Aromen bestimmen unser Leben stärker als bislang vermutet. So lässt eine Pampelmuse eine Frau um einige Kilo leichter wirken.

Wenn es um Liebe und Verlangen geht, ist auch in der Forschung Rot genau das Richtige. Also bedient Mark Lohmann ein paar Schalter - und schon sind die acht kleinen Kabinen im Sensorik-Labor des Bremerhavener Technologie-Transfer-Zentrums in geheimnisvoll rötliches Licht getaucht. "Das ist neutral und lenkt nicht ab", sagt der 37-jährige Biochemiker und lächelt verschmitzt. Denn mit Liebe hat dieses Rotlicht eigentlich gar nichts zu tun.

Denn meistens sitzen hier Verbraucher als Tester und bewerten Geschmack, Aussehen, Mundgefühl und Geruch von neuen Lebensmitteln. Ein neutrales Licht, Überdruck in den Kabinen gegen Fremdgerüche und nur mit Zahlencodes versehene Probebecher sollen ein möglichst gutes Ergebnis liefern, das durch keine äußeren Einflüsse verändert ist. Hier wird neue Tomatensuppe ebenso getestet wie Joghurt, bevor sie auf den Markt kommen.

In den vergangenen Wochen aber ging es dann doch um große Gefühle - im Dienste der Wissenschaft sozusagen, aber vielleicht dereinst auch zum Nutzen im alltäglichen Leben. In den Kabinen jedenfalls saßen Menschen, die sich gerade verliebt hatten. Sie waren gezielt von den Forschern für einen Versuch im Sensorik-Labor ausgewählt worden, denn möglicherweise ist die Empfindung von Geschmack auch vom emotionalen Zustand der Verbraucher abhängig - das hatten sich die Bremerhavener Geschmacksforscher zuvor immer wieder gefragt und kamen so auf den Versuch mit der Liebe. Weil dieses Gefühl so schön heftig und damit eindeutig sein kann.

Die wissenschaftliche Erforschung von Geschmack und Geruch ist noch sehr neu und wenig bekannt: 1910 schrieb der Soziologe Georg Sinnen erstmals eine "Soziologie der Mahlzeit". In den 1950er-Jahren kamen dann aus den USA Methoden der Marktforschung nach Deutschland, mit denen man Lebensmittelprodukte für den Verkauf optimieren kann. Und erst Ende der 1990er-Jahre kam auch die Naturwissenschaft auf den Geschmack und entwickelte neue, analytische Verfahren zur Erforschung dieser Sinne.

Ausgangspunkt der Liebesfragestellung war auch hier eine eher analytische Erkenntnis: Hinter jeder Emotion, sei es Angst, Hass oder eben Liebe, steht immer eine biochemische Reaktion des Körpers. "Das heißt, sie geschieht mit einer Veränderung der Hormonkonzentration und Weiterleitung von Nervenimpulsen", erklärt Laborleiter Mark Lohmann.

Verliebtheit als emotionaler Ausnahmezustand - das erschien zudem ideal, weil damit Verhaltensauffälligkeiten verbunden sind, die an eine Psychose erinnern. "Biochemische Reaktionen im Körper des Verliebten weisen Parallelen zu einem solchen Krankheitsbild auf", sagt Lohmann. Der Serotoninspiegel, für die Weiterleitung von Nervensignalen notwendig, ist bei Psychosen sehr niedrig, im Zustand der Verliebtheit aber auch. Und Serotonin ist auch an der Geschmackswahrnehmung in hohem Maße beteiligt - ideal also für Geschmacksforscher.

Nun mussten sie nur noch verliebte Versuchskandidaten ermitteln. Die Bremerhavener Forscher luden dazu etliche Probanden ein, ließen sie standardisierte Fragebögen ähnlicher soziologischer Versuche ausfüllen. "Ich habe endloses Verlangen nach ..." wurde da etwa gefragt und sollte mit Punkten von eins bis sieben bewertet werden. Die Zustandsbezeichnung "schwer verliebt", so die strengen Forscher, könne zudem nur in den ersten sechs Monaten nach dem Kennenlernen noch gelten. Alles andere stuften sie bereits als Langzeitbeziehung ein. Da läuft nichts mehr - jedenfalls nicht im chemisch-biologischen Sinne.

Beide Gruppen, die Verliebten und ihre Kontrollgruppen, bekamen dann im Sensorik-Labor verschiedene Geschmacksproben. Bei den schwer Verliebten fand sich tatsächlich ein signifikanter Unterschied zu Singles oder Menschen in Langzeitbeziehungen: Das Empfinden für bitter und süß ist bei ihnen deutlich gedämpft, der Appetit und Geschmack meist eher flau. Salzig und sauer empfinden sie hingegen etwas stärker.

Man könnte nun auf den Gedanken kommen, dass sich diese Erkenntnis für eine Art Liebesbeweis einsetzen ließe. Etwa als erweiterte Variante des "Er-liebt-mich-er-liebt-mich-nicht-Gänseblümchenzupfens". "Er mag die bitteren Kekse nicht - dann liebt er mich auch nicht". So zum Beispiel. Doch Biochemiker Lohmann winkt ab. "Es wird kein Love-Food geben", sagt er.

Liebe auf den ersten Biss - das bleibt wohl ein Traum. Allein schon, weil die Geschmacksempfindung höchst unterschiedlich verteilt ist, wie Lohmann sagt. Man müsse schon die Biochemie eines jeden Individuums zunächst ermitteln, um dann die Veränderung durch die Liebe erkennen zu können. Doch die Erkenntnis, dass Gemütslage und veränderter Hormonspiegel Einfluss auf das Geschmacksempfinden haben, ließe sich möglicherweise anders nutzen. Etwa, um spezielle Nahrung für bestimmte Personengruppen wie Hochleistungssportler oder Schichtarbeiter zu entwickeln, die sich wie Verliebte in einer besonderen Stoffwechselsituation befinden. "Es wäre der erste Schritt in Richtung eines Personalized Food", sagt Lohmann. Von Marathonläufern wisse man zum Beispiel, dass sie während eines Rennens meist süße Getränke bevorzugen, zum Start aber solche auf Citrusbasis. Geschmack steuert hier die optimale Versorgung des Körpers. Ganz automatisch. Warum - das wollen die Geschmacksforscher nun genauer wissen.

Aber was ist Geschmack eigentlich? Die Zunge selbst kann lediglich salzig, bitter, süß und sauer unterscheiden. Alles andere übernimmt der Geruch - und dazu hat es in jüngster Zeit einige atemberaubende Entdeckungen gegeben, verspricht Laborleiter Lohmann.

Wenige Hundert Meter vom Sensorik-Labor entfernt in dem früheren Versandbahnhof des Fischereihafens sollen die Erkenntnisse an diesem Tag auf einem Geschmackssymposium des Technologie-Transfer-Zentrums präsentiert werden. "The Tast of Love", so heißt der Titel der Veranstaltung, auf der Wissenschaftler Produktentwicklern der Lebensmittelindustrie ihre neuen Ergebnisse in Sachen Geschmack und Geruch vorstellen. Forschung trifft Praxis - eine Maxime, die hier im strukturschwachen Nordwesten Deutschlands zum neuen Hoffnungsträger geworden ist. Längst ist der Fischbahnhof in Bremerhaven zu einem kleinen Kongressgebäude umgebaut, die alten Backsteinschuppen nebenan beherbergen Restaurants und kleine Modeläden. Museumsschiffe dümpeln im Hafenbecken. Darin spiegeln sich die Glasfassaden verschiedener Forschungseinrichtungen. Wissenschaft und Tourismus haben sich die frühere Gewerbebrache an der Unterweser erobert.

Für die Fragen des Geruchs ist Hanns Hatt nach Bremerhaven gekommen. Der Professor für Zellphysiologie an der Universität Bochum gilt als einer der führenden Riechforscher der Welt. Das Erkennen von Düften ist weit mehr als ein reiner Genussvorgang - das ist seine These. Und tatsächlich hat er schon mehrfach einen guten Riecher beweisen, um seine Erkenntnisse dazu auch in der Öffentlichkeit anschaulich zu machen: Mit der Hamburger Journalistin Regine Dee als Co-Autorin schrieb er das Buch "Das Maiglöckchen-Phänomen", das zum Besteller geworden ist und gerade als Taschenbuch unter dem Titel "Niemand riecht so gut wie Du" herausgekommen ist.

Mit seinem Bochumer Team fand Hatt in den vergangenen Jahren immer neue, verblüffende Wirkungen des Riechen heraus: 350 Geruchsrezeptoren für Düfte hat der Mensch, erst fünf sind richtig identifiziert, sagt Hatt. Und auch beim Geruch gebe es wie beim Geschmack enge Wechselbeziehungen zu Gefühlen und sogar Reaktionen bei Mensch und Tier. Ebergeruch zum Beispiel löse bei der Sau eine sogenannte Duldungsstarre aus - was der Eber mit seinem spiralförmigen Penis zum Geschlechtsakt auch bitter nötig habe. Beim Menschen sei es etwas komplizierter, erläutert er. Männerschweiß, dem Geruch des Ebers nicht unähnlich, etwa rieche für Frauen in Zeiten des Eisprungs und damit der Empfängnisbereitschaft weniger abstoßend als sonst. Immerhin.

"Aber welcher Mann wünscht schon eine Duldungsstarre?", fragt der schlaksige, 64-jährige Wissenschaftler in sein Publikum und bekommt viele Lacher. Hatt versteht es, seine Zuhörer mit einem Wechselspiel von Biochemie und lockeren Zoten in den Bann zu ziehen. Oft ist er seit seinem Bestsellererfolg Gast in Talkshows, und unlängst wurde er mit dem Communicator-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet. Nicht ohne Grund: Wer ihm hier zuhört, ahnt plötzlich auch als Laie, welches Potenzial die Erforschung von Geschmack und Geruch haben könnte.

Nicht nur in der Nase fand Hatt die Geruchsrezeptoren, sondern überall im Körper. "Vielleicht waren sie in der Evolution die ersten Sinnensorgane", vermutet er. So können bestimmte Düfte bestimmte Reaktionen im Körper auslösen. Spermien etwa können Eizellen riechen, weil sie einen ähnlichen Duftrezeptor dafür haben wie die Nase. Die Eizellen verströmen einen Duft mit Komponenten des Maiglöckchengeruchs und weisen so den Spermien quasi den Weg. Die Erkenntnis könnte eines Tages Paaren helfen, die Kinder haben wollen, aber bisher keine bekommen konnten. Aber auch als Empfängnisverhütung ließe sich die Entdeckung der Bochumer Forscher umsetzen - denn der Maiglöckchenduft lässt sich durch eine Art Gegenduft neutralisieren.

Selbst für die Therapie von Krebs könnte die Duftforschung eines Tages Forschritte bringen, vermutet Hatt. Bestimmte Tumorkrebszellen auf der Prostata können mit ihren Geruchsrezeptoren beispielsweise Teile des Veilchendufts erkennen oder eben riechen, fand sein Team heraus. Und wenn man diesen Veilchenduft auf die Tumorzellen gebe, dann könne er helfen, das Zellwachstum zu stoppen.

Und auch für die Liebe hat Hatt dufte neue Lösungen der internationalen Geruchsforschung parat: Wenn von einer Frau ein Blümchenduft ausgeht, erscheine sie dem verliebten männlichen Betrachter einige Kilo leichter, sagt er und spricht vom "olfaktorischen Äquivalent zum Längsstreifen". Pampelmusenduft dagegen habe die Eigenschaft, eine Frau jünger wirken zu lassen.

Das jüngste Patent der Bochumer bezieht sich auf den Jasminduft. Über biochemische Vorgänge könne dieser im Körper eines Menschen ebenso beruhigend wirken wie Valium. Geruch und Geschmack - diese beiden Sinne steuern den Menschen offenbar weit mehr als bisher gedacht. Wenn schon der Beginn des Lebens von Maiglöckchenduft abhängt - was ist da noch alles zu erwarten?