Nomadische Hirtenvölker stehlen sich gegenseitig das Vieh. Hamburger Forscher bereiste fünf Monate lang die betroffene Region

"Ein Leben ohne Überfälle? Daran kann ich mich nicht erinnern." Von dieser Erfahrung haben mir viele Viehzüchter aus Turkana berichtet. In der ärmsten Region Kenias hat die Gewalt zwischen nomadischen Hirtenvölkern deutlich zugenommen. Wasser und Weideland sind hier so knapp, dass sich die Stämme gegenseitig das Vieh stehlen. Regelmäßig treiben sie ihre Tiere auch in die angrenzenden Länder Uganda, Südsudan und Äthiopien. Kaum ein Monat vergeht, ohne dass bei den Verteilungskämpfen Menschen getötet oder verwundet werden.

Die Situation wird sich voraussichtlich noch verschärfen, denn in Nordkenia erwärmt sich das Klima anderthalbmal so schnell wie im globalen Durchschnitt: Die mittlere Temperatur ist in den letzten 50 Jahren um ein Grad gestiegen. In Kombination mit stärkeren Niederschlagsschwankungen wird die Erwärmung voraussichtlich zu mehr Dürren und Überflutungen führen.

Wie sich die Klimaänderungen auf Konflikte in Nordkenia auswirken und was für eine friedliche Anpassung getan werden kann, untersuche ich in meiner Doktorarbeit. Dazu habe ich Wetter- und Konfliktdaten der Region analysiert. Zudem habe ich fünf Monate lang vor Ort 166 Personen zu den Konflikten befragt - darunter Experten von Regierungs- und Nichtregierungsorganisation sowie Mitglieder der betroffenen Dorfgemeinden. Als eine der Hauptursachen für die Gewalt nennen sie die immer häufigeren und längeren Dürreperioden.

Erst 2011 wütete eine schwere Dürre und Hungerkrise am Horn von Afrika. Etwa alle zwei bis drei Jahre gibt es eine ausgeprägte Dürre. Diese hohe Frequenz lässt den Hirten wenig Zeit, sich zu erholen. Meine Analysen zeigen, dass mit den Dürren auch die Konflikte zunehmen. Allerdings finden die meisten gewalttätigen Viehdiebstähle in Zeiten mit ausreichend Regen statt. Dies überrascht vielleicht, macht aber Sinn. Denn die extremen Trockenphasen erhöhen den Druck auf die Hirten, rechtzeitig vorzusorgen und ihre Herden aufzustocken. Wenn es geregnet hat, bietet die Vegetation den Angreifern Schutz. Vor allem aber sind die Tiere nun kräftig genug, um den Transport vom gegnerischen zum eigenen Lager durchzustehen. In trockenen Perioden dagegen sind die Viehzüchter damit ausgelastet, ihre Tiere am Leben zu halten - das bedeutet weniger Angriffe.

Dass die Gewalt insgesamt zunimmt, liegt auch an der politischen Situation in Kenia: Korruption, Armut und die Vielzahl ethnischer Gruppen begünstigen Konflikte und beeinträchtigen die Anpassung an den Klimawandel. Außerdem sind Waffen in Nordkenia leicht zu bekommen. So haben sich auch die Viehzüchter mit Gewehren ausgerüstet. Bisher hat die kenianische Regierung kein Mittel gefunden, die Kämpfe in den Griff zu bekommen. Zudem erschweren Unterentwicklung sowie mangelnde Bildung und Infrastruktur die Anpassung an den Wandel.

Eine friedliche Klimaanpassung könnte gelingen, wenn sich die Hirten mit ihrem Vieh über Staatsgrenzen hinweg sicher bewegen können. Ob es gelingt, dies zu gewährleisten, ist fraglich.

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