Die Auswertung von weltweiten Bestandsdaten von 2544 Wirbeltierarten zeigt jedoch einen deutlichen Schwund in den Tropen.

Gland. Ein Waldarbeiter setzt die Kettensäge an und bringt einen Urwaldriesen zu Fall - die Szene vom Raubbau am Regenwald geht unter die Haut. Denn sie steht für die Vernichtung von Lebensräumen und ihren Bewohnern. Seit 1998 fasst die Umweltstiftung WWF die Folgen menschlichen Handelns für die Natur in Zahlen. Sie entwickelte einen "Living Planet Index" (LPI), der den Zustand des Planeten widerspiegeln soll. Gestern präsentierte der Umweltverband seinen achten Bericht. Danach sank der globale LPI seit 1970 um 30 Prozent. In der tropischen Klimazone liegt das Minus sogar bei 60 Prozent, während die Kurve in den gemäßigten Breiten nach oben zeigt: Dort stieg der Naturreichtum um 29 Prozent.

Ähnlich wie ein Aktienindex anhand ausgesuchter Unternehmen auf den Zustand der Wirtschaft schließen lässt, betrachtet der LPI den Naturzustand der Erde anhand ausgewählter Tierbestände. Weltweit wurden 7953 Bestände von 2544 Wirbeltierarten (Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische) erfasst. Für sie liegen genügend Daten vor, um Trends über Jahrzehnte erkennen zu können. Weil die Datenlage vor 1970 eher dünn ist, beschränkt sich die Rückschau auf die vergangenen 40 Jahre.

In den gemäßigten Breiten wurden Luft und Gewässer deutlich sauberer

Das erklärt das gute Abschneiden der gemäßigten Breiten, in den die Industrieländer den Ton angeben. Hier waren 1970 die natürlichen Lebensräume bereits so weit zerstört oder verändert, dass der LPI auf einem recht niedrigen Niveau ansetzte - "bereits vor 1950 war mehr als die Hälfte der geschätzten ursprünglichen Laubwaldflächen in Landwirtschaftsflächen, Forstplantagen und Stadtgebiete umgewandelt worden", heißt es in dem Bericht von WWF International mit Hauptsitz in Gland (Schweiz). Gleichzeitig sind Luft und viele Gewässer deutlich sauberer und der Naturschutz gestärkt geworden, das beflügelte die heimische Fauna. In tropischen Breiten lag das Ausgangsniveau weit höher, und die massiven Veränderungen der Ökosysteme sind jünger und halten bis heute an.

Unter dem Naturschwund leiden auch die Menschen. Sie sind nicht nur auf die Rohstoffe der Natur, sondern auch auf ihre Dienstleistungen angewiesen. Beispiel Costa Rica: Auf Kaffeefarmen, die weniger als einen Kilometer vom Wald entfernt sind, erhöht sich dank der Bestäubungsleistung der Waldinsekten die Kaffeeernte um 20 Prozent. Und auf der Sunda-Insel Flores (Indonesien) zeigte sich, dass Menschen, die in der Nähe von intakten Wäldern wohnen, deutlich seltener an Malaria und Ruhr erkranken als Landsleute in Gegenden ohne intakte Wälder.

Beim Wasserverbrauch liegen Indien, China und die USA vorn

Der WWF-Bericht verknüpft den Naturzustand mit dem Naturverbrauch. Hierzu bedienen sich Umweltexperten des "ökologischen Fußabdrucks". Er bezeichnet die Fläche, die benötigt wird, um zum einen konsumierte erneuerbare Ressourcen (etwa Kulturpflanzen, Fisch, Holz) nachwachsen zu lassen, zum anderen, um das Treibhausgas Kohlendioxid abzubauen, das durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern oder bei der Rodung von Wäldern frei wird. Die größte ökologische Trittspur hinterlassen die Bürger der Vereinigten Arabischen Emirate und Katar; jeder von ihnen beansprucht jährlich mehr als zehn Hektar Natur. Dänen, Belgier, US-Amerikaner und Esten liegen bei acht Hektar. Auch die Deutschen liegen mit einem Pro-Kopf-Abdruck von gut fünf Hektar deutlich über dem globalen Mittelwet von knapp drei Hektar.

Für den Wasserverbrauch errechnen Experten ebenfalls Fußabdrücke. Hier liegen Indien, China und die USA ganz vorn, gefolgt von Brasilien und Indonesien. Deutschland belegt Rang 21. 90 Prozent des globalen Wasserverbrauchs geht auf das Konto der Landwirtschaft, auf die Industrie entfallen sieben und auf Haushalte drei Prozent.

Regenwald-Produkte kommen oft "getarnt" auf den deutschen Markt

Während ein Bundesbürger täglich "nur" 122 Liter Wasser direkt konsumiert, kommt er indirekt auf 5288 Liter. Denn er verbraucht große Mengen "virtuelles Wasser", das etwa in den Anbau der Lebensmittel floss. So steckt in einer Tasse Kaffee 140 Liter virtuelles Wasser, wird er mit Milch und Zucker getrunken, sind es 200 Liter. Die Hälfte des deutschen Wassers wird auf diese Weise virtuell importiert.

Ähnlich wie beim Wasser gelangen auch Regenwald-Produkte heute häufig "getarnt" auf den deutschen Markt, in Form von Palmöl. Es steckt in Lebensmitteln und Seife, Kosmetikprodukten und Biokraftstoff. "Die Nachfrage nach Palmöl hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt, die Anbaufläche für Ölpalmen in den vergangenen 20 Jahren fast verachtfacht", so der WWF-Bericht. Malaysia und Indonesien haben einen Weltmarktanteil von 87 Prozent. Wo heute monotone Plantagen wachsen, turnten vor ein paar Jahren noch Orang-Utans durch die Baumkronen. In Südostasien schwanden die Regenwälder rasanter als in Afrika und Südamerika - es liegt in der Region, in der der LPI mit minus 66 Prozent am stärksten sank.