Mediziner erproben bei Kindern mit hohem Risiko für Typ 1 ein neues Verfahren, um sie gegen die Autoimmunerkrankung zu schützen

München. Wenn jemand an Diabetes erkrankt, denken die meisten an Alterszucker, den Diabetes Typ 2. Weniger bekannt ist, dass schätzungsweise 25 000 Kinder und Jugendliche in Deutschland an Diabetes vom Typ 1 erkrankt sind. Anders als beim Typ-2-Diabetes, der oft durch Übergewicht ausgelöst wird, leiden Kinder mit Typ-1-Diabetes an einer Autoimmunkrankheit. Ihr Organismus bildet immer weniger Insulin, weil das Immunsystem die Zellen der Bauchspeicheldrüse attackiert und mit der Zeit zerstört. Deshalb müssen schon Kinder Insulin täglich spritzen, ein Leben lang.

Um der Autoimmunerkrankung vorzubeugen, geht Prof. Anette-Gabriele Ziegler, Leiterin der Forschungsgruppe Diabetes an der Technischen Universität München, neue Wege. Im Rahmen einer internationalen Untersuchung testet sie mit Studienärzten am Helmholtz Zentrum in München seit drei Jahren bei 16 Kindern aus ganz Deutschland, deren nahe Familienangehörige an Typ-1-Diabetes leiden, eine Insulinimpfung als Schutz. Voruntersuchungen in den USA belegten bereits, dass Insulin, als Pulver über den Darm aufgenommen, die Entwicklung dieser Autoimmunerkrankung verzögern, sie vielleicht sogar verhindern kann. "Das Insulin wirkt hier als Impfstoff, der - anders als beim Spritzen von Insulin - nicht den Blutzuckerspiegel beeinflusst, sondern nur das Immunsystem trainiert", erläutert Ziegler. Weltweit soll nun die optimale Dosis und Darreichungsform mithilfe von zwei Studien ermittelt werden.

Während in einer früher gestarteten Untersuchung, der INIT II Studie, der Impfstoff über die Nase als Spray inhaliert wird, nehmen die Studienteilnehmer der von Ziegler geleiteten Pre-POINT-Studie ihn mit der Nahrung auf. Der Weg über Magen und Darm soll die Akzeptanz für das Hormon erleichtern und so einer fehlerhaften Immunantwort vorbeugen. Im Verdauungstrakt wird der Eiweißstoff zunächst in Bruchstücke zerlegt. Diese werden dann den dort besonders zahlreich vorkommenden Immunzellen präsentiert, welche körpereigene Substanzen an bestimmten molekularen Merkmalen erkennen. So wollen die Forscher das Immunsystem trainieren. "Normalerweise sind die Abwehrzellen in diesem Teil des Körpers auf Akzeptanz und Toleranz ausgerichtet. Sonst würde alles, was wir essen, starke Abwehrreaktionen auslösen", erläutert Ziegler. Mit dem Fortschreiten der Pre-POINT-Studie wird die Dosierung des Insulinpulvers gesteigert. Die Forscher analysieren anhand von Blutproben, ob eine Wirkung eintritt und bei welcher Dosis sich die optimale Wirkung zeigt. Die Pre-POINT-Studie läuft seit dem Jahr 2009. Mit gutem Erfolg, wie Ziegler berichtet: "Bislang ist keiner der Studienteilnehmer an Diabetes Typ I erkrankt. Nebenwirkungen traten keine auf."

Vor der Aufnahme und während der Studie stehen gründliche Untersuchungen bei den kleinen Patienten an. Nach einem anfänglichen Screening, bei dem mittels Blutanalyse Risikogene für Diabetes ermittelt werden, werden bei den vierteljährlichen - später halbjährlichen - Nachuntersuchungen Diabetes-Autoantikörper im Blut gemessen. So kann das individuelle Erkrankungsrisiko bestimmt werden. Je mehr mit Typ-1-Diabetes assoziierte Antikörper im Blut nachweisbar sind, desto größer ist das Risiko zu erkranken.

Mehrere Faktoren stehen im Verdacht, die Autoimmunerkrankung zu fördern. Neben Ernährungsweise, Gewichtsentwicklung, Hormonen und bestimmten Infektionen im Kindesalter spielen auch die Art der Antikörper und bestimmte Gene eine wichtige Rolle. Bei den genetischen Faktoren achten die Forscher besonders auf verschiedene Ausprägungen des HLA-Genotyps (Human Leukocyte Antigen). HLA-Gene sind für die individuelle Ausprägung des Immunsystems verantwortlich und steuern beispielsweise die Aktivierung der Immunantwort durch T-Zellen.

Wie gehen Eltern der betroffenen Kinder mit der Gewissheit um, dass ihre Kinder erkranken könnten? "Es ist nicht so, dass ich mir ständig darüber Gedanken mache, ob meine anderen Kinder auch krank werden. Aber es war schon komisch, schwarz auf weiß zu lesen, dass meine beiden jüngeren Kinder zu der Hochrisikogruppe gehören", sagt Katharina M., Mutter dreier Kinder. Die beiden jüngeren Geschwister Amelie, sechs Jahre, und der vierjährige Nick nehmen an der Pre-POINT-Studie teil. Sie sind noch gesund, haben jedoch, wie sich herausgestellt hat, ein hohes Risiko, wie der Vater und die achtjährige Schwester Leoni an Typ-1-Diabetes zu erkranken. Das soll die Impfung nun verhindern. "Vorher war es nebulös, jetzt ist es eben sicher. Und wir wissen jetzt, dass das Risiko nicht allein zu der Erkrankung führt. Es müssen mehrere Faktoren zusammenkommen", sagt Katharina M. Ihre Familie fühle sich nun gewappnet, auch weil mit den engmaschigen Untersuchungen für die Studie eine mögliche Entstehung von Typ-1-Diabetes noch vor Auftreten der ersten klinischen Symptome erkannt und rechtzeitig therapiert werden könnte. So können lebensgefährliche Stoffwechselentgleisungen eher verhindert und Langzeitschäden infolge eines schlecht eingestellten Blutzuckerspiegels weitgehend vermieden werden.

Auswertungen anderer Diabetesstudien des Instituts für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum in München belegen dies. Sie haben zudem ergeben, dass die Kinder, die an den Studien teilnahmen, beim Ausbruch der Erkrankung eine kürzere Zeit im Krankenhaus verbringen mussten als Kinder, bei denen das Erkrankungsrisiko vorher nicht getestet worden war.

Infos zu der Studie: www.diabetes-point.org