Forscher suchen nach Wegen, Bakterien, Parasiten und Viren im lebenden Organismus zu beobachten und so herauszufinden, wie diese sich vermehren.

Hamburg. Mit vielen Krankheitserregern verhält es sich so ähnlich wie mit oberflächlichen Bekanntschaften: Wir können sie treffen, uns mit ihnen auseinandersetzen, sie aus nächster Nähe betrachten - und der Illusion aufsitzen, wir lernten sie gerade richtig kennen. Aber sobald wir sie in ihren Mikrokosmos entlassen, machen sie hinter sich zu und verriegeln die Tür. Dann wird uns klar: Wir wissen eher wenig.

Es erscheint paradox: Forscher haben aus dem Blut von Patienten beispielsweise viele Virenarten herausgelöst und deren Erbgut entschlüsselt; mittlerweile können sie etliche Virengenome künstlich herstellen und verändern. Doch wie die Erreger genau in den Körper gelangen, wie sie Schleimhäute durchdringen, im Blut transportiert werden, wie sie Angriffe des Immunsystems umgehen oder abwehren, liegt noch weitestgehend im Dunkeln.

Das soll sich bald ändern: Allein in Norddeutschland suchen etwa 600 Forscher nach Wegen, den Winzlingen auf die Schliche zu kommen. Um das Wissen zu bündeln, haben sich das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, das Heinrich-Pette-Institut und das Forschungszentrum Borstel zum Leibniz Center Infection (LCI) zusammengeschlossen. In Hamburg diskutierte die Allianz gestern auf dem Symposium "Imaging Infection 2012" darüber, wie sich das geheime Treiben von Bakterien, Parasiten und Viren mit Hilfe von Nanotechnologie und Hightech-Mikroskopen ausspionieren lässt.

+++Forscher entwickeln Oberfläche, die sich selbst reinigt+++

+++Mikroben werden auf andere Kontinente verweht+++

Am Heinrich-Pette-Institut arbeitet eine Gruppe um Dr. Heinrich Hohenberg daran, Viren mit magnetisierbaren Nanopartikeln zu markieren, um die Erreger auf ihrem Weg durch den Körper zu verfolgen. Das Problem: Die kleinsten Virenvertreter haben Maße von etwa 50 Nanometern, das entspricht 50 Millionsteln eines Millimeters. Erkennbar sind sie deshalb nur unter einem Elektronenmikroskop, das statt Licht einen Elektronenstrahl nutzt. Die modernsten dieser Geräte können zwar bis zu 0,1 Nanometer kleine Strukturen abbilden. Doch die Proben müssen trocken sein und scheibchenweise in einem Vakuum fixiert werden. Das macht es unmöglich, lebende Zellen zu mikroskopieren. Ohnehin würden weder Tiere noch Menschen in so ein Gerät passen.

Deshalb mussten sich Forscher wie Hohenberg bis vor Kurzem auf In-vitro-Experimente beschränken. Sie bauten in das Erbgut von Viren grün fluoreszierende Proteine ein und gaben die Erreger anschließend in Zellkulturen, wo sich diese vermehrten. Durch ein Fluoreszenzmikroskop konnten sie anhand grüner Punkte erkennen, wo die Viren sich aufhielten. Die Forscher sahen also künstliche erzeugte Situationen, Momentaufnahmen - aber nicht das große, natürliche Ganze.

Derzeit versuchen Hohenberg und seine Kollegen, in Grippe- und Herpesviren sogenannte Klebestellen einzubauen, an die Nanopartikel andocken können. Das sei kompliziert, weil sie einerseits darauf achten müssten, die Klebestellen so zu platzieren, dass das Virus ungehindert an Wirtszellen andocken könne, erläutert Heinrich Hohenberg. "Wenn wir - bildlich gesprochen - die Hände des Virus stilllegten, würden wir nie erfahren, wo und wie genau es sich im Körper festhält." Andererseits müssten sie darauf achten, dass auf der Klebestelle nicht zu viele Nanopartikel Platz finden, weil das Virus durch solch dicke Anhängsel womöglich nicht mehr in Wirtszellen hineingelangen könnte.

Trotz dieser Herausforderungen könne das Vorhaben womöglich schon bis Ende dieses Jahres gelingen, sagt Hohenberg. Zuletzt haben die Forscher mit gezüchteten Organteilen experimentiert. Als nächstes wollen sie Mäusen die markierten Viren injizieren und die Tiere in einen Magnetresonanztomografen legen. Dann soll anhand der magnetisierbaren Partikel erstmals in einem lebenden Organismus sichtbar werden, wie Viren agieren.

Viele Menschen sehen solche und andere Tierversuche kritisch. In der biotechnologischen und medizinischen Forschung sind die Tests jedoch üblich und nach Meinung der Deutschen Forschungsgesellschaft derzeit nicht ersetzbar. Auch Heinrich Hohenberg sagt: "Ohne geht es leider nicht."

Um Parasiten geht es bei den Experimenten von Dr. Tobias Spielmann vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Er erforscht Plasmodium falciparum, den Erreger der Malaria tropica. Das ist die gefährlichste Variante der Erkrankung, die fast alle Malaria-Todesfälle bedingt. Wie der Parasit vorgeht, ist im Wesentlichen bekannt: Er vermehrt sich zuerst in der Leber, dringt dann in rote Blutkörperchen ein und installiert dort diverse Strukturen, die ihm bei der Versorgung helfen. Dann frisst er das Hämoglobin der Wirtszelle innerhalb von zwei Tagen auf, wächst und teilt sich. So entstehen bis zu 32 neue Parasiten. Sie bringen die Zelle schließlich zum Platzen.

Von diesem grausamen Ablauf gab es lange nur einzelne Aufnahmen. Die Parasiten sind ausgewachsen mit etwa 6000 Nanometern, dem Sechstausendstel eines Millimeters, zwar deutlich größer als Viren und groß genug, um sie mit herkömmlichen Lichtmikroskopen auszumachen. Untersucht man die Erreger jedoch eingehender mit einem Konfokalmikroskop, dessen Laser einzelne Zellschichten punktuell abrastert, nehmen sie schnell Schaden.

Tobias Spielmann und seine Kollegen testeten monatelang verschiedene Geräte und Einstellungen, um den Laser möglichst lang einsetzen zu können, ohne das Treiben der Parasiten zu beeinflussen. Mit dem für ihre Zwecke optimal eingestellten Konfokalmikroskop gelang es ihnen, über zwei Tage den gesamten Zyklus der Parasiten aufzunehmen. Aus den Daten entstand ein Film, der erstmals zusammenhängend zeigt, wie Malaria-Parasiten wachsen - eine wichtige Grundlage für die Entwicklung neuer Medikamente. Im Moment erforscht Spielmann, wie genau die Parasiten den Transport von Proteinen in ihrer Wirtszelle regeln, einen Vorgang, der elementar für ihre Vermehrung ist.

Mit Bakterien beschäftigt sich ein Team um Prof. Ulrich Schaible vom Forschungszentrum Borstel. Die Wissenschaftler untersuchen im Tierexperiment, wie neue Antibiotika gegen den Erreger der Tuberkulose (TBC) wirken. Die Erkrankung tritt in westlichen Industrienationen nur noch selten auf, weltweit sterben jedoch pro Jahr 1,7 Millionen Menschen an TBC. In den vergangenen Jahren traten immer mehr Antibiotika-resistente Keime auf.

Bakterien sind erheblich größer als Viren und produzieren entsprechend mehr Proteine, die sich durch fluoreszierende Varianten ersetzen lassen. So markierte Bakterien können vergleichsweise mehr Licht abstrahlen, deshalb sind sie auch im lebenden Organismus auszumachen. Schaible und seine Kollegen markieren TBC-Erreger mit neuen Farbstoffen, die im roten, langwelligen Bereich Licht abstrahlen, das leichter erkannt werden kann als das kurzwellige Licht grüner Farbstoffe. Deshalb genügt eine extrem lichtempfindliche Kamera, um genauer als bisher abzubilden, wie sich die Erreger im Mäuseleib verhalten. Durch die vergleichsweise schonende Methode leben die Mäuse zwar länger als andere Versuchstiere, doch sterben müssen auch sie. Zumindest in diesem Punkt haben Forscher bisher keine großen Fortschritte erzielt.