Die virtuelle Welt begeistert auch Menschen, die sonst einen Bogen um Computerspiele machen: Jeder zweite Sims-Fan ist eine Frau.

Durchs Weltall fliegen, im Silberpfeil durch Monaco rasen, in alten Tempeln nach Schätzen suchen - in Computerspielen kann man all das machen, was den meisten Menschen im wahren Leben versagt bleibt. Wer will da schon die schnöde Realität auf dem Bildschirm nachspielen? Offenbar gar nicht so wenige. Sagenhafte 125 Millionen Mal sind "Die Sims" seit ihrem Erscheinen weltweit über die Ladentische gegangen. Die diversen Versionen für PC, Spielkonsolen und Handys sind in 60 Ländern und in 22 Sprachen erhältlich und brachten dem Hersteller Electronic Arts rund 2,5 Milliarden Dollar ein. Damit gelten "Die Sims" als erfolgreichste Computerspielserie aller Zeiten.

Vor zehn Jahren kam die Alltagssimulation auf den Markt, in der man so spannende Sachen machen kann wie zur Arbeit gehen, in Urlaub fahren oder eine Stehlampe fürs Wohnzimmer kaufen. Als Sims-Schöpfer Will Wright seine Idee zum ersten Mal vorstellte, erntete er nur Kopfschütteln. Erst Jahre später gab man dem Konzept eine Chance - mit den bekannten Folgen. Wright hatte zunächst größere Zusammenhänge im Blick. In seiner Städtebausimulation "Sim City" mussten sich die Spieler als Stadtplaner und Bürgermeister bewähren. Doch bald interessierten sich viele mehr für das Treiben der virtuellen Einwohner als für Müllentsorgung und Straßenverkehr.

Also schuf Wright "Die Sims", eine Art virtuelles Puppenhaus, dessen Reiz unter anderem darin liegt, dass es keine gescheiterten Existenzen gibt. Schließlich kann man, wenn das virtuelle Leben nicht den Erwartungen entspricht, immer wieder von vorn anfangen. "Die Sims" machen das Leben inklusive Karriere, Liebe und Kindererziehung überschaubar. Es gibt keine Kriege, und zwischenmenschliche Reibereien lassen sich meist schnell beilegen. In der Welt der Sims verliert sogar der Tod seinen Schrecken.

Das sprach sogar eine Zielgruppe an, die bislang einen weiten Bogen um die von Weltraumschlachten und Ballerorgien bestimmte Welt der Videospiele gemacht hatte: Frauen. Mehr als die Hälfte der Sims-Fans sind weiblich, eine Quote, von der andere nur träumen können. "Kein anderes Spiel in der Geschichte der elektronischen Unterhaltung konnte bisher mit der starken, beinahe universellen Anziehungskraft der Sims mithalten", sagt Logan Decker, Chefredakteur der Zeitschrift "PC Gamer". Das Spiel erreiche sogar Menschen, die eigentlich gar keine Computerspiele mögen. Das mag auch daran liegen, dass "Die Sims" im Grunde gar kein richtiges Computerspiel ist. Vielleicht ist das bunte Treiben auf dem Bildschirm am besten mit "Selbstverwirklichungs-Software" beschrieben. Ob Ausgehen, Optimieren der häuslichen Einrichtung oder Pflege der zwischenmenschlichen Beziehungen - im Reich der Sims findet jeder sein geeignetes Betätigungsfeld. "Für mich sind Modelle ein Weg, die Welt besser zu verstehen", erklärt Sims-Papa Will Wright. Schon in frühen Jahren sei er von Robotern und Simulationen fasziniert gewesen. Technisch gesehen seien die Sims Charaktermodelle, die auf eine vom Spieler gestaltete Umgebung nachvollziehbar reagieren können. Bei allem Realismus sei es jedoch entscheidend, der Vorstellungskraft des Spielers genügend Raum zu lassen.

Ein Beispiel dafür ist die Sprache der Sims. Das "Simlish" ist eine universelle Fantasiesprache, die vom Spieler intuitiv verstanden wird, eine Art Esperanto für digitale Bildschirmwelten sozusagen. Anhand des Tonfalls, schlichter Symbole und der jeweiligen Situation erkennt man, was der Sim zum Ausdruck bringen will. Die Illusion, es mit lebendigen Wesen zu tun zu haben, ist damit viel perfekter, als wenn diese eine echte Sprache sprechen würden.

Verantwortlich für den unglaublichen Erfolg der Sims ist aber nicht zuletzt der stetige Ausbau der Spielwelt. Ob Reisen, Haustiere, Shopping oder Urlaub: Die Puppenstube wächst ständig weiter, der Spieler kann den Lebensraum seiner Schützlinge nach Belieben vergrößern. Für alle erdenklichen Lebensbereiche gibt es Erweiterungen. Den Fans ist das offenbar nicht genug. Sie basteln unermüdlich an eigenen Gegenständen, Häusern und Objekten aller Art, um ihren Schützlingen das virtuelle Dasein angenehmer zu gestalten. Auf Seiten wie "TheSimsRessource" stellen sie ihre Kreationen anderen zur Verfügung. Auf der offiziellen Community-Website www.thesims3.com treffen sich monatlich sechs Millionen Spieler, jede Minute werden 300 Inhalte heruntergeladen.

Realismus und Detailtreue haben jedoch ihre Grenzen. Da das Spiel schon ab dem Alter von sechs Jahren freigegeben ist, bleiben Sex und Gewalt tabu. Wo sich das tägliche Leben als anstößig oder nicht jugendfrei erweist, sorgen vergrößerte Pixel für die Wahrung von Sitte und Anstand. Davon abgesehen hat der Spieler Einblick in alle Lebensbereiche seiner Schützlinge. Er ist derjenige, der als gottgleiches Wesen ihre Geschicke bestimmt. "Die Spieler sind die Geschichtenerzähler", sagt Will Wright. "Wir geben ihnen ein Instrument, mit dem sie jede Person zum Leben erwecken können, die sie wollen." Für viele ist das offensichtlich wesentlich spannender als Weltraumkämpfe oder Autorennen.