Die Zellen könnten in einigen Jahren zur Regeneration von Gewebe eingesetzt werden

Münster. Forscher des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin in Münster haben erstmals weltweit Stammzellen aus ausgereiften Körperzellen gewonnen. Den Wissenschaftler um den Stammzellforscher Hans Schöler gelang es, aus Hautzellen von Mäusen mit einer speziellen Kombination aus Wachstumsfaktoren auf direktem Wege Stammzellen von Nervengewebe (neuronale Stammzellen) zu entwickeln. "Uns ist damit der Nachweis gelungen, dass eine Reprogrammierung von Körperzellen nicht zwingend über pluripotente Stammzellen erfolgen muss", sagt Schöler. "Die Regeneration bestimmter Gewebetypen kann mit unserem Verfahren deutlich zielgerichteter und sicherer werden."

Bisher waren pluripotente Stammzellen das Nonplusultra der Stammzellforschung: Forscher erzeugen diese Alleskönner-Zellen, die sich zu jedem beliebigen Gewebetyp des Körpers entwickeln können, ebenfalls aus ausgereiften Körperzellen. Die Pluripotenz hat aber einen großen Nachteil: "Pluripotente Stammzellen sind so entwicklungsfähig, dass sie sich auch in Krebszellen verwandeln können - anstatt ein Gewebe zu regenerieren, verursachen sie unter Umständen einen Tumor", erklärt Schöler. Die von seinem Team jetzt beschriebenen Körperstammzellen weisen einen Ausweg: Denn sie sind "nur" multipotent. Das heißt, sie können sich nur in bestimmte, genau definierte Gewebetypen entwickeln. So können die von den Münsteraner Forschern erzeugten Stammzellen nur unterschiedliche Nervengewebe bilden.

Für die Reprogrammierung der Körperzellen in Stammzellen benutzten die Forscher einen Mix von Wachstumsfaktoren. "Wir haben einen Faktor verwendet, Brn4, der bisher in Versuchen dieser Art noch nicht zum Einsatz kam", sagt Schöler. "Brn4 hat sich dabei als ein Kapitän herausgestellt, der sein Schiff - die Hautzelle - sehr schnell und sehr wirksam unter seinen Befehl bringt. Er sorgt dafür, dass eine klare Richtung eingeschlagen wird und aus der Hautzelle eine neuronale Körperstammzelle wird." Diese Umwandlung sei umso wirkungsvoller, je öfter sich die Zellen unter Einfluss der Wachstumsfaktoren und der richtigen Kulturbedingungen teilen würden, so Schöler. "Die Zellen verlieren immer mehr ihre molekulare Erinnerung daran, dass sie mal eine Hautzelle waren." Nach einigen Teilungsrunden seien die erzeugten Stammzellen von natürlich vorkommenden kaum noch zu unterscheiden.

Auf lange Sicht sieht Schöler in den Ergebnissen erhebliches medizinisches Anwendungspotenzial: "Dadurch, dass die Körperstammzellen multipotent sind und die Gefahr der Tumorbildung dramatisch reduziert ist, könnten die Zellen in einigen Jahren zur Geweberegenerierung bei Krankheiten oder im Alter eingesetzt werden." Bis es so weit sei, müssten aber noch erhebliche Forschungsanstrengungen unternommen werden. Die Ergebnisse wurden an Zellen von Mäusen erzielt. Im nächsten Schritt sind entsprechende Untersuchungen mit menschlichen Zellen erforderlich. Zudem sei es unerlässlich, das Langzeitverhalten der Körperstammzellen im Detail zu untersuchen und zu klären, ob sie sich auch über größere Zeiträume hinweg stabil verhalten.

Damit der Sprung von der Grundlagenforschung zur Anwendung gelinge, müssten jetzt die passenden infrastrukturellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, sagt Schöler: "Die Konzepte dafür liegen fertig in den Schubladen. Aber wir brauchen die politischen Weichenstellungen, um in Richtung Anwendung weiterarbeiten zu können."