Der Gletschermann hatte Verwandte auf Sardinien. Das haben Experten bei der Analyse seines Erbguts herausgefunden. Weitere Erkenntnisse erwartet.

Tübingen/Bozen. Die Gletschermumie „Ötzi“ hatte verkalkte Arterien, obwohl der Mann aus dem Eis weder unter Übergewicht noch unter Bewegungsmangel litt. Ein Forscherteam teilte am Dienstag in Tübingen mit, die Untersuchung der Mumie habe eine genetische Veranlagung des „Ötzi“ für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zutage gefördert. Eine weitere Entdeckung: „Ötzi“ litt an der von Zecken übertragenen Borreliose.

Dies fanden die Forscher der Europäischen Akademie Bozen, der Universität Tübingen und der Universität des Saarlandes durch die Auswertung des Erbguts der Gletschermumie und anderer Daten heraus. Die Ergebnisse publizierten sie im Fachmagazin „Nature Communications“. Die Forschungen belegten, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen keineswegs moderne Zivilisationskrankheiten seien, sondern bereits vor Jahrtausenden vorkamen, heißt es in einer Mitteilung der Universität Tübingen.

Auch der mutmaßliche Zeckenbiss ist für die Forscher eine aufregende Entdeckung. „Dies ist der älteste Beleg für Borreliose und dafür, dass sie bereits vor 5.000 Jahren übertragen wurde“, sagt Carsten Pusch von der Universität Tübingen. Die Analyse ergab zudem, dass „Ötzis“ Vorfahren vermutlich aus dem Nahen Osten in die Alpenregion eingewandert waren.

„Ötzi“ hatte den Angaben zufolge braune Augen, braune Haare und konnte keinen Milchzucker verdauen, weil er unter Laktoseunverträglichkeit litt. Die Gletschermumie war im Sommer 1991 entdeckt worden, nachdem das Eis am Südtiroler Tisenjoch stark zurückgegangen war. Heute liegt sie im Bozener Archäologiemuseum.

+++Ötzis Mahlzeit bestand aus Hirschfleisch mit Fliegenmade+++

+++Ötzi, der mann aus dem ewigen Eis der Alpen+++

Generelle Rückschlüsse auf die genetischen Ursprünge von Krankheiten ließen sich durch die Untersuchung der Ötzi-DNA aber noch nicht ziehen, sagte Carsten Pusch, der die genetischen Untersuchungen an der Universität Tübingen geleitet hat. Dafür reiche es nicht, nur einen einzigen 5300 Jahre alten Menschen zu untersuchen.

Auch bei der Suche nach Ötzis genetischen Verwandten wurde das insgesamt mehr als 40-köpfige Forscherteam fündig – und zwar ausgerechnet auf Sardinien und Korsika, obwohl Ötzi die Alpenregion früheren Untersuchungen zufolge nie verlassen hat. „Vermutlich haben diese Inselbewohner und Ötzi die gleichen Vorfahren“, sagte Pusch. Doch welche Wanderungsbewegungen hinter diesem Verwandtschaftsverhältnis stehen, sei noch unklar. „Man hat ein paar Fragen beantwortet – und schon hat man 100 neue aufgeworfen.“

Die Entschlüsselung von Ötzis DNA sei ein Glücksfall gewesen, erzählte Pusch. An einem kleinen Stück aus Ötzis linkem Beckenknochen wollten die Tübinger Forscher ein neues Verfahren ausprobieren. „Wir wollten abschätzen, wie viel Knochenmaterial wir bräuchten, um Ötzis Erbgut komplett zu entschlüsseln.“ Nach mehreren Monaten Arbeit wurde dann klar, dass das ein Zentimeter lange und einen Millimeter dicke Knochenstück schon ausgereicht hatte, um zum ersten Mal Ötzis komplettes Erbgut zu entziffern. „Das hätte ich selbst vorher nicht geglaubt“, sagte der Humangenetiker.

Mit Material von dpa und epd