Verraten Röntgenstrahlen die Todesursache ebenso gut wie das Öffnen des Körpers? In einer Studie vergleichen Hamburger Pathologen beide Methoden.

Hamburg. Der Bildschirm ähnelt einem großen Flachbildfernseher. Das Programm zeigt den Körper eines Mannes, 51 Jahre alt, 177 Zentimeter groß, 97 Kilo schwer. Er ist tot. Klar ist, dass er Opfer einer Gewalttat wurde. Unklar ist die Todesursache. Deshalb wird er obduziert, in diesem Moment, hier am Schirm.

Die Leiche wurde zuvor im Computertomografen (CT) gescannt. Bewegt Prof. Hermann Vogel die Maus neben der Tastatur, kann er in die dreidimensionale Welt des Körpers eintauchen, mit einer Kamera virtuell durch ihn hindurchfahren. Ein Klick und das Darstellungsprogramm zeigt die Knochen des Mannes. Noch ein Klick, nur die Muskeln sind zu sehen. Ein weiterer, das farbige Bild wechselt zum klassischen Röntgenbild.

Der Radiologe untersucht den Halsbereich. Rote, grüne und blaue Linien zeigen ihm, wo genau er sich im Körper befindet. "Hier sieht man den Schildknorpel, auch Adamsapfel genannt", sagt der Mediziner. Er sitzt im Souterrain des Rechtsmedizinischen Instituts der Uniklinik Eppendorf (UKE). Konzentriert studiert Hermann Vogel das Bild, er sucht nach einer Knickbildung, einem Spalt, einer Unterbrechung in den Konturen des Adamsapfels, den Anzeichen für eine Fraktur. Scrollt er mithilfe des kleinen Rades auf der Maus, werden die Ebenen schmaler, die Auflösung des Bildes höher, Details wie punktuelle Blutungen sichtbar. "Da." Eine Stelle, die zumindest "vereinbar" mit einer Fraktur wäre, wird er später diktieren.

Seit zwei Jahren wird die CT-Autopsie in der UKE-Rechtsmedizin erprobt. Hermann Vogel, ehemaliger Chef der Radiologie des AK St. Georg, leitet die Studie. Etwa 2000 Leichen haben er und sein Team angeschaut. Die Toten sind Verstorbene von der Intensivstation und der Notfallambulanz des UKE oder werden im Auftrag der Staatsanwaltschaft untersucht. Bei allen nicht natürlichen und unklaren Todesursachen werden Körper begutachtet, die CT-Autopsie ist Teil der äußeren Leichenschau.

Die Vorteile der CT-Obduktion sind vielfältig. Der Leichnam bleibt unversehrt, trotzdem können Fremdkörper, Projektile, Messerklingen, sogar die Intensität von Stichen, dargestellt werden. "Kugeln sieht man auf einen Blick, in einer klassischen Autopsie ist das immer die Suche nach der Nadel im Heuhaufen", sagt Vogel. Ebenso reiche ein Scroll über den Körper, um zu sehen, wie viele Schüsse einen Menschen getroffen haben, wo sie ein- und ausgetreten sind, was sie angerichtet haben. Ein anderes Beispiel: "Wurde ein Säugling zu Tode geschüttelt, kann man im CT eine zerebrale Blutung im Bereich der Brückenvenen sehen. Beim Schneiden wird viel zerstört, was später nicht mehr rekonstruierbar ist", erklärt Vogel. Derzeit gleichen die Forscher die CT-Befunde mit denen der anschließenden klassischen Sektion ab. "Wir prüfen, in welchen Fällen das CT die klassische Sektion irgendwann ersetzen könnte", sagt Vogel. Zentrale Frage ist, ob die 3-D-Bilder die Wahrnehmungen des bloßen Auges ersetzen können.

Das CT-Gerät kostet rund 250 000 Euro. Es steht im Keller des Instituts, neben den Sektionssälen. Durch den großen, schmalen, weißen Bogen werden die Toten liegend gefahren. Die Röntgenröhre hat eine Spannung von 12 000 Volt; drei Rechner, sie gleichen XL-Kühlschränken und einem Herd, ergänzen das System.

Zunächst werden der Oberkörper, dann die Beine, anschließend, in noch höherer Auflösung, Herz, Hirn und Lunge gescannt. Das CT kann vier Körperschichten gleichzeitig aufnehmen, insgesamt macht es 2000 Bilder, jedes stellt einen Horizontalschnitt dar. Sie sind millimeterfein, je dünner die Schichten, desto deutlicher die 3-D-Bilder. Um das Hirn zu betrachten, kann der untersuchende Arzt sogar virtuell die Schädeldecke abnehmen.

"Wir setzen die bildgebenden Untersuchungsverfahren im Alltag zum Beispiel bei Kniegelenksbeschwerden sehr umfangreich ein, um diese genauestens zu diagnostizieren und zu therapieren", erklärt Institutsleiter Prof. Klaus Püschel seine Motivation. "Nur bei der schlimmsten Diagnose, dem Tod, arbeiten wir ohne jede Technik und geben gerade mal 50 Euro dafür aus. So viel kostet eine äußere Leichenschau."

Für eine ständige Qualitätsverbesserung der Medizin sei wichtig, von den Toten für die Lebenden zu lernen. Der Rechtsmediziner: "Nur wenn man die Qualität der Behandlung im Nachhinein beurteilt, kann man sie künftig verbessern." Dazu gehöre in erster Linie die Frage, ob die medizinischen Maßnahmen richtig waren. Püschel erinnert sich an einen Patienten, der von einer Palliativstation in die Rechtsmedizin kam: "Als todesursächlich wurde ein fortgeschrittenes Krebsleiden mit Metastasen in der Lunge gesehen", erzählt er. "Als wir den Toten per CT untersuchten, stellten wir fest, dass der Mann gar nicht krebskrank war. Beinvenenthrombosen hatten zu zahlreichen Lungeninfarkten geführt, dadurch hatte er mehrere Lungenembolien erlitten." Wäre er richtig behandelt worden, hätte der Mann länger gelebt. Im Hinblick auf die Qualitätsverbesserung der Behandlung kann man im CT auch sehen, ob Katheter, Beatmungsschläuche, Magensonden tatsächlich richtig gelegen haben, sich im Körper Gas angesammelt hat. Püschel: "Gerät beispielsweise durch einen zentralen Venenkatheter, der nicht richtig liegt, Luft in die Herzhöhlen und großen Blutgefäße, kann das tödlich sein. Die Luft sieht man in der klassischen Sektion nicht, im CT schon."

Die Grenzen des Verfahrens liegen in allen chemischen und biochemischen Befunden. Vergiftungen, Stoffwechselerkrankungen, auch vorangegangene Herzrhythmusstörungen können mithilfe des CTs nicht sichtbar gemacht werden. Eine Herzmuskelentzündung kann nur eine mikroskopisch untersuchte Gewebeprobe belegen.

Bewähre sich das CT-Verfahren, seien langfristig auch die Kosteneinsparungen interessant: Eine Sektion kostet etwa 500 Euro, dauert in der Regel zwischen 1,5 und drei Stunden, mehrere Leute sind darin beteiligt. Eine CT-Untersuchung kostet etwa 400 Euro, dauert 20 bis 30 Minuten und kann von einer Person durchgeführt werden. Noch ist in Deutschland die klassische Sektion vorgeschrieben. Die Daten aus der UKE-Studie könnten dazu beitragen, dass das Gesetz reformiert wird. Ziel müsste sein, so Püschel, die modernen Disziplinen interdisziplinär zu nutzen.

In seinem Kopf steht das Konzept einer Obduktionsstraße: "Der Leichnam fährt auf einem Schienensystem in einen Foto- und Videoraum, wird dort aufgenommen. Anschließend wird in einem zweiten Raum ein CT angefertigt, danach geht es ins MRT." Mit der Magnetresonanztomografie lassen sich Weichteile und damit auch eventuelle Läsionen besser darstellen. "Erst danach wird der Leichnam durch mikroinvasive Techniken seziert, ausgeführt von einem Roboter, von mir am Bildschirm gesteuert."

Der Prototyp dieses Verfahrens solle natürlich in seinem Institut stehen, sagt Püschel (57). Wann er mit der Einführung rechnet? "Ich werde es hoffentlich noch erleben."