An der Uni Stuttgart entsteht Europas leistungsfähigster Fahrsimulator. Aktuelle Forschungsthemen: Elektroauto und Fußgängerschutz.

Stuttgart. Wenn es darum geht, Fahrverhalten zu testen, bleibt Philip Rumbolz vom Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren (FKFS) bislang nur der Weg auf die reale Straße. Rumbolz schickt seine Probanden auf eine rund 60 Kilometer lange Teststrecke rund um Stuttgart, wenn es zum Beispiel herauszufinden gilt, ob sich mit dem automatischen, von Sensoren gesteuerten Hintereinander-Fahren tatsächlich Kraftstoff einsparen lässt (ja, das tut es) oder wie stark der Benzinverbrauch von der Fahrweise abhängt (er streut beträchtlich). Demnächst sollen aussagefähige Daten entstehen, ohne dass auch nur ein Straßenkilometer zurückgelegt wird: Die Forscher bauen Europas leistungsfähigsten Fahrsimulator.

Um repräsentative Aussagen zum Fahrverhalten zu bekommen, müssen bisher die Forscher 50 bis 100 Testfahrer - Männer, Frauen, Alte, Junge - um Stuttgart kurven lassen. Das ist sehr aufwendig und teils auch ungenau. Denn wichtige Einflussfaktoren wie Wetter, Verkehrsdichte, Staus oder Ampelschaltungen variieren von Fahrt zu Fahrt und machen die Ergebnisse nicht so präzise, wie die Forscher das wünschen. Im Simulator sind die Szenarien indes für jeden Fahrer identisch.

Der Simulator entsteht im Forschungsprojekt "Validate" der Universität Stuttgart und des FKFS. Das Bundesforschungsministerium und das Land Baden-Württemberg stellten 3,7 Millionen Euro zur Verfügung. Von Weitem sieht er wie eine Raumkapsel aus. Nur dass die Kapsel mit sechs mächtigen Teleskopbeinen und anderem Gestänge fest in der Betonwanne einer riesigen Halle der Uni Stuttgart verankert ist. Eine Leiter führt zur weiß getünchten Kuppel. Unter deren Decke hängen LED-Videobeamer, die später das Fahrszenario auf die Innenwand werfen. Das erste Fahrzeug steht bereit, ein schwarzer Opel, innen kaum verändert, aber ohne Räder und Motor.

Das Auto ruht fest verschraubt auf einem Metallträger, der in die Kuppel gezogen werden kann. "Wir brauchen ein extrem versteiftes Fahrwerk", erläutert Projektleiter Philip Rumbolz. Denn jede Bewegung in der Simulatorfahrt, auch das Wippen des Stoßdämpfers, kommt aus dem Computer.

Dreht der Fahrer den Zündschlüssel, brummt das Motorengeräusch aus dem Lautsprecher. Fährt er sachte an, geht der Ton hoch, und die Kuppel bewegt sich auf dem Längsschlitten in der Halle. Beschleunigen, bremsen, in die Kurve gehen - die passenden Fahreindrücke simulieren die Forscher mit einer Tanzchoreografie aus Schlittenbewegung und dem sogenannten Hexapod, den sechs Beinen der Kuppel. Die Hallenbühne für den Simulatortanz misst zehn mal sieben Meter für Längs- und Querschlitten.

Aufwendige Computerprogramme und Dutzende PC helfen dabei, dieVideoprojektion in der Kuppel mit der realen Bewegung des Geräts zu synchronisieren. "Das muss auf unter 30 Millisekunden genau stimmen", sagt Gerd Baumann vom FKFS, der Ideengeber für den Fahrsimulator. Stimmen nämlich "die gefühlte Bewegung im Raum und der Bildeindruck nicht überein, wird der Proband seekrank".

Obwohl der Testbetrieb mit Karosserie und Probanden noch aussteht, kommen Baumann und Rumbolz schon jetzt ins Schwärmen. "Fast alle Fahrmanöver sind möglich", sagt Baumann. Von null auf 100 in acht Sekunden - kein Problem. Haarnadelkurve, Kopfsteinpflaster, Schlagloch, Nachtfahrten: alles gefahrlos virtuell.

Das Softwareteam von Baumann hat inzwischen den 60-Kilometer-Rundkurs in Bits und Bytes auf der Festplatte. "Wir wollen simulieren, wie Fahrer mit neuen Assistenzsystemen umgehen", erläutert Rumbolz. Da Fahrzeugfunktionen immer weiter automatisiert werden, ist für die Forscher wichtig herauszufinden, wie Fahrer diese annehmen, wie sie optimiert werden können und ob sie überhaupt nützen. Hier wird die Vielzahl der Probanden gebraucht. Denn die Temperamente der Fahrer unterscheiden sich stark, sie reagieren unterschiedlich in kritischen Situationen - und werden so für die Verkehrsforscher zur unberechenbaren Größe. Die Testfahrer können in der Kuppel weitaus kritischeren Fahrsituationen ausgesetzt werden als auf der Straße. Dort sind etwa eine automatische Notbremsung oder ein doppelter Spurwechsel, um einem Hindernis auszuweichen, nicht zu erproben.

Auch bei der Markteinführung von Hybrid- und Elektroautos kann der Simulator behilflich sein. So will das Team um Baumann und Rumbolz einen Reichweiten-Abschätzer entwickeln. Viele Fahrer fürchten nämlich, wegen des begrenzten Aktionsradius des Elektroautos irgendwo stehen zu bleiben. Der Reichweiten-Abschätzer gibt an, wie weit die Akku-Kapazität in Abhängigkeit von Fahrstil und dem Verbrauch anderer Komponenten wie Licht oder Heizung noch reicht.

"Wir wollen auch etwas für die Sicherheit der Menschen außerhalb des Fahrzeugs tun", ergänzt Baumann. Bislang hätten die Fahrzeughersteller vor allem die Sicherheit der Insassen immer weiter verbessert: Gurt, Airbag, elektronische Fahrstabilisierung, Notbremsung - "jetzt sind auch die Fußgänger dran", so Baumann. Durch leistungsfähige und billige Kamerachips, wie sie in jedem Handy vorkommen, lässt sich das Autoumfeld beobachten. Quer schießende Radfahrer oder zwischen parkenden Autos hervorpreschende Passanten lassen sich unter Umständen von der Elektronik rascher erkennen als vom Fahrer. "Wir müssen uns Gedanken machen, wie das Fahrzeug auf solche Informationen reagiert", sagt Baumann. Und das geht am besten im Fahrsimulator.