Stabiler und leichter als Aluminium: Faserverbundstoffe bereichern den Flugzeugbau. Die Autoindustrie zögert noch

Hamburg. Man nehme: schwarze Kohlenstofffasern, die dünner sind als ein Haar, bündele sie und verwebe sie zu Fasermatten. Diese tränke man in Kunststoffharz, verbaue sie zu Formteilen, lasse sie aushärten und setze sie zusammen - fertig ist der hochmoderne Passagierflieger A350 oder Boeing Dreamliner (787). Was sich wie ein einfaches Rezept liest, ist eine hoch komplexe Technologie. Die sogenannten Faserverbundwerkstoffe reiften Jahrzehnte, bis sie jetzt in Passagierflugzeugen verstärkt Einzug halten. Beflügelt durch die Klimaschutz-Diskussion, gewinnen die leichtgewichtigen Werkstoffe an Bedeutung.

Im Leichtbau-Labor der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg prüfen Forscher die Eigenschaften von verschiedenen Leichtgewichten. Bei vielen Konstruktionen, gerade im Flugzeugbau, konkurriert Kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff, kurz CFK, mit Aluminium. "Der CFK ist etwa 40 Prozent leichter und hat eine fast doppelt so hohe Steifigkeit. Das heißt, er verformt sich bei gleicher Belastung weniger und ist stabiler gegen Beulen", sagt Prof. Axel Schumacher, Abteilungsleiter Fahrzeugtechnik an der HAW.

Das große Plus von CFK ist neben der Gewichtsersparnis seine Flexibilität. Die Fasermatten werden von den Konstrukteuren technisch maßgeschneidert. Das Gewebe kann in einer Richtung nachgiebig sein, in einer anderen dagegen sehr fest. Das wird zum Beispiel erreicht, indem die Fäden im Verhältnis eins (Längsrichtung) zu vier (Querrichtung) verwebt werden. Das heißt, die Formteile können dort, wo die Belastung besonders groß ist, verstärkt und damit besonders steif werden. "Auf diese Weise können wir uns den Werkstoff so konstruieren, wie wir ihn gerade brauchen", sagt Prof. Karl Schulte, Experte für Verbundwerkstoffe an der Technischen Universität (TU) Hamburg-Harburg. "Diese Eigenschaft macht Konstruktionen möglich, die mit Aluminium nicht zu bauen sind. Das führt etwa zu optimierten Flugzeugflügeln, die zusätzlich zum geringeren Gewicht durch ihre Formgebung Treibstoff sparen."

Faserverbundstoffe - neben CFK gibt es noch den glasfaserverstärkten Kunststoff (GFK) - wurden Mitte des 20. Jahrhunderts erstmals im Flugzeugbau eingesetzt, zur Konstruktion von Segelfliegern. Später kamen Raumfahrzeuge und militärische Flugzeuge hinzu. Außerdem werden Sportboote und Tennisschläger, Surfbretter und Rennräder aus dem Material CFK gefertigt, das fälschlicherweise aus dem Englischen auch als Carbonfaser übersetzt wird.

Im Fahrzeugbau macht sich der Werkstoff noch rar. Dies werde sich bald ändern, prognostiziert Karl Schulte, alle großen Automobilunternehmen arbeiteten an entsprechenden Entwicklungen: "Sie setzen auf Elektromobile. Doch diese brauchen große, schwere Batteriesätze. Deshalb wird versucht, die Gewichtszunahme anderweitig zu kompensieren."

Fahrzeuge und Flugzeuge stellen ähnliche technische Anforderungen; sie sollen leicht und stabil sein, sagt auch Axel Schumacher. Allerdings habe das Gewicht beim Fliegen schon immer eine größere Rolle gespielt - "wenn das Flugzeug zu schwer ist, hebt es nicht ab oder braucht eine übermäßig lange Startbahn", sagt der passionierte Segelflieger. Deshalb spiele der Leichtbau dort eine größere Rolle als im Fahrzeugbau. Das Material sei deutlich teurer als Aluminium. Auch dies bremse die Anwendung im Großserien-Bau von Kraftfahrzeugen.

Das größte Problem ist aber der Herstellungsprozess. Schumacher: "Stahl oder Aluminium eignen sich für die Massenproduktion, denn das Tiefziehen (Formen) der Bleche und der Zusammenbau können automatisch erfolgen. Dagegen werden Teile aus Faserverbundstoffen mit viel Handarbeit gefertigt." Werden jedoch individuelle Autos oder Boote in kleinen Stückzahlen gebaut, kehrt sich das Verhältnis um. "Hier sind die Faserverbundstoffe wirtschaftlich vorteilhaft. Denn zur Herstellung werden keine aufwendigen Formen gebraucht wie bei den Metallblechen. Dort können die Werkzeugkosten schnell in die Millionen gehen."

Die Faserverbundstoffe sind unerreicht leicht und steif, aber sie haben auch technische Nachteile. Diese führten dazu, dass es Jahrzehnte dauerte, bis zuerst Boeing und dann Airbus damit begannen, ganze Flugzeughüllen aus CFK zu bauen. Dass sich bei einem Crash leicht scharfe Bruchkanten bilden, haben die Techniker in den Griff bekommen, indem sie in die Geflechte Fasern aus dem Kunststoff Aramid einwebten. Aramid splittert nicht und ist zudem nicht brennbar.

CFK dämmt Lärm weniger gut. Deshalb muss etwa an Flugzeugrümpfen zusätzlich gedämmt werden. Die einzelnen Formteile werden miteinander verklebt. Airbus traut diesen Klebungen nicht, sondern verstärkt die Verbindungen mit Nieten. Auch leitet der Kunststoff keinen Strom. Das führt dazu, dass Blitzeinschläge nicht wie bei Alu-Fliegern über die Flugzeughaut abgeleitet werden. Abhilfe: In die Kunststoffmatten werden Kupferfolien eingearbeitet. Schumacher: "Alle Probleme sind lösbar. Aber man handelt sich dabei mehr Gewicht ein. Das führt bei Airbus dazu, dass der A350 trotz seiner CFK-Konstruktion nur geringfügig leichter ist als ein vergleichbares Flugzeug aus Aluminium."

Ein weiterer Nachteil: Ermüdungserscheinungen - feinste Risse - im Material lassen sich bei CFK weniger leicht erkennen und schwerer einschätzen als bei Aluminium. Und wenn das CFK-Mobil ausgemustert wird, dann lässt sich der Verbundwerkstoff nicht recyceln. "Sie können ihn höchstens noch schreddern und der Produktion von groben Kunststoffgegenständen beimischen", sagt Schumacher. Stahl lasse sich dagegen fast unbeschränkt häufig wieder einschmelzen, man müsse nur die Legierungen etwas variieren.

Axel Schumacher ist sich sicher, dass Faserverbundstoffe Metalle auch in Zukunft nur teilweise ersetzen werden: "Das Schlagwort lautet: Materialmix. Für jede neue oder zu verbessernde technische Komponente ist zu untersuchen, welches Material am besten geeignet ist. Und natürlich spielt auch der jeweilige Hersteller eine große Rolle: Ist der Betrieb auf Kunststoffe spezialisiert oder arbeitet er vorwiegend mit Metall?"

Auch sein Harburger TU-Kollege Karl Schulze betont, dass die Verbundstoffe die Metalle nicht ablösen werden, sondern eher ergänzen. "Motoren, Fahrzeugachsen, der gesamte Maschinenbau wird weiter Metall verarbeiten. Die Welt wird komplizierter. Alle Werkstoffe werden spezielle Einsatzbereiche haben."