Trotz ausgefeilter Gasgemische sind dem Tauchen mit Pressluft enge Grenzen gesetzt

Ein Astronaut kann auf dem Mond landen und vielleicht irgendwann den Mars betreten. Aber warum kann kein Taucher die 1500 Meter in der Tiefe des Golfs von Mexiko erreichen, um das Leck an der Bohrleitung der gesunkenen Ölförderplattform abzudichten? Ein See-Elefant kann 1500 Meter tief tauchen und bis zu zwei Stunden die Luft anhalten. Statt des Luftanhaltens hat der Mensch eine technische Lösung, die Pressluftflasche. Doch mit größerer Tauchtiefe und damit steigendem Umgebungsdruck gelangen mit jedem Atemzug immer mehr Stickstoff und Sauerstoff - die Bestandteile von Luft - in den Körper des Tauchers. Und sie sind nicht unbegrenzt verträglich.

In großen Tiefen wird Luft zum Narkosegas. Der Stickstoff bewirkt ab etwa 30 Meter den Tiefenrausch, ab 100 Meter droht Bewusstlosigkeit. Stickstoff wirkt im Überdruck wie die Narkosemittel Chloroform, Äther, Lachgas oder Halothan bei Normaldruck. Die genauen Mechanismen der sogenannten Inertgasnarkose (inert, weil die Gase nicht am Stoffwechsel teilnehmen) sind nicht ganz geklärt.

In den 1960er-Jahren begann man damit, bei Druckkammerversuchen Stickstoff durch Helium zu ersetzen. Atemgasgemische aus Helium und Sauerstoff (Heliox) ermöglichten Tauchtiefen von 150 Metern ohne jegliche Zeichen von Tiefenrausch oder Narkose bei den Tauchern. Damit begann die Ära des Heliox-Sättigungstauchens, ein technisch aufwendiges Verfahren für Unterwasserarbeiten in der Offshore-Ölförderindustrie. "Sättigung" bedeutet, dass die Aufenthaltszeit des Tauchers unter erhöhtem Umgebungsdruck so lang ist, dass sämtliches Körpergewebe mit dem Inertgas, in diesem Fall Helium, gesättigt wird.

Es liegt wiederum am Gehirn des Menschen, dass ab 200 Meter Tiefe neue Probleme entstehen. Taucher zeigen neurologische Symptome, die denen einer beginnenden Narkose überhaupt nicht ähneln. Bei dem "High Pressure Neurological Syndrom" (HPNS) zittern typischerweise Finger und Hände, bei größeren Tiefen treten Übelkeit, Gleichgewichtsstörungen und Veränderungen des Hirnstrombilds (EEG) auf. Mäuse, die man in Druckkammerversuchen testete, zeigten bei Tiefen von mehr als 500 Metern Krampfanfälle wie bei einer Epilepsie.

Neben den Tauchforschern wollten auch die Narkoseforscher wissen, wie atmosphärischer Druck und Narkose zusammenhängen. Bei ihren Versuchen machten die US-Biologen Frank Johnson und Elizabeth Flagler von der Princeton-Universität (New Jersey) im Jahr 1950 bemerkenswerte Beobachtungen bei Kaulquappen. Die in Äther narkotisierten Tiere waren wieder putzmunter, als man den Druck in der Flüssigkeit hydraulisch erhöhte, ohne die Konzentration von Äther zu verändern. Die Forscher vermuteten, dass die Narkosegasmoleküle in der Innenschicht der Membran von Nervenzellen durch den Druck zusammengepresst werden, sodass die Signaleigenschaften der Zellen wieder funktionieren können. Sie nannten das Phänomen "Druck-Narkose-Antagonismus".

Der Pharmakologe Keith Miller von der Oxford-Universität begründete 1971 darauf eine einheitliche Theorie zur Erklärung von Narkose und HPNS. Demnach entsteht eine Narkose, wenn das innere Volumen der Zellmembran über ein kritisches Maß hinaus expandiert wird, die Zellmembran gewissermaßen "aufquillt". HPNS resultiert dagegen aus dem Komprimieren der Zellmembran, sie "schrumpft". Zwischen beiden Extremen funktioniert die Zellmembran und damit das Nervensystem normal, so die Vorstellung.

Die These vom Druck-Narkose-Antagonismus brachte die Tauchforscher auf eine Idee: Wenn durch Druck Narkose verhindert werden kann, müsste es doch auch möglich sein, HPNS durch eine geringe Menge Narkosegas zu verhindern. Peter Bennett vom Medical Center der Duke University in Durham/North Carolina führte mit seinem Team die ersten Versuche mit einem neuen Atemgas namens Trimix durch. Neben Helium und Sauerstoff ist in Trimix zehn Prozent Stickstoff enthalten. Tatsächlich gelang der Duke-Gruppe im Jahr 1981 mit Trimix in der Druckkammer die damalige Weltrekordtiefe von 686 Metern.

Französische Forscher verfolgten dasselbe Konzept, verwendeten aber statt Stickstoff Wasserstoff. 1988 erreichten französische Tauchforscher mit Wasserstoff-Helium-Sauerstoff (Hydreliox) eine Maximaltiefe von 534 Metern, die seither den Tiefenweltrekord für das Tauchen im freien Wasser darstellt. Der Tauchgang fand von einem speziell für Wasserstoffbetrieb umgerüsteten Versorgungsschiff im Mittelmeer statt. Ein reiner Kammertauchversuch mit Hydreliox führte 1992 zum noch immer bestehenden Tiefenrekord von 701 Metern.

Allerdings haben weder die Tieftauchversuche mit Trimix noch diejenigen mit Hydreliox zeigen können, dass HPNS durch narkotisch wirksame Gase vollständig beherrschbar ist. Man geht heute davon aus, dass allein das Zusammenspiel von Druck und Narkose den komplexen Charakter des HPNS nicht erklärt.

Das berufliche Sättigungstauchen ist derzeit auf Tiefen bis 200 Meter begrenzt und wird meist mit Heliox betrieben - das menschliche Gehirn unterscheidet sich zu sehr von dem eines See-Elefanten. In 1500 Meter Wassertiefe können Menschen nur mit sogenannten Ein-Bar-Systemen vordringen, mit einer Taucherglocke, die die Insassen vor dem Außendruck abschirmt. Hände werden durch Roboterarme, Augen durch Kameras ersetzt. Besser geht es nicht.

*Prof. Jürgen Lorenz untersuchte beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt die Wirkung extremer Drücke auf den Menschen. Heute leitet er das Department Medizintechnik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg.