Raben trösten Artgenossen, die eine Niederlage einstecken mussten. Das war bisher nur von Säugetieren bekannt

Wenn Kolkraben in Streit geraten, fliegen schon einmal die Federn. Wer in so einer Prügelei den Kürzeren zieht, muss mit ein paar schmerzhaften Schnabelhieben rechnen. Solche Niederlagen sind auch in Rabenkreisen mit Stress und Frust verbunden. Da könnte man doch eigentlich gut einen Freund gebrauchen, der einem moralisch unter die Flügel greift.

Zu menschlich gedacht? Keineswegs, meinen Verhaltensforscher der Universität Wien und der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau (Oberösterreich). Die schwarzen Vögel sind offenbar durchaus bereit, einen Kumpel nach einem verlorenen Kampf zu trösten, berichten Orlaith Fraser und Thomas Bugnyar im Fachjournal "PLoS One". Dabei erfordert so ein Verhalten ziemlich große geistige Kapazitäten.

Wer tröstet, muss die Gefühle des anderen erkannt haben

Wer Trost spendet, muss sich schließlich in sein Gegenüber hineinversetzen. Er muss erst einmal erkennen, dass es in seelischen Nöten ist und dann auch noch wissen, was sich dagegen tun lässt. Eine solche Sensibilität für die Gefühle anderer aber hatten Wissenschaftler lange nur dem Menschen zugetraut. Bis Frans de Waal und Angeline van Roosmalen 1979 von Schimpansen berichteten, die nach einem Kampf den Verlierer in den Arm nahmen. Mittlerweile ist bekannt, dass auch Hunde, Wölfe und einige andere Tiere nach einem Konflikt auf den Unterlegenen zugehen. "Raben setzen sich in solchen Fällen neben das Opfer und kraulen ihm vorsichtig mit dem Schnabel das Gefieder", sagt Thomas Bugnyar.

Das sieht für menschliche Augen zwar verdächtig nach einem Trostversuch aus. Doch es könnte auch andere Gründe für so ein Verhalten geben. Vielleicht gehört der scheinbare Tröster ja zum Lager des Siegers und versucht, eine Versöhnung zwischen den beiden Kontrahenten in die Wege zu leiten. Dauerhafter Unfrieden ist bei sozial lebenden Tieren schließlich für alle schlecht, weil er viel Energie verschlingt und die effiziente Zusammenarbeit der Gruppe stört.

Die Forscher studierten mehr als 150 Konflikte unter 13 Rabe n

Nach einer anderen Theorie hat der Zeuge eines Streits dagegen vor allem seine eigene Sicherheit im Blick, wenn er zum Federkraulen schreitet. Mit den freundlichen Gesten will er demnach nur verhindern, dass der Verlierer seinen Frust über die Niederlage stellvertretend an ihm auslässt.

Diese Hypothesen haben die Forscher in ihrer neuen Studie getestet. Dazu haben sie mehr als 150 Konflikte in einer Gruppe von 13 handaufgezogenen Raben analysiert. Wichtig war dabei nicht nur, wer mit wem in Streit geriet, wie ernst es dabei zur Sache ging und wer den Kürzeren zog. Besonders gründlich haben die Biologen auch die zehn Minuten nach dem Kampf unter die Lupe genommen: Versuchte einer der Zuschauer, Kontakt zum Opfer aufzunehmen? Wer setzte sich zu dem verprügelten Vogel, putzte ihn oder berührte ihn mit dem Schnabel? Tat er das alles direkt nach dem Kampf häufiger als während einer gleich langen Zeitspanne am nächsten Tag? Und in welchem Verhältnis stand er zum Sieger und Verlierer?

Seit die Forscher diese Informationen statistisch ausgewertet haben, durchschauen sie die Vorgänge nach einer Rabenschlägerei deutlich besser. So fanden sich keinerlei Hinweise darauf, dass die Sieger direkt oder über einen Vermittler die Versöhnung mit ihrem Kontrahenten suchten. Vögel, die auf den Verlierer zugingen, hatten nämlich kein besonders enges Verhältnis zum Gewinner.

Meist stehen die besten Freunde dem Verlierer bei

Bei den Trostspendern handelte es sich meist um die besten Freunde des Unterlegenen. Das spricht aus Sicht der Forscher auch gegen die Vermutung, dass sich die kraulenden Vögel nur vor Frustattacken des Verlierers schützen wollen. Denn bei aller Enttäuschung würde der seine Wut wohl nicht ausgerechnet auf seine Verbündeten richten.

Viel einleuchtender scheint da die Erklärung, dass es sich bei all den Gunstbeweisen um Trostpflaster für den gerupften Gefährten handelt. Mitgefühl sollte schließlich am ehesten zwischen Tieren aufkommen, die sich sehr nahestehen. Denen fällt es einfach leichter, sich in den anderen hineinzuversetzen. Offenbar können die gefiederten Tröster dabei sogar beurteilen, wie groß die Not des Kumpels ist. Jedenfalls treten sie nach ernsthaften Kämpfen häufiger auf den Plan als nach belanglosen Rempeleien. Raben scheinen also genau zu wissen, wann echte Freunde gefragt sind.