Die Deutsche Fachwelt trifft sich in Hamburg zum Symposium, um über Daten und Ziele zum Zustand von Nord- und Ostsee zu diskutieren.

Hamburg. Bis zum Jahr 2020 sollen die Meere der Europäischen Union in einem "gesunden Umweltzustand" sein. Das schreibt die etwas sperrig benannte Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie, kurz MSRL, vor. Doch was ist ein guter Umweltzustand, und wo stehen wir jetzt? Diese Fragen behandelt das Meeresumwelt-Symposium, zu dem sich gestern und heute rund 450 Vertreter aus Wissenschaft, Verwaltung, Politik und Öffentlichkeit in Hamburg treffen.

Bereits zum 20. Mal hat das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH) deutsche Experten um sich gescharrt, um mit ihnen über einen Ausgleich zwischen Meeresschutz und Meeresnutzung zu beraten. Der Eröffnungsvortrag von Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamts (Uba), machte klar, dass hier noch ein langer Weg zu gehen ist. Neben der Eutrophierung, also der Überdüngung der Meere mit Phosphat und Stickstoffverbindungen, setze die Fischerei Nord- und Ostsee besonders zu, betonte Flasbarth. "Die Hälfte der Fischereifahrzeuge müsste stillgelegt werden, damit sich die Bestände erholen können. Aber der industrielle Fischfang wurde bei der MSRL ausgeklammert", kritisiert Flasbarth.

Rainer Froese, Fischereiökologe am Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften Geomar, geht noch einen Schritt weiter: "Wir brauchen einen absoluten Fangstopp für vier bis fünf Jahre. In dieser Zeit würden sich die Bestände so gut erholen, dass anschließend etwa 60 Prozent mehr gefangen werden kann als heute." Natürlich müssten die Fischer "durch ein Jammertal" gehen. Aber schon heute überlebe die Branche nur dank Subventionen, ihre Höhe entspreche dem Wert der gesamten Anlandung. Auch auf den zweiten großen Belastungsfaktor, den Nährstoffeintrag, habe die MSRL nur begrenzten Einfluss, kritisierte Uba-Präsident Flasbarth: "Einen Großteil der Nährstoffschwemme verursacht die Landwirtschaft, die durch die EU- Agrarpolitik geregelt wird." Aber er sieht auch Chancen durch das neue Regelwerk, wenn es gelänge, die Politikfelder, die zum Meeresschutz beitragen müssen, zu integrieren.

Der Weg zu gesunden Meere führt auch über Müllvermeidung. Flasbarth: "Am sieben Kilometer langen Strand von Westerland auf Sylt werden täglich bis zu zwei Tonnen Müll angespült. Im Jahr fällt eine Menge an, die 23 000 Müllsäcke füllt." Gerade der Plastikmüll gefährdet See- und Küstenvögel. Davon berichtete Philipp Schwemmer vom Forschungs- und Technologiezentrum Westküste in Büsum. Zusammen mit Kollegen untersuchte er Vögel, die im Zeitraum 1997 bis 2009 tot aufgefunden wurden, vor allem Austernfischer, Knutts, Eissturmvögel und Trauerenten. Im Gegensatz zu den anderen Arten waren die Eissturmvögel verhungert und hatten keine Krankheitssymptome. "Die Belastung durch Plastikmüll spielte hierbei offensichtlich eine wichtige Rolle", betonen die Forscher.

Dass Schadstoffe innerhalb der marinen Nahrungsnetze weitergegeben werden, sich beim Fressen und Gefressenwerden anreichern und auch dem Menschen gefährlich werden können, zeigte der Kieler Toxikologe Dr. Hermann Kruse am Beispiel des Methylquecksilbers. Es ist im Dornhai in hohen Konzentrationen zu finden. Aus den Bauchlappen dieser Haiart werden die Schillerlocken geräuchert.

Nach der Empfehlung der US-Umweltagentur EPA sollten Menschen bei häufigem Genuss nicht mehr als 0,1 Milligramm (µg) pro Kilogramm Körpergewicht aufnehmen. Die Weltgesundheitsorganisation toleriert eine Tagesdosis von 0,23 µg/kg Körpergewicht. Das Kilo Muskelfleisch der Haifische enthalte aber durchschnittlich 700 µg Methylquecksilber, warnt Kruse: "Mit einer Mahlzeit Schillerlocke von 150 Gramm werden 100 Milligramm, etwa das Zehnfache der duldbaren Tagesdosis, aufgenommen."

Während gestern der Zustand der Meere im Vordergrund stand, sind es am zweiten Konferenztag Meeresschutzgebiete, die Schifffahrt und Offshore-Windparks. Letztere hätten nicht zuletzt durch die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko weiter an Bedeutung gewonnen, betonte gestern die Gastgeberin Monika Breuch-Moritz, Präsidentin des BSH. Das gelte gerade auch für die USA: "Inzwischen kursiert dort der Spruch "No oilspills - windmills", Windmühlen statt Ölpest.