Schutzbemühungen haben die Rodungsrate gesenkt. Aber noch fallen jährlich auf 700 000 Hektar Urwaldbäume. Das Weltklima ist gefährdet.

Hamburg. Meterhohe Brettwurzeln münden in kolossale Stämme von Urwaldbäumen. Palmen, Lianen und Aufsitzpflanzen (Epiphyten, u. a. Orchideen) im Geäst halbhoher Bäume versperren den Blick in die Kronen der grünen Riesen. Dazu eine dämmrige Schwüle, süßliche Düfte von Blumen und angefaulten Früchten, Schreie von Papageien und Brüllaffen. Mit dem Amazonischen Regenwald beherbergt Brasilien, Gastgeberland des derzeit laufenden Uno-Erdgipfels, den größten Naturschatz der Welt. Auch wenn das Tempo der Waldzerstörung in jüngster Zeit ein wenig gebremst ist, bleibt das Urwald-Eldorado stark gefährdet.

Die Chancen stehen schlecht, dass der globale Waldschutz in Rio entscheidend vorankommt. Schon beim Erdgipfel 1992 scheiterte er an den Wirtschaftsinteressen, die riesigen Holzressourcen zu nutzen, durch Rodungen Landwirtschaftsflächen zu gewinnen oder in den Wäldern Rohstoffe abzubauen. Die 1990er-Jahre markieren den vorläufigen Höhepunkt der globalen Waldvernichtung - damals fielen jedes Jahr geschätzte 16 Millionen Hektar (ha) Wald den Sägen zum Opfer. In der jüngsten Dekade (2000-2010) sank die Entwaldung nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO auf jährlich 13 Millionen ha. Gut 2,6 Millionen ha entfallen auf Brasilien, davon knapp 1,7 Millionen auf den Amazonaswald, der größer ist als die Europäische Union.

Klaus Schenck vom Hamburger Verein Rettet den Regenwald beschreibt zwei Stufen der Waldvernichtung: "Zuerst kommen die Holzkonzerne. Sie bauen Straßen und Pisten in unerschlossene Gebiete und entnehmen nur einzelne Stämme. Sie lassen zwar einen Teil des Waldes stehen, schaffen aber die Infrastruktur, mit deren Hilfe sich Großgrundbesitzer, Plantagenbetreiber und Kleinbauern den Wald erschließen und ihn - meist durch Brände - komplett roden, um Acker- oder Weideflächen zu gewinnen." Diese unheilige Allianz hat dazu beigetragen, dass seit dem Beginn der Erschließung Amazoniens in den 1960er-Jahren knapp 20 Prozent des Urwaldes zerstört wurden.

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Die tropischen Regenwälder der Erde bedecken nur fünf Prozent der Landfläche, beherbergen aber die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten. Mit der Zerstörung der Wälder schwindet unwiederbringlich die Artenvielfalt. Intakte Wälder binden auch mehr Kohlendioxid, als sie an die Atmosphäre abgeben, und tragen so zum Klimaschutz bei. Der Amazonaswald spielt als weltweit größter tropischer Regenwald dabei eine besondere Rolle. Sollte er durch weitere Abholzung und die Erderwärmung seine Stabilität verlieren, könnte dies zum "Kipp-Element" für das globale Klima werden, warnen Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Sie befürchten, dass der Wald zum Trockenwald oder zur Savanne mutieren könnte und damit seine Klimaschutz-Funktion verliert. Dies verstärkt die Erderwärmung. Folge: Das heutige relativ stabile Klima könnte in einen instabilen Zustand kippen.

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Der Regenwald erzeugt sich den lebensnotwendigen Niederschlag weitgehend selbst. Das mehrstöckige Blattwerk verdunstet große Mengen Wasser. Aufsteigende Warmluft saugt zudem Regenwolken vom Atlantik über das Land. Doch dieses regionale Klimasystem braucht große Flächen. Brasilianische und US-Forscher warnten im Januar, bei einem Waldverlust von 40 Prozent könne der Punkt erreicht sein, an dem sich der Amazonaswald in eine Savannenlandschaft verwandelt.

Anders als andere Tropenwaldländer hat Brasilien bereits 1965 ein Gesetz erlassen, das die Nutzung des grünen Schatzes im Herzen Südamerikas regulieren soll. Damit sei der Wald in Brasilien "wesentlich besser als anderswo" geschützt, lobt Schenck, schränkt aber ein, das Gesetz werde oft missachtet. Zudem hat das brasilianische Parlament am 25. Mai 2011 einer Novelle zugestimmt, die das Gesetz deutlich abschwächt. Illegale Rodungen bis 2008 werden nachträglich legalisiert und die Rodungsauflagen für Grundbesitzer gelockert. Am selben Tag wurden der in Brasilien bekannte Umweltschützer Joao Claudio Ribeiro und dessen Frau Maria do Espirito Santo in einem Naturschutzgebiet des Bundesstaates Pará erschossen aufgefunden.

Klaus Schenck warnt vor einer weiteren Gefahr für den Wald: "In Amazonien sind 150 Staudämme zur Stromerzeugung geplant. Allein bei dem Großprojekt in Belo Monte würden bis zu 40 000 Menschen ihre Heimat verlieren." 60 000 Hektar Regenwald sollen überflutet werden, die verfaulende Regenwaldvegetation würde große Mengen an Treibhausgasen freisetzen. Schenck: "Der Strom wird für die Aluminiumproduktion gebraucht. Das Leichtmetall wird im Wald extrem energieintensiv aus Bauxit gewonnen."

Immerhin hat sich Brasilien das Ziel gesetzt, seine Treibhausgasemissionen bis 2020 um bis zu 39 Prozent gegenüber 2005 zu senken. Dazu soll auch die Zerstörungsrate um 80 Prozent reduziert werden. Hier gibt es bereits Erfolge: Nach offiziellen Angaben sank die Entwaldung in Amazonien in den Jahren 2009, 2010 und 2011 auf jeweils um die 700 000 ha, dem niedrigsten Wert seit Beginn der Auswertung von Satellitenaufnahmen auf Brandrodungen und Kahlschläge (1988).

Diesen "historischen Tiefstand" lobte der WWF, kritisierte aber, dass gleichzeitig große Flächen des benachbarten Cerrado-Trockenwaldes gerodet wurden. Auch Klaus Schenck kann sich nur bedingt über den Trend freuen, zumal Satellitendaten nur mehrere Hektar große Rodungen anzeigen und damit den Waldverlust nicht vollständig abbilden. Er bleibt skeptisch: "Im brasilianischen Parlament sitzen vor allem Lobbyisten der Großgrundbesitzer, das hat die Novelle des Waldgesetzes gerade wieder gezeigt." Die Zukunft von Jaguar, Tukan, Brüllaffe, Flussdelfin und all den anderen Regenwaldbewohnern ist also längst nicht gesichert.