Jugendreport zeigt, wie wenig elf- bis 15-jährige Schüler noch von der Natur wissen

Berlin. Das ist aber eine merkwürdige Frage: "Wie viele Eier legt ein Huhn pro Tag?" Ausgedacht hat sie sich der Marburger Natursoziologe Rainer Brämer für seinen "Jugendreport Natur 2010", den er gestern in Berlin vorstellte. Von Februar bis Mai haben mehr als 3000 Sechst- und Neuntklässler aller Schulformen aus sechs Bundesländern (Schwerpunkt Nordwestdeutschland) Fragebögen ausgefüllt, die ihr naturkundliches sowie land- und forstwirtschaftliches Basiswissen testeten - und viele Lücken aufdeckten.

Wie viele Eier also? "Ich legte jeden Tag ein Ei und sonntags auch mal zwei", sangen die Comedian Harmonists einst fast treffend, doch das Berliner Sänger-Ensemble (1927-1935) wird eher selten auf YouTube oder Viva gezeigt. In Wahrheit schaffen die knapp 26,7 Millionen hochgezüchteten Legehennen in Deutschland nicht mal ein Ei pro Tag, sondern im Schnitt 0,8 - übrigens auch sonntags.

43 Prozent der Schüler meinen, ein Huhn legt am Tag zumindest zwei Eier

Doch 17 Prozent der Elf- bis 15-Jährigen meinen, die Hühnerfrau schaffe zwei Eier, jeweils 13 Prozent wollen der Henne sogar drei beziehungsweise vier bis sechs Eier unterschieben. "Dass Hühner einen ganzen Tag brauchen, um ein Ei zu produzieren, kann sich nur jeder dritte Schüler vorstellen", bemängelt Rainer Brämer.

Nächste Frage: In welcher Himmelsrichtung geht die Sonne auf? 59 Prozent der Schüler wussten es: im Osten. Das ist immerhin mehr als die Hälfte. Aber reicht das? "Obwohl sich die Jugend trotz Klimakatastrophe auf nichts mehr freut als auf einen heißen Sommertag, sind der sphärische Lauf des Wärmespenders oder die von der Sonne markierten Himmelsrichtungen fast der Hälfte fremd", bedauert Brämer. Jeder Neunte lokalisiert die Sonne sogar im Norden.

Und wie heißt das Junge vom Hirsch? Acht Prozent antworteten - sicher zum Jammer der Biologen, aber auch der Deutschlehrer - mit "Rehkid", neun Prozent mit "Reh", 13 Prozent mit Rehkitz und 19 Prozent mit "Kitz/Kits". Doch nur sechs Prozent wissen die richtige Antwort: Kalb im Sinne von Hirschkalb. Das passt zu der Alltagsbeobachtung, dass auch viele Erwachsene das Reh für die Geschlechtspartnerin des Hirschs halten. Dabei paart sich dieser mit der Hirschkuh, das Reh mit dem Rehbock. Übrigens gaben 32 Prozent der Kinder gar keine Antwort. Man darf unken, "Reebok" hätten die Schüler womöglich erkannt, zumal so etwas ja auch im Wald vorkommt, als Sportschuh an den Füßen von Dauerläufern.

Kinder kennen den Tyrannosaurus Rex, aber keine Waldtiere

Es ist nicht so, dass die Kinder über Tiere gar nicht Bescheid wüssten. Bloß über welche? "Wenn man sie fragt, welcher der gefährlichste Saurier war, sagen sie sofort: Tyrannosaurus Rex, und auch den Triceratops mit den drei Hörnern kennen sie, aber nicht die Tiere in unseren Wäldern", sagt Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdschutz-Verbandes, der die Studie gemeinsam mit der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und dem Lehrer-Infodienst information.medien.agrar unterstützt hat.

Auch die unbelebte Natur kam im Fragebogen dran. "Wie viele Wochen liegen zwischen zwei Vollmondnächten?", wollten Rainer Brämer und der Winterberger Waldpädagoge Hans Schild als Organisator der Befragung wissen. Nur 40 Prozent der Kinder antworteten frei von der Leber weg und korrekt: vier Wochen. Immerhin jeder fünfte Schüler gab eine bis drei Wochen zur Antwort, jeder siebte sogar fünf bis zehn. Brämers Schluss daraus: "Schon der schlichte Anblick des Nachthimmels scheint für mehr als die Hälfte der Befragten so ungewohnt zu sein, dass ihnen der äußerst regelmäßige Mondzyklus noch nicht aufgefallen ist."

Nicht nur bei dieser Frage schnitten Landkinder kaum besser ab als Stadtkinder. Brämer: "Insgesamt verfügen sie nur in vier von 15 alltagsnahen Fragen über ein nennenswertes, aber auch nicht übermäßig besseres Naturwissen, obwohl sie weitaus näher am Puls der Natur leben."

Allerdings enthält die Studie auch Fragen, bei denen falsche Antworten kaum wundern, etwa: Wie heißen die Früchte der Rose? Auf Hagebutten könnte man im Falle der Hundsrose kommen. Zehn Prozent der Schüler nannten diese auch für die Zierrose korrekte Antwort. 13 Prozent hielten dagegen die Knospe oder die Blätter für die Rosenfrüchte, und 44 Prozent hatten keine Idee.

Fairer war die Frage nach der Farbe der Fichtenblüten. Schließlich ist die Fichte mit 28 Prozent Anteil mit Abstand der häufigste Baum in deutschen Forsten. "In Nadelwäldern sollte der gelbe Pollenstaub auf den Pfützen irgendwann einmal die Wissbegier von Heranwachsenden herausgefordert haben, sich die Blüten näher anzuschauen", meint Brämer. Und nicht weniger fielen die "vom Wind herabgezausten roten Blütenstände ins Auge".

Das Leben spielt sich in klimatisierten Räumen und Fahrzeugen ab

Ein Blick auf die seit 1996 aufgelegten Jugendreporte zeigt, dass sich die Jugendlichen tendenziell weiter von der Natur entfernt haben. Die Gründe für die "Naturvergessenheit" reichen von der "weitestgehend in klimatisierten Räumen und Fahrzeugen verbrachten Zeit" über die "zahlreichen technischen Hilfsmittel zur Erleichterung des Alltagslebens" bis zu den Medien, deren Reizintensität die natürliche Umwelt überstrahle. Zudem könnten die Eltern kaum noch Naturerfahrungen an ihren Nachwuchs weitergeben, so Brämer. Und häufig genug hielten ängstliche Eltern ihre Sprösslinge sogar gezielt von Naturerlebnissen ab.

Fragen aus der Studie „Natur im Alltag"

Doch die Hoffnung stirbt zuletzt: 74 Prozent der Schüler geben an, sie würden am liebsten unbekannte Landschaften entdecken - was immer sie darunter verstehen. 53 Prozent würden gern "im Wald Mountainbike fahren", 56 Prozent "quer durch den Wald gehen" und 49 Prozent Rehe in freier Wildbahn beobachten (oder schätzen dies bereits heute). Darauf lässt sich vielleicht aufbauen.