Ein Hamburger Stadtmodell im Strömungstest zeigt, wie sich bei einem Unfall giftige Wolken ausbreiten würden

Hamburg. Tagtäglich passieren Frachter, Lkws oder Kesselwagen der Bahn die Hansestadt mit gefährlicher Fracht - unfallfrei. Doch wie würde sich eine Schadstoffwolke im Falle eines (Un-)Falles im Häusermeer der Stadt ausbreiten? Und wie ist es - zweites Szenario - um die Belüftung der Metropole bestellt, wenn der Klimawandel die Temperaturen steigen lässt? Fragen wie diese wollen Wissenschaftler vom Hamburger KlimaCampus an einem Stadtmodell testen, das sie in ihrem Windkanal installiert haben.

Der Weg zur simulierten Hamburger Luft führt in den Keller. Im Untergeschoss des Geomatikums an der Bundesstraße wütet "Wotan", benannt nach dem höchsten Gott der Germanen, dem auch das Windmachen zugeschrieben wird. Wotan ist Europas größter Grenzschicht-Windkanal. "Als Grenzschicht bezeichnen wir den untersten Kilometer unserer Atmosphäre. Hier wird das Wetter gemacht. Dabei wirkt sich auch die Topografie aus, etwa indem sie Windströmungen beeinflusst", erklärt Prof. Michael Schatzmann, Meteorologe an der Universität Hamburg.

Derzeit erzeugt der gut drei Meter große Rotor am Kopfende des 28 Meter langen Windkanals Luftströmungen über einem Hamburg-Modell der Größe 1:350. Irgendwo, vielleicht auf der nachgebauten Norderelbe oder auf der Willy-Brandt-Straße, leiten die Forscher Theaternebel ein. Er soll Rauchgase oder andere gasförmigen Schadstoffe darstellen, die nach einem Unfall ausgetreten sind - derzeit stehen die Unfallszenarien im Vordergrund und weniger die stadtplanerischen Fragen im Zusammenhang mit dem Klimawandel (etwa wie sich eine "Windkühlung" der City bei Hitzeperioden städtebaulich organisieren lässt).

Schadstoffwolken verbreiten sich nicht wie ein zerlaufender Kaffeefleck in der Stadt aus, sondern werden durch die Bebauung verwirbelt, kommen in breiten Straßen gut voran, steigen an Hochhausfronten auf. "Herkömmliche Ausbreitungsmodelle berücksichtigen die städtische Topografie nicht, sondern zeichnen Schadstofffahnen mit durchgängigen Konturen, bei denen etwa Luftverwirbelungen ausgeblendet sind. Dabei bleibt unklar, ob die Computersimulationen die Realität tatsächlich abbilden", sagt Prof. Bernd Leitl, Leiter des Windkanals. "Wir können dies mit unseren Messungen am Stadtmodell überprüfen. Unser Ziel ist es aber vor allem, diese realistischen Randbedingungen in hochauflösenden Ausbreitungssimulationen einfließen zu lassen."

Um besser gegen mögliche Chemieunfälle gewappnet zu sein, hat die Stadt zusammen mit dem KlimaCampus und dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) das Projekt ins Leben gerufen. "Hamburg ist die Pionierstadt für Deutschland, die die Anwendbarkeit unseres Prognose-Modells zeigen soll", sagt Schatzmann. "Arbeitet es erfolgreich, so soll es auch in anderen Städten eingesetzt werden. Deshalb ist das BBK mit im Boot."

Während im Hamburger Untergrund die Windverhältnisse in und über der Modellstadt für 18 verschiedene Windrichtungen vermessen werden, entwickelt der US-Partner Navy Research Laboratory in Washington D.C. die Computersimulation. Messungen und Simulationen werden für mehrere Tausend Freisetzungsorte durchgeführt. Denn das neue Programm soll im Ernstfall nicht erst eine Simulation durchrechnen müssen, sondern eine vorhandene nutzen, deren Ergebnisse dann nur noch an die aktuellen Verhältnisse angepasst werden müssen. Das spart wertvolle Zeit.

"Derzeit arbeiten die Hamburger Feuerwehr und Polizei mit einer Software, die im Schadensfall erst einmal lange rechnen muss", sagt Dr. Susanne Fischer von der Abteilung öffentliche Sicherheit der Innenbehörde. "Der weit überwiegende Teil der Freisetzungen ist aber sehr kurzfristig. Die Quelle stößt schon längst nichts mehr aus, während wir immer noch rechnen. Sie können sich vorstellen, was dies bei einem Notruf-Einsatz heißt, wenn die Kollegen zum Unfallort eilen."

Das neue, im Windkanal erarbeitete Computerprogramm werde den Einsatzkräften wahrscheinlich ab Herbst 2011 schrittweise zur Verfügung stehen, so Fischer. "Aber ich hoffe, dass es möglichst selten zum Einsatz kommt."