Das zwiespältige Verhältnis der Gesellschaft zu Hunden, Kühen und Co. untersucht eine neue Forschungsgruppe aus Hamburg.

Hamburg. Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier - es könnte widersprüchlicher kaum sein: Den Hund etwa nennt zumindest der Mensch in westlichen Gesellschaften gerne seinen "besten Freund", wahlweise "Liebling"; mit ähnlich großer Zuneigung widmet er sich Katzen, Papageien oder Schildkröten. Hierzulande lebt in jedem dritten Haushalt ein Tier. Ganz anders ergeht es den "Nutztieren": Kühe, Schweine und Hühner halten die Deutschen überwiegend unter Bedingungen, die Tierschützer "grausam" nennen.

Dürfen wir Tiere, die scheinbar weniger intelligent sind, oder weniger schön, oder uns wenig zu ähneln scheinen, schlechter behandeln, als scheinbar intelligentere Tiere, die uns näherstehen? Dürfen wir Tiere essen, sie in Zoos und Zirkussen präsentieren? Während ein Teil der Gesellschaft solche Fragen schon seit Jahren debattiert, hinkt die Wissenschaft hinterher; die Mensch-Tier-Beziehungen sind noch weitestgehend unerforscht. Das soll sich nun ändern: An der Universität Hamburg wird heute die "Group for Society & Animals Studies" (GSA) gegründet, nach Angaben der Organisatoren die deutschlandweit erste sozialwissenschaftliche Gruppe, die sich dem Verhältnis der Gesellschaft zu Tieren widmet.

Immer mehr Menschen nehmen Tiere als Wesen mit Gefühlen wahr

Dieses Verhältnis, sagt die Leiterin der GSA, Prof. Birgit Pfau-Effinger, habe sich in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland verstärkt in zwei Richtungen entwickelt. Da sei einerseits die Hinwendung zum Tier: "Immer mehr Menschen nehmen Tiere als Wesen wahr, die ein Bewusstsein haben, einen eigenen Willen und Gefühle; diese Menschen sind davon überzeugt, dass Tiere uns sehr ähnlich sind - und dass wir sie entsprechend behandeln sollten." Diese Zuneigung äußere sich bisher aber hauptsächlich in der Beziehung zu Haustieren, die von manchen Menschen schon wie ein Lebenspartner behandelt würden. "Andererseits hat die Gesellschaft die Tötung von Tieren in einem gewaltigen Ausmaß perfektioniert", sagt die Soziologin.

In diesem Spannungsfeld liege ein "großes Potenzial zur Veränderung, sagt Pfau-Effinger, und sie meint damit, dass die Kluft kleiner werden könnte: "Es gibt zumindest in westlich orientierten Gesellschaften die Tendenz, Tierschutzrechte so weit auszuweiten, dass sie Menschenrechten ähneln oder sogar gleichkommen."

In Spanien setzt sich der Umweltausschuss des Parlaments dafür ein, Bonobos, Gorillas, Orang-Utans und Schimpansen - unseren engsten nicht menschlichen Verwandten - ein Recht auf Leben, Freiheit und Schutz zu geben. In Neuseeland genießen Menschenaffen schon seit 1999 besonderen Schutz: Sie dürfen nur noch dann in Experimenten eingesetzt werden, wenn die Ergebnisse ihrer Spezies zugutekommen. In Dänemark dürfen Pferde nur noch in Gruppen gehalten werden, damit sie ein natürliches Herdenverhalten ausleben können.

Aber warum halten solche - scheinbar tierfreundliche - Gesellschaften trotzdem an der massenhaften Haltung und Tötung von Tieren fest? "Es gibt immer mehr Menschen, die Konsequenzen ziehen", sagt Pfau-Effinger. Das zeige zum Beispiel die wachsende Zahl der Vegetarier. Das Buch "Tiere essen" von dem US-amerikanischen Schriftsteller Jonathan Safran Foer, in Deutschland erschienen im August, stand bis Ende Oktober in der Top 10 der deutschen Sachbuch-Charts. Auch dies sei ein starker Beleg dafür, dass diese Art von "Umgang" des Menschen mit Tieren in der Gesellschaft zunehmend umstritten sei.

"Dennoch halten viele Menschen den Widerspruch zwischen der Vermenschlichung und der Tötung von Tieren aus, weil die Tötung hinter den Kulissen stattfindet", sagt Birgit Pfau-Effinger. "Noch möchten viele Menschen auch nicht sehen, was hinter den Kulissen passiert. Aber diese Haltung wackelt." Die Forschung zeige: "Je weiter sich eine Gesellschaft intellektuell entwickelt, desto schwerer kann sie die Widersprüche in ihrem Verhältnis zu Tieren aushalten."

In Zoos wollen Menschen das Gefühl haben, dass es den Tieren gut geht

Das werde auch in Zoos deutlich, sagt Pfau-Effinger. "Dort versuchen die Betreiber, Tiere zunehmend in ihrer natürlichen Lebenswelt zu präsentieren." Dahinter stecke einerseits ökonomische Berechnung: "Solche Maßnahmen locken Besucher an. Da sich immer mehr Menschen mit Tieren verbunden fühlen, wollen sie auch in Zoos das Gefühl haben, dass es den Tieren dort gut geht, dass sie sich wohlfühlen und nicht leiden müssen." Mehr noch: "Die Besucher wollen die Tiere näher kennenlernen, nicht als anonyme Gruppe, sondern als Individuen", sagt Pfau-Effinger. Ein Beleg dafür sei die zunehmende Popularität von Zoosendungen im Fernsehen, in denen vor allem die individuellen Eigenheiten der tierischen Gesellen im Fokus stünden. Hat Waschbär Ulli heute gute Laune? Geht es dem kranken Fuß von Giraffe Hilde schon besser? Dass die Betreiber von Zoos diesen Bedürfnissen entgegenkämen, entspringe teilweise aber auch dem echten Bedürfnis, die Tiere besserzustellen und ihrer Persönlichkeit gerecht zu werden", sagt Pfau-Effinger.

Der Mensch breitet sich aus und besetzt den Lebensraum von Tieren

Das gelte auch für den Umgang mit frei lebenden Tieren. Einerseits besetzt der Mensch ihre Lebensräume, er rodet Wälder, baut Wohnhäuser und Hotels auch in den abgelegensten Gegenden. Die menschliche Bevölkerung wächst, 18 000 Tierarten sind stark bedroht. 3200 Tiger leben in freier Wildbahn, bis zu 20 000 in Gefangenschaft, schätzt der World Wide Fund for Nature (WWF). Und andererseits gebe es die Gegenbewegungen, sagt Pfau-Effinger. In den USA etwa würden an einigen Stellen Pferde ausgewildert, die in eigens gegründeten Reservaten leben sollen - völlig unbehelligt vom Menschen.

All diese Phänomene wolle sie nun mit der "Group for Society & Animals Studies" analysieren, sagt Pfau-Effinger, die vergangene Woche in die Liste der herausragenden Wissenschaftlerinnen des Exzellenzportals "AcademiaNet" aufgenommen wurde. In ihrer Gruppe sollen nun Soziologen, Historiker und Philosophen gemeinsam forschen. Den Anfang machen Doktorarbeiten, zukünftig wolle sie aber Drittmittel für ein größeres Forschungsprojekt einwerben, sagt Pfau-Effinger.

Das Ziel, so die Professorin, sei eine möglichst breite Bestandsaufnahme der Mensch-Tier-Beziehungen - frei von Wertungen: "Wir wollen keine Moralapostel sein", sagt Pfau-Effinger. "Aber natürlich könnte die Gesellschaft unsere Erkenntnisse nutzen, um zu entscheiden: Gehen wir gut mit Tieren um - oder nicht?"