könnte. Wann es soweit sein wird, könne sie nicht seriös prognostizieren, sagt Perner. Ein Termin steht immerhin fest: Im Frühjahr 2012 wird die Mikrobiologin zu einer neuen Expedition aufbrechen, um einen Roboter weitere Proben aus Tiefseequellen sammeln zu lassen - dann allerdings im Pazifik.