Intelligent wie ein Vogelschwarm sollen die Geräte gemeinsam ihren Weg finden. Daran arbeiten Harburger Forscher

Hamburg. Ein Kesselwagen mit Chemikalien verunglückt, es bildet sich eine Giftwolke über dem Unfallort. Um diese näher zu untersuchen, schwärmen zwei Dutzend Flugroboter aus, die im Stil eines Vogelschwarms ins Katastrophengebiet fliegen, um die Zusammensetzung, Ausdehnung und Zugrichtung der Wolke zu vermessen. Mit diesem Szenario arbeiten Forscher der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH). Sie wollen Quadrokoptern (Hubschraubern mit vier Rotoren) auf elektronischem Weg eine Intelligenz beibringen, die das Gerätegeschwader ähnlich abgestimmte Manöver fliegen lässt, wie es Vogel- oder Fischschwärme von Natur aus tun.

Das Vermessen von Giftwolken ist nur eine von vielen denkbaren Anwendungen für einen fliegenden (oder tauchenden) Roboterschwarm. Je nach Sensortechnik, mit der die Geräte ausgerüstet sind, könnten sie auch in Erdbeben- oder sonstigen Katastrophengebieten großflächig nach Verletzten suchen, bei einer zusammengebrochenen Kommunikationsstruktur als fliegendes Funknetz dienen, per Minikamera Massenveranstaltungen überwachen und vieles mehr.

Einzelne Flugobjekte (Drohnen) werden bereits jetzt für Einsätze durch Feuerwehr und Polizei getestet. Bei großflächigen Aufgaben sind sie schnell überfordert. In solchen Fällen hilft nur Teamarbeit. Verschiedene Forschergruppen arbeiten weltweit an solchen Systemen, die sich sowohl für zivile als auch militärische Nutzungen eignen. Erfahrungen ihrer Arbeit haben sie jetzt im US-amerikanischen Baltimore auf einer internationalen Konferenz zur Regelungstechnik diskutiert. Dort hat auch Prof. Herbert Werner, Leiter des TUHH-Instituts für Regelungstechnik, sein Quadrokopter-Projekt vorgestellt.

"In unseren Simulationen können wir bereits Schwärme losschicken", erklärt Werner den Stand des Projekts, "jetzt müssen wir den Schritt zur Hardware gehen." Dazu ließen die Forscher jetzt die ersten drei Quadrokopter in den blauen Himmel Harburgs steigen. Doch der Jungfernflug zeigte, dass die Teamfähigkeit noch entwicklungsfähig ist. Eines der Geräte suchte das Weite, entschwand Richtung Elbe, sodass der Feldversuch abgebrochen werden musste.

Die Flugobjekte in der Größe eines Medizinballs besorgten sich die Forscher aus der Hobbyabteilung eines großen Elektronikversandhauses zum Stückpreis von 300 Euro. Sie bauten die Steuerung per Joystick aus und ersetzten sie durch eine Platine mit einem Minirechner und mehreren Sensoren. Im ersten Schritt werden die Flieger noch grob per Funk gesteuert. Aber sie sollen bereits selbstständig Hindernisse erkennen können, mit Ultraschallsensoren nach Fledermausart. Diese Sensoren sorgen auch dafür, dass es im Schwarm nicht zu Kollisionen kommt. Sie registrieren den Abstand zu den Nachbarn. Der Minicomputer gleicht die Istwerte mit den Vorgaben ab und korrigiert bei Bedarf die Flugrichtung. "Der Schwarm soll natürlich nicht zu träge operieren, aber wenn die Agenten zu schnell reagieren, beginnt der Schwarm zu pulsieren", sagt Werner.

Im jetzt beginnenden zweiten Schritt soll die Quadrokopter-Gang ihren Weg allein finden. Sie startet an einer Basisstation in ein Zielgebiet, das - je nach Anwendung - mit Hilfe von GPS-Daten vorgegeben ist oder das sie selbst aufspüren muss. Letzteres gilt zum Beispiel für den Giftwolkeneinsatz, bei dem der Standort nicht klar zu umreißen ist: Jedes Fluggerät misst auf seinem vorgegebenen Weg die Schadstoffkonzentration. Steigen die Werte, ist die Wolke erreicht, und die Steuerung muss umschalten: Der Marschflug ist beendet, nun gilt es, sich optimal im Gebiet zu verteilen.

Es ist die Hauptarbeit der TU-Forscher, diese sogenannte Schwarmintelligenz den Flugobjekten beizubringen. Zusammen mit Kollegen der Institute für Rechnertechnologie und für Softwaresysteme nutzten sie neuronale Netze, mit denen zunächst virtuelle Schwarmfische lernten, möglichst glatt durch das Meer zu schwimmen, ohne mit Hindernissen oder miteinander zu kollidieren. Dazu statteten die Wissenschaftler ihre Computertiere mit "Augen" aus, die einen Halbkreis überblicken können.

Parallel ermitteln sie mit einem zweiten Verfahren die optimale Kommunikationsstruktur für die Flieger. Wer muss mit wem in Kontakt treten, damit der Schwarm funktioniert? Neben der Koordination mit den Nachbarn müssen die Geräte feststellen können, ob sie alle gemeinsam auf dem richtigen Weg sind. Dabei gilt die Regel: Das System ist so simpel wie möglich zu halten, damit es möglichst wenig fehleranfällig wird.

Um ins Schwärmen zu geraten, müssen alle Quadrokopter einen gemeinsamen Anführer haben. Das sollte aber keines der Geräte sein, denn hätte dieses einen technischen Defekt, so würde er die ganze Gruppe ins Chaos stürzen. Deshalb errechnen sich die Geräte einen virtuellen Anführer, einen fiktiven Punkt, dem alle folgen.

Die Software fürs gemeinsame Fliegen wäre damit komplett, die Hardware ist jedoch noch in der Entwicklung. Insgesamt machen die TU-Forscher zehn Quadrokopter startbereit, in späteren Anwendungen werden es vielleicht 50 oder 100 sein. Zu einem Engpass könnte zukünftig die Flugzeit werden. Sie ist durch die Kapazität der (Lithium-Polymer-)Batterie begrenzt und beträgt bei den Harburger Quadrokoptern je nach zusätzlich installierter Traglast eine viertel bis eine halbe Stunde.

Ob dies ausreichen wird, wenn diese oder ähnliche Flugobjekte zu echten Einsätzen ausschwärmen, entscheiden die späteren Anwender. Für sie müssen die intelligenten Flieger mit zusätzlichen, auf die jeweilige Aufgabe zugeschnittenen Sensoren und eine entsprechende Software ausgestattet sein. Ob ihre Roboterschwärme tatsächlich einmal Giftwolken vermessen werden, liegt dann nicht mehr in den Händen der Harburger TU-Forscher, sondern bei den künftigen Nutzern des Technoschwarms.