Unternehmer Michael Otto lud ein zum Expertenforum über die Verstädterung

Hamburg. Heute lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, in einigen Jahren werden es 70 Prozent sein. Schon jetzt gehen 80 Prozent des globalen Energieverbrauchs und drei Viertel des Treibhausgasausstoßes auf das Konto der Städte. Hier wird sich entscheiden, ob die Menschheit zukünftig nachhaltiger lebt, verantwortungsvoller mit der Natur und den Ressourcen umgeht. Deshalb und weil Hamburg im kommenden Jahr den Titel der europäischen Umwelthauptstadt tragen darf, widmete Versandhauschef Michael Otto das jährliche Expertentreffen seiner Umweltschutz-Stiftung gestern dem Thema Verstädterung.

"Der Umwelthauptstadt-Titel ist eine Ehre. Aber er fordert uns auch auf, den Blick dahin zu lenken, wo wir noch Zusätzliches leisten müssen, um unser Gemeinwesen zukunftsfähig zu gestalten", sagte Otto. Prof. Herbert Giradet, Experte für Stadtentwicklung und Programmdirektor des World Future Council, zeichnete die Vision von "Ecopolis", der ökologischen Stadt (polis).

Die Städte des 19. Jahrhunderts waren mit dem umgebenden Land eng verbunden. Sie konsumierten die Güter, die die in der Gegend lebenden Bauern auf Märkten feilboten. Giradet nennt die Stadtform Agropolis. Im 20. Jahrhundert führten die fossilen Energien und die Maschinen, die sie antrieben, zu einem Konsummuster, bei dem Entfernungen keine Rolle spielen - in die "Petropolis" führt ein linearer Strom von Gütern aus aller Welt, und sie entlässt ebenso linear Abfallstoffe, die der Umwelt zur Last fallen. Die Stadtform des 21. Jahrhunderts müsse die Ökopolis werden, so Giradet: Eine Stadt, die wieder mehr Wechselbeziehungen mit der Umgebung pflegt, die aus dem Umland Windstrom und Lebensmittel bezieht, die ihm die Nährstoffe, die sie entzog, über ein kluges Abwasser- und Abfallmanagement zurückgibt.

"Wir müssen in Kreisläufen denken, in biologischen und technischen. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz ist nur ein Anfang, es reicht bei Weitem nicht aus", betonte Giradet. Es reiche nicht aus, allein von den Städten ein Umdenken zu fordern, "auch die nationale und internationale Politik beeinflusst die Umweltqualität von Städten".

Der renommierte Architekt Albert Speer nannte sieben Säulen der Stadtplanung, die das Leitbild Ökopolis tragen könnten. Eine heißt Management. Das gilt vor allem für die Megacitys (Städte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern) in den Entwicklungsländern. Speer: "Technische Fragen sind relativ einfach in den Griff zu bekommen. Die Herausforderung ist die Organisation und das Management." Aber auch in hiesigen Städten würden durch Missmanagement Millionen Euro vernichtet, betonte der Stadtplaner und nannte das Beispiel Stuttgart 21. Speer liebäugelt mit einem Verfallsdatum für große Bauprojekte: "Wenn sie bis dahin nicht umgesetzt sind, kommen sie in den Müll. Oder werden recycelt."

Weitere Säulen sind laut Speer die Stadt der kurzen Wege (eine Mischung aus Arbeit, Wohnen, Einzelhandel), eine Verkehrspolitik, die auf Stadtbahnen und Autoleihsysteme setzt sowie die "dezentrale Konzentration". Sie beschreibt die Idee, Metropolen nicht flächenhaft ins Umland wuchern zu lassen, sondern außerhalb der Innenstadt Subzentren zu schaffen. "Die Megacity Shanghai plant neun Satellitenstädte mit jeweils drei bis fünf Millionen Einwohnern. Dazwischen werden Landwirtschaft betrieben, um die Städter zu versorgen, und Wälder aufgeforstet."

Ein ähnliches Konzept hatte - im kleineren Maßstab - bereits anno 1919 der Hamburger Stadtarchitekt Fritz Schumacher entwickelt: Die Stadt sollte sich entlang von Verkehrsachsen entwickeln, dazwischen grüne Freiräume bestehen bleiben. "Das von meinem Vater gegründete Alstereinkaufszentrum ist so ein urbanes Zentrum geworden", betonte Alexander Otto, der wie sein Bruder Michael das unternehmerische Werk des Vaters weiter ausgebaut hat.

Als Geschäftsführer der ECE Projektmanagement leitet er Europas größtes Unternehmen, das Einkaufszentren entwickelt und betreibt. Solche Zentren könnten dazu beitragen, den unverträglich hohen Flächenverbrauch zu reduzieren, sagte Otto: "In Poppenbüttel gibt es heute ein Zentrum, in dem sich neben dem Einzelhandel Behörden und mehr als 100 Ärzte angesiedelt haben, mit Plätzen, Brunnen und Gewässern." Damit seien Projekte am Hamburger Stadtrand, auf der grünen Wiese, verhindert worden.

Die Weltstadt Hamburg müsse, um zur Ökopolis zu werden, aber nicht nur vor der eigenen Haustür kehren, sondern als Handelsmetropole über die Waren- und Finanzflüsse auch anderen Teilen der Welt helfen, den Pfad der Nachhaltigkeit zu gehen, betonte Herbert Giradet. (Auch) hier ist der Gastgeber Michael Otto vorbildlich.

Er komme gerade aus Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesh, zurück, erzählt Otto. "Wir treiben seit vielen Jahren Handel mit dem Land. Nun wollen wir in Kooperation mit Prof. Mohamad Yunus, Träger des Alternativen Nobelpreises, eine Textilfabrik errichten, bei der die Gewinne in soziale Projekte fließen, die unmittelbar den Arbeitern und deren Familien zugutekommen." Denn, so Gastgeber Otto: "Wenn die Bürger von Dhaka, Nummer vier unter den Megastädten, ihre Probleme nicht lösen können, werden auch wir langfristig nicht erfolgreich sein. Wir sitzen alle in einem Boot."