Auf frischem Gemüse leben Millionen von Bakterien, deren Talente sich vielleicht nutzen lassen

Großbeeren. Es ist eine Symbiose der besonderen Art: Bakterien bewohnen Gemüse, ernähren sich vom pflanzlichen Zucker und geben ihren grünen Gastgebern etwas Gutes zurück. Was das genau ist, versuchen Silke Ruppel und ihre Kollegen vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau im brandenburgischen Großbeeren herauszufinden. Sie haben Saatgut und Keimlinge gezielt mit dem Bakterium Enterobacter radicincitans behandelt, mit erstaunlichen Erfolgen: Auf Mais und Weizen, Kohlrabi, Radieschen und Tomaten siedelten sich die Organismen bereitwillig an und ließen die Pflanzen deutlich besser wachsen.

Das getestete Getreide lieferte beispielsweise zwischen zwölf und 20 Prozent mehr Ertrag. Die Forscher haben inzwischen ein Präparat mit den wachstumsfördernden Winzlingen entwickelt, das demnächst auf den Markt kommen und Bauern zu besseren Ernten verhelfen soll. Doch auch ohne menschliches Einwirken besiedelt ein unsichtbares Heer von Bakterien das Grünzeug - und wird mit jeder Salatportion mit verspeist. Dies ist kein Grund zur Sorge, ganz im Gegenteil: Wissenschaftler vermuten, dass etliche der mikroskopisch kleinen Gemüsebewohner gesundheitsfördernde Wirkungen haben, nicht nur für die besiedelten Pflanzen, sondern auch für Menschen.

Lange hatten die einzelligen Untermieter ein wissenschaftliches Schattendasein geführt. Wenn es überhaupt Studien zu diesem Thema gab, ging es meist um Krankheitserreger oder um Arten, die Viehfutter per Milchsäuregärung in Silage verwandeln und so haltbar machen können. Über die große Masse der bakteriellen Pflanzenbewohner aber wusste man bis vor Kurzem nur sehr wenig. Das lag auch an methodischen Schwierigkeiten. Denn höchstens ein Prozent aller Bakterienarten lässt sich im Labor auf künstlichem Nährböden züchten und steht damit den klassischen Untersuchungsmethoden zur Verfügung.

Um dennoch einen Überblick über die Bakteriengemeinschaft auf dem Gemüse zu gewinnen, setzen Silke Ruppel und ihre Kollegen auf molekularbiologische Analysen. Aus gefriergetrockneten Pflanzenblättern isolieren sie zunächst das gesamte Erbmaterial. Anhand von bestimmten typischen Abschnitten können sie dann die DNA der Bakterien vom Erbgut der Pflanze unterscheiden. Jeder Einzeller enthält je nach Art zwischen zwei und 27 Kopien dieser verräterischen Gensequenz. Aus der Zahl dieser Kopien lässt sich daher zumindest grob abschätzen, wie viele Bakterien das jeweilige Gewächs besiedelt haben.

"Dabei finden wir verblüffend große Unterschiede zwischen den einzelnen Gemüsearten", sagt Ruppel. In einem Gramm Spinat haben sie und ihre Kollegen zum Beispiel 100 Milliarden Bakterienzellen entdeckt, in Blattsenf nur ein Zehntel so viele. Zudem hat jedes Gemüse auch noch sein eigenes Spektrum von Bakterienarten. Eine Reihe von Faktoren scheint eine Pflanze zu einem guten oder schlechten Siedlungsplatz zu machen. Viele Bakterien mögen weder sehr raue Blätter noch solche mit dicken Wachsschichten. Wichtig ist auch, welche verwertbaren Zucker ein Gewächs zur Verfügung stellt - nicht jede Art hat das perfekte Mikroben-Menü im Angebot. Zudem produzieren Pflanzen chemische Verbindungen, die das Bakterienwachstum fördern oder hemmen können.

Als die Forscher versuchten, die Bakterien Enterobacter radicincitans auf den Blättern von fünf verschiedenen Kohlarten anzusiedeln, waren sie daher nicht überall gleich erfolgreich. Eine ausgesprochene Vorliebe hat der Einzeller offenbar für Arten wie Senfspinat und Weißkohl, die einen hohen Anteil an bestimmten Zuckern und sekundären Pflanzenstoffen enthalten. "Zu Letzteren gehören die sogenannten Alkenyl-Glucosinolate, die den Bakterien die Ansiedlung erleichtern", sagt Silke Ruppel. Auch gelbe und rötliche Farbstoffe, die Biochemiker unter dem Begriff "Carotinoide" zusammenfassen, begünstigen ein reiches Mikroben-Wachstum. Andere Verbindungen machen Enterobacter radicincitans dagegen das Leben schwer.

Dabei hätten Pflanzen eigentlich gute Gründe, gerade diesem Bakterium günstige Bedingungen zu bieten. Denn in Laborversuchen erweist es sich als echtes Multitalent. Die Art produziert Antibiotika und Pflanzenhormone und verwandelt schwer lösliche Phosphorverbindungen in solche, die für Pflanzen besser nutzbar sind. Zudem bindet sie Stickstoff aus der Luft und zersetzt organische Substanz, sodass die darin enthaltenen Nährstoffe frei werden.

Wie das alles den Stoffwechsel der Pflanzen beeinflusst, weiß noch niemand so genau. Fest steht nur: Sie gedeihen besser. Ähnliches könnte für die menschliche Gesundheit gelten, so die Pflanzenforscher. Zwar wisse man noch nichts über positive Wechselwirkungen der bakteriellen Pflanzenbewohner mit dem menschlichen Organismus. Es könne aber durchaus sein, dass Gemüsefans von den Leistungen mancher Bakterien profitieren.

Wenn diese kleinen Helfer identifiziert sind, können Silke Ruppel und ihre Kollegen eines Tages vielleicht Gemüsesorten empfehlen, die damit besonders reich ausgestattet sind. Möglicherweise lassen sich die Pflanzen auch gezielt mit den entsprechenden Kulturen anreichern - ähnlich wie bei den sogenannten probiotischen Milchprodukten, die heute schon in Joghurts und anderen Produkten stecken.

"Wie die Bakterien im Joghurt genau wirken, ist allerdings auch noch nicht bekannt", sagt Gisela Olias vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE). Die zahlreichen Studien zu dem Thema liefern ein unklares Bild. Das liegt auch daran, dass verschiedene Bakterienarten in Lebensmitteln oder Präparaten zum Einsatz kommen. Einige Studienergebnisse sprechen zumindest dafür, dass die angereicherten Joghurts die Verdauung verbessern.

Hinweise auf eine positive Wirkung von bestimmten probiotischen Bakterien haben DIfE-Forscher auch aus einer Studie mit zu früh geborenen Babys: Als sie deren Milch mit einem bestimmten Bakterienstamm anreicherten, gediehen die Kinder nachweislich besser und waren weniger anfällig für Darminfektionen als ihre Altersgenossen mit normaler Kost.

Vielleicht lassen sich ja eines Tages auch mit den Gemüsebewohnern unter den Bakterien ähnliche Erfolge erzielen. Bis zum probiotischen Spinat oder Radieschen wird es allerdings noch viele Jahre dauern.