Exzellenzserie - Teil 2: Chemieingenieurin Ines Ardao zerlegt Stoffwechselwege und setzt sie neu zusammen

Hamburg. Es riecht leicht säuerlich im Labor, eine Vakuumpumpe summt penetrant, doch davon lässt sich Dr. Ines Ardao nicht ablenken. Wenn die 30-Jährige ihren weißen Kittel anzieht und eine Schutzbrille aufsetzt, taucht sie ab in einen Mikrokosmos aus Flüssigkeiten, Pipetten und Reagenzgläsern, vollkommen konzentriert auf das Experiment.

Ihr Testobjekt ist ein Plexiglasbehälter von der Größe einer Espressotasse. In diesem sogenannten Minireaktor befindet sich ein Enzym, ein Protein also, das eine chemische Reaktion beschleunigt. Ines Ardao stellt das Gefäß in einen Ofen, den sie auf 37 Grad erwärmt. Durch einen drahtdünnen Schlauch leitet sie von außen eine Traubenzuckerlösung in den Minireaktor. Die Lösung reagiert durch das Enzym; dabei entsteht ein neues Produkt. Der Minireaktor ist quasi ein übergroßer Prototyp eines noch viel kleineren Bauteils der Zukunft: Er beherbergt einen Stoffwechsel, der bald in einem sogenannten Biochip ablaufen könnte, der nur die Größe eines Fingernagels hat.

Die Synthetische Biologie entwickelt Stoffe mit neuen Eigenschaften

Ines Ardao stammt aus Nordspanien. Sie studierte Chemieingenieurwesen in Santiago de Compostela und promovierte in Biotechnologie in Barcelona. Weil sie das "sehr hohe Forschungsniveau" anlockte, kam sie an die Technische Universität Hamburg-Harburg (TUHH), wo sie seit Januar 2010 im Projekt "Fundamentals for Synthetic Biological Systems", kurz SynBio, der Landesexzellenzinitiative arbeitet. An den Untersuchungen beteiligt sind auch Forscher der Universität Hamburg und des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie am Deutschen Elektronen-Synchroton (Desy). 27 Mitarbeiter aus der ganzen Welt bilden das Team, das auf dem Gebiet der Synthetischen Biologie forscht, einer noch jungen Disziplin, die Organismen und Stoffe mit neuen Eigenschaften konstruieren will.

Der Mensch hat schon immer versucht, die Natur nach seinen Bedürfnissen zu formen, indem er züchtete, was ihm wichtig erschien: robuste Getreidesorten, ertragreiche Weinreben, produktive Hühnerrassen. Das funktionierte über die Jahrhunderte immer besser, aber noch heute kosten Züchtungen viel Zeit. Die Synthetische Biologie will einen Organismus nicht mehr mühsam heranziehen - sie will ihn gleich optimal bauen. Der bekannteste Vertreter der Zunft ist Craig Venter. Dem US-Forscher war es 2000 gelungen, das menschliche Erbgut zu entschlüsseln. Vor Kurzem sorgte er für Aufsehen, weil er das künstlich erzeugte Erbgut eines Bakteriums in die Zelle eines anderen Bakteriums einbaute. Damit schuf er die erste synthetische Zelle.

Mit dem Ziel, neues Leben zu erschaffen, hat das Hamburger Projekt SynBio zwar nichts zu tun. Den Forschern geht es darum, künstliche Stoffwechselwege herzustellen, die dabei helfen könnten, klimaschonend Energie zu erzeugen oder neue Medikamente und Materialien herzustellen. Dabei gehen sie aber prinzipiell genauso vor wie die Biotechnologen um Craig Venter: Sie zerlegen Stoffwechselwege in einzelne Bausteine, sogenannte Biobricks, um jeden Baustein zu verbessern. Anschließend wollen sie die optimierten Bausteine zu neuen Stoffwechselwegen zusammenbauen. Doch während die Forscher um Craig Venter mit Genen arbeiten (die bisher von Bakterien stammen), handelt es sich bei den Bausteinen der SynBio-Forscher um biochemische Reaktionen.

Aus Traubenzucker mit höherer Ausbeute Wasserstoff herstellen

Um das zu verstehen, muss man sich einen kompletten Stoffwechselweg vorstellen. Am Anfang können Holzspäne stehen, Getreidereste oder Kompost - scheinbar nutzloser Abfall. Diese Biomasse enthält jedoch Glucose, Traubenzucker also, einen bedeutenden Rohstoff, aus dem die Forscher mithilfe von Enzymen Wasserstoff gewinnen können, einen der wichtigsten Energieträger der Zukunft. Aus einem Glucosemolekül lassen sich theoretisch zwölf Wasserstoffmoleküle gewinnen. Dazu sind 13 verschiedene chemische Reaktionen nötig, und die laufen in einem Gefäß ab. Bisher können Forscher auf biotechnologischem Weg aber nur maximal vier Wasserstoffmoleküle aus einer Glucoseeinheit gewinnen.

Die SynBio-Forscher wollen eine größere Ausbeute erzielen, indem sie die optimierten Reaktionen nacheinander ablaufen lassen. Die Enzyme, die jede Reaktion beschleunigen, sollen später in den Kammern von Biochips festgebunden werden. Dazu dienen Nanomaterialien. Um die Konstruktion der Biochips kümmern sich Mikrosystemtechniker, die Hand in Hand mit Chemieingenieuren und Biologen arbeiten. "Dieser interdisziplinäre Forschungsansatz ist einzigartig", sagt der Sprecher des SynBio-Projekts, Professor An-Ping Zeng.

Damit die Mikrosystemtechniker wissen, wie sie die winzigen Biochips bauen müssen, brauchen sie präzise Daten über die einzelnen Stoffwechselbausteine - auf einen dieser 13 konzentriert sich derzeit Ines Ardao. Sie untersucht, wie ein Eingangsprodukt - Glucose-6-phosphat - mit dem Enzym reagiert, so dass am Ende 6-Phosphogluconat entsteht, ein Stoff für den nächsten Baustein. Wie wichtig ist die Temperatur? Was passiert, wenn sie die Konzentration des Ausgangsstoffs verändert? Passen die gewählten Bedingungen zu dem Gesamtprozess? Jede noch so kleine Abweichung in den Daten kann wichtig sein, deshalb muss sich Ardao so konzentrieren.

Sie nimmt nun Proben mit 0,5 Milliliter der Lösung und geht damit in ein Analyselabor. In den Regalen drängen sich Messgeräte und Gefäße mit Flüssigkeiten, aus dem Radio in der Ecke schallt "Like a prayer" von Madonna. Ardao stellt die Proben in einen Ionenchromatografen, der die einzelnen Stoffe in den Proben trennt und ihre Konzentration misst. Wenn die Forscherin in einigen Monaten genug Daten gesammelt hat, wird sie den Mikroreaktor mithilfe eines Computers simulieren. Dieser wird ausrechnen, was passiert, wenn sie etwa die Geschwindigkeit ändert, mit der die Glucoselösung durch den Minireaktor fließt.

Wie in einem Puzzlespiel entsteht der Biochip aus vielen Teilen

Ines Ardaos Forschung hat etwas von einem Puzzlespiel: Sie probiert verschiedene Teile aus, solange, bis das Bild vollständig ist.
Es ist mühevoll, es erfordert viel Geduld und Absprachen mit all den anderen Puzzelspielern des Projekts. Bis 2012 wird SynBio durch die Stadt Hamburg gefördert; deutlich länger wird es aber wohl dauern, bis die ersten künstlichen Stoffwechselwege tatsächlich in Biochips laufen.

Fragt man Ines Ardao, was sie antreibt bei ihrer Forschung, wie sie die Ruhe bewahrt beim Puzzlespielen, sagt sie: "Es fasziniert mich einfach, dass wir aus Bestandteilen der Natur Produkte entwickeln, die vielleicht unsere Welt verbessern könnten. Wie lange das dauert, fällt mir gar nicht auf."