Mit der Entzifferung des Weizen-Erbguts hoffen Forscher, viel effektiver als bisher Sorten zu züchten, die Krankheiten und Umwelteinflüssen trotzen.

London. Ein britisches Forscherteam hat das Erbgut von Weizen zu 95 Prozent entziffert. Dies sei ein Meilenstein für die Züchtungsforschung und könnte einen wichtigen Beitrag gegen den weltweiten Hunger leisten, betonten Forscher der beteiligten Universitäten in Liverpool und Bristol und des John Innes Centre in Norwich. Auch Dr. Bernd Hackauf, Züchtungsforscher am Julius-Kühn-Institut in Groß Lüsewitz (Mecklenburg-Vorpommern), hält die Arbeit der Kollegen für sensationell: "Sie wird die Züchtung von Weizen dramatisch nach vorn bringen."

Die Größe und Komplexität des Weizengenoms sei eine große Herausforderung gewesen, sagte Prof. Keith Edwards von der Universität Bristol. Das Erbgut ist fünfmal umfangreicher als das des Menschen. Dies ist bei sehr ertragreichen Kulturpflanzen keine Seltenheit, erklärt der Molekularbiologe Dr. Reinhold Brettschneider, der am Biozentrum der Universität Hamburg am Maisgenom forscht: "Viele dieser Pflanzen haben mehrere Chromosomensätze. Beim Menschen tritt jedes Chromosom doppelt auf, eines stammt von der Mutter, eines vom Vater. Beim Weizen ist es sechsfach vorhanden. Das macht die Genomanalyse so schwierig."

Die britischen Forscher haben nun 95 Prozent aller Weizengene im Buchstabengewirr des genetischen Codes identifiziert und in einer Internet-Datenbank der Wissenschaft zugänglich gemacht. Dies sei ein großer Schritt für die Züchtungsforschung beim Getreide, urteilt Hackauf. Er selbst bearbeitet zwar schwerpunktmäßig Roggen, doch auch er werde von der britischen Arbeit profitieren. Hackauf: "Bislang habe ich mich am Reisgenom orientiert, das vor einem Jahrzehnt entschlüsselt worden ist. Die Gräserfamilie hat einen gemeinsamen evolutionären Ursprung. Deshalb sind diejenigen Gensequenzen, die grundlegende Erbinformationen - etwa zum Stoffwechsel - enthalten, oft gleich. Wenn es aber beispielsweise um hoch spezifische Resistenzen gegenüber Schädlingen geht, hilft das Reis-Modell bei der Zucht von Weizen- oder Roggensorten kaum weiter. Mit dem Weizengenom haben wir jetzt einen Fuß direkt in den Getreidearten."

Die Forscher hoffen, dass jetzt viel effektiver als bisher Weizensorten gezüchtet werden können, die Krankheiten, Wetter- und Umwelteinflüssen trotzen und bei widrigen Bedingungen passable Erträge liefern. Das könnte der Welternährung helfen - Weizen ist mit einer Erntemenge von 550 Millionen Tonnen jährlich eines der wichtigsten Nahrungsmittel auf der Welt.

Fast alle Getreidezüchtungen zielten auf eine "Ertragsstabilität in einer sich wandelnden Umwelt" ab, so Hackauf. "Die globale Erwärmung fördert zum Beispiel Pilzkrankheiten, die sich dadurch stark ausbreiten und zum Problem werden. Dasselbe gilt für Blattläuse, die Viruskrankheiten übertragen können. Anhand der nun bekannten Gensequenzen können wir Resistenzen gegen die Schädlinge im Genom identifizieren."

Mit dem neuen Hilfsmittel müssen die Züchtungsforscher bei neu gekreuzten Sorten nicht mehr Hunderte Pflanzen kultivieren und sie den Pilzen, Läusen oder sonstigem Stress aussetzen, um zu sehen, ob die neue Sorte weniger anfällig ist als die bekannten. Vielmehr reicht es aus, in den Genomen von vielleicht einem Dutzend Pflanzen nach der Gensequenz zu suchen, die der Pflanze diese Eigenschaft mitgibt. Das beschleunigt die Züchtung.

Anthony Hall von der Universität Liverpool erwartet eine stark ansteigende Nachfrage nach dem Getreide: "In den nächsten 40 Jahren könnten 50 Prozent mehr Weizen gebraucht werden." Die Entwicklung neuer, ertragsstarker Sorten sei deshalb von fundamentaler Bedeutung. Doch werde es noch einige Zeit dauern, bis aus dem vorliegenden Rohmaterial verwertbare Rückschlüsse möglich werden. Daran arbeitet das Internationale Weizengenom-Konsortium, ein Zusammenschluss von rund 170 Forschern aus Firmen und öffentlichen Instituten.

Inwieweit das neue Wissen tatsächlich den Welthunger zu lindern vermag, hängt auch von anderen Faktoren ab, die die Entwicklung des Weizenpreises beeinflussen. Die deutsche Entwicklungsorganisation German Watch kritisierte gerade, der rasante Preisanstieg für Weizen der vergangenen Wochen liege weniger an Ernteausfällen in Russland oder Pakistan, als vielmehr an Spekulationen an den europäischen Getreidebörsen. Um die sozialen Schieflagen der Welternährung zu bekämpfen, sind Meilensteine in anderen Wissenschaftsdisziplinen gefragt.