Forscher entwickeln Aufwindkraftwerke, die weniger Fläche benötigen und deutlich niedriger sind als bisherige Entwürfe. Ihr Prinzip ist schlicht.

London. Es ist eine Kombination von Sonnen- und Windkraft, und die Idee elektrisiert Ingenieure und Umweltschützer seit Jahrzehnten. Erste Konzepte zu Aufwindkraftwerken gab es schon in den 50er-Jahren, jetzt haben französisch-deutsche Techniker sie aufgegriffen und variiert. Während die ersten Entwürfe 1000 Meter hohe Türme vorsahen, umgeben von treibhausähnlichen Betriebsräumen mit einer Fläche von 800 Fußballfeldern, sind die neuesten Anlagen deutlich kleiner: Sie begnügen sich mit 160 Meter hohen Schloten auf einer Grundfläche von 14 Kickerplätzen.

Das Prinzip der Kraftwerke ist schlicht: Sie bestehen aus einer möglichst großen, nach oben geschlossenen Fläche, auf der wie in einem Treibhaus heiße Luft erzeugt wird, und einem möglichst großen Schlot, durch den die erwärmte Luft nach oben steigt und dabei über Turbinen Strom erzeugt. So ein Kraftwerk benötigt keine der modernen Hightech-Rohstoffe, wie sie zum Beispiel die Solarzellenindustrie verarbeitet - Gallium, Indium und so weiter sind endlich und obendrein extrem selten. Dazu kommt, dass ein Aufwindkraftwerk selbst nachts noch arbeitet, weil es die vom Boden abgegebene Tagesrestwärme in der kühleren Nachtluft nutzt. Der Unterschied zwischen Tag- und Nachtbetrieb fällt geringer aus als bei reinen Solarkraftwerken, Spitzen treten nur gedämpft auf. Beides ist gut für Stabilität und Planbarkeit eines Stromnetzes.

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Ein Aufwindkraftwerk hat allerdings einen sehr geringen Wirkungsgrad von deutlich unter einem Prozent der einstrahlenden Sonnenenergie. Doch damit kann es durchaus wirtschaftlich arbeiten. Es muss nur groß genug sein: Experten gehen davon aus, dass ein solcher Sonnen-Schlot ab 100 bis 200 Megawatt (MW) installierter Nennleistung ausreichend günstig Strom erzeugen kann (zum Vergleich: die größten Windrotoren haben Leistungen von rund sechs MW).

Großprojekte schlagen seit Längerem kilometerhohe Türme über riesigen Treibhausflächen vor, doch in der Realität will niemand so recht einsteigen. Im Kleinen hat sich das Prinzip im realen Versuch bereits bewährt: Ein Prototyp in Manzanares (Spanien) lief über Jahre ohne nennenswerte Probleme, bis ein Sturm ihn 1989 zerstörte. Die Anlage hatte lediglich 0,05 MW Spitzenleistung, dabei jedoch einen Turm von immerhin 194 Metern Höhe. Sie kostete umgerechnet mehrere Millionen Euro. Für ein Kraftwerk mit nennenswerter Leistung müssten Investoren Hunderte Millionen investieren, ohne irgendeinen Zwischenschritt. Andere Solarkraftwerke, vor allem große Fotovoltaikanlagen, können schrittweise ausgebaut werden, man kann sich herantasten. Für Aufwindkraftwerke gilt: "ganz oder gar nicht".

Die Firma Blue Pearl in London verspricht nun ein kleines Energiewunder. Sie will die Türme auf sturm- und erdbebensichere 160 Meter Höhe stutzen. Die geplanten Kraftwerke nutzen zusätzlich das Wasser, das in der abkühlenden Luft oben im Turm kondensiert. Es soll auf seinem Weg gen Boden wie bei einem herkömmlichen Wasserkraftwerk Turbinen antreiben und so den Gesamtwirkungsgrad deutlich erhöhen. Aus einem Teil des Kondenswassers lasse sich zudem Trinkwasser gewinnen, betonen die Entwickler. Sie geben der Kombination aus Solar- und Windenergie also noch die Wasserkraft dazu. Den konkreten Kniff, wie das funktionieren soll, gab Blue Pearl auf Nachfrage allerdings nicht preis.

In Jordanien startet nach Aussagen des Unternehmens dieser Tage der Bau eines ersten Demonstrationskraftwerks mit einer Nennleistung von 90 MW (siehe Bild). Auch die Japaner sollen Interesse angemeldet haben.

Blue Pearl plant mehrere Kraftwerks-Typen in verschiedenen Leistungsklassen von 90 bis 1000 MW. Die Kosten belaufen sich laut Firmenchef Franz Wesselmann auf 300 Millionen bis 1,8 Milliarden Euro. Der größte Kraftwerkstyp würde etwa so viel wie ein Atommeiler leisten, kostete aber nur ein Drittel. Es wäre das erste Mal, dass die verheißungsvolle Idee eines Aufwindkraftwerks tatsächlich marktreif würde. Denn solange die Vision in den Köpfen der Techniker herumgeistert, so lange währt die Geschichte falscher Projekt-Versprechungen - und der vergeblichen Investorensuche.

Ende der 1990er-Jahre sollte ein Aufwindkraftwerk in Rajasthan (Indien) entstehen. Die Pläne waren hochfliegend, Geldgeber fanden sich keine. Vor rund fünf Jahren wollte die Firma Enviromission in Australien eine Anlage mit 200 MW installieren, deren Leistungs-Profil perfekt mit dem Stromverbrauch von Klimaanlagen übereingestimmt hätte. Sie wurde nie gebaut, die Firma sucht jetzt in den USA nach Investoren für ein 400-MW-Kraftwerk in der Wüste von Arizona. Der Turm in Australien wäre einen Kilometer hoch geworden, höher als das Burj Khalifa in Dubai, mit 828 Metern derzeit das höchste Gebäude der Welt.

Seit Kurzem gibt es mit dem lybischen Umwelttechniker Muftah Elarbash eine weitere, vehemente Stimme für Strom aus Aufwind-Schloten. Elarbash will ganz hoch hinaus, präsentiert gigantische Kraftwerke mit "hundert mal hundert Kilometern" Fläche in der Sahara. Er gehört der aktuellen Übergangsregierung Lybiens an, doch das Investoreninteresse ist bisher gleich null.

Momentan scheint es, als machten die bestehenden Solarkraftwerkstechniken das Rennen, obwohl sie in wirklich großen Dimensionen letztendlich teurer sind. So forschen verschiedene Teams rund um den Globus an Fotovoltaikzellen, die statt mit seltenen Rohstoffen mit häufiger vorkommenden Ausgangsstoffen arbeiten. So kann der Ausbau der solaren Energiegewinnung auch dann weitergehen, wenn die heute verwendeten Rohstoffe erschöpft sind.