Forscher widerlegen nach einer Untersuchung die gängige Theorie, nach der Metallkörnchen im Schnabel als eine Art innerer Kompass fungieren.

London. Brieftauben können weite Strecken hinter sich bringen, ohne sich dabei zu "verfliegen". Bisher nahm man an, dass ihnen dabei ein "innerer Kompass" im Schnabel hilft. Doch dieser Kompass von Brieftauben funktioniert anders als angenommen. Bisher hatten Forscher geglaubt, dass die Vögel mithilfe kleiner magnetischer Körnchen im Schnabel das Erdmagnetfeld wahrnehmen. Doch diese These müssen die Forscher nach einer Untersuchung von Taubenschnäbeln jetzt ausschließen.

Zwar konnten die Wissenschaftler tatsächlich eisenhaltige Zellen in der Schnabelhaut identifizieren. Es handelte sich dabei aber nicht um Nervenzellen, die Informationen über das Erdmagnetfeld ans Gehirn übermitteln, sondern um sogenannte Fresszellen. Sie gehören zum Immunsystem und kommen nahezu im ganzen Körper vor. Nach Angaben der Forscher ist es praktisch ausgeschlossen, dass sie Teil des Magnetsinns der Vögel sind. Die Suche nach dem körpereigenen Kompass der Vögel beginne damit von vorn, schreiben Christoph Treiber vom Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien und seine Kollegen im Fachblatt „Nature“ (doi: 10.1038/nature11046).

Neben Brieftauben besitzen auch viele andere Vögel beeindruckende Navigationsfähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, über Hunderte Kilometer hinweg ihren Weg nach Hause zu finden. Wie sich die Tiere dabei orientieren, ist seit langem Gegenstand der Forschung. Eine wesentliche Rolle scheint das Erdmagnetfeld zu spielen, das die Vögel offenbar mit einer Art innerem Kompass wahrnehmen können. Ein Teil dieses Kompasses ist nach aktuellem Wissensstand im Auge beheimatet: Er ist vor allem dafür zuständig, den Neigungswinkel des Feldes zu bestimmen.

+++Wo versteckt sich der Kompass der Brieftauben+++

+++Warum finden Brieftauben immer nach Hause zurück?+++

Zumindest für Tauben galt bisher die Annahme, dass sie zusätzlich die Stärke des Magnetfeldes mit Magnetrezeptoren messen, die sich im oberen Teil des Schnabels befinden. Sie arbeiten dazu mutmaßlich mit Körnchen aus den magnetischen Eisenverbindungen Magnetit und Maghemit als winzigen Sensoren, die ihre Informationen sogleich über den Trigeminus-Nerv ans Gehirn weiterleiten.

Doch diese These lässt sich nicht halten, zeigen nun die Ergebnisse von Christoph Treiber und seinen Kollegen. Sie hatten knapp 200 Felsentauben (Columba livia) auf eisenhaltige Zellen hin untersucht. Fündig wurden sie nicht nur in der Schnabelhaut, sondern auch in Federfollikeln und den Schleimhäuten der Atemwege. Zudem variierte die Anzahl der eisenhaltigen Zellen extrem stark – bei einer Taube fanden die Wissenschaftler etwa 200 positive Signale, bei einer anderen mehr als 100.000. Eine solche Variation sei nicht mit einer wichtigen Funktion im Magnetsinn in Einklang zu bringen, sagt das Team.

Offenbar handelte es sich bei den eisenhaltigen Zellen um Makrophagen, zeigten weitere Analysen. Diese auch als Fresszellen bekannten Immunzellen sind neben der Krankheitsabwehr für die Entsorgung und Lagerung von Eisen zuständig, wie es beispielsweise beim Abbau von roten Blutkörperchen anfällt. Das erkläre den hohen Eisengehalt der Zellen, schreiben die Forscher.

Zwar könnten sie nicht vollständig ausschließen, dass es im Schnabel tatsächlich einige wenige Magnetrezeptoren gibt. Die Untersuchung habe jedoch keinerlei Hinweise auf die Existenz eines solchen Systems erbracht. In diesem Licht müssten nun unter anderem verhaltensbiologische Untersuchungen mit Tauben neu bewertet werden, schreibt das Team.